Allerdings bezweifelten EU-Diplomaten, dass rasch eine Lösung für den größten Streitpunkt, die künftige Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland, gefunden wird. "Wir sind nicht sehr optimistisch", sagte ein ranghoher EU-Diplomat zu Reuters. Der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU am 31. Oktober habe für die Regierung Vorrang, sagte Königin Elizabeth II. bei der Verlesung der Regierungserklärung zur Parlamentseröffnung. Der britische Finanzminister Sajid Javid kündigte bereits an, er werde am 6. November seinen ersten Haushalt nach dem Brexit vorlegen.

"Die Priorität meiner Regierung war es stets, sicherzustellen, dass das Vereinigte Königreich am 31. Oktober aus der Europäischen Union austritt", sagte Elizabeth vor dem House of Lords, dem Oberhaus des Parlamentes. Die Regierung wolle auf eine "neue Partnerschaft mit der Europäischen Union hinarbeiten, die auf freiem Handel und freundschaftlicher Zusammenarbeit beruhen soll", verlas sie die Regierungserklärung von Premierminister Boris Johnson. Traditionell eröffnet die Königin mit ihrer Rede von einem Thron im Plenarsaal des House of Lords aus die Sitzung des Parlamentes. Diese Queen's Speech wird stets von der Regierung geschrieben. Eine mehrtägige Debatte und Abstimmungen über die Rede schließen sich an.

In der Regierungserklärung werden zudem höhere Ausgaben für das Gesundheitswesen, ein schärferes Einwanderungsgesetz und mehr Investitionen in Forschung und Wissenschaft angekündigt. Außerdem sollen der Klimaschutz in Gesetze gegossen und die heimische Infrastruktur verbessert werden. Finanzminister Javid erklärte, er werde einen Plan darlegen, durch den die Wirtschaft für die Zukunft aufgestellt und der Startschuss für eine "Infrastruktur-Revolution" gegeben werden sollten. Wenn es einen Austritt ohne eine Vereinbarung mit der EU geben sollte, dann werde die Regierung rasch handeln und Wirtschaft, Unternehmen und private Haushalte unterstützen, stellte Javid in Aussicht.

BERATUNGEN ZWISCHEN JOHNSON, MERKEL UND MACRON GEPLANT


Johnson will unbedingt, dass sein Land die EU am 31. Oktober verlässt - notfalls auch ohne ein Abkommen. Allerdings zwingt ihn ein unlängst vom Unterhaus verabschiedetes Gesetz, die EU um eine Verschiebung des Brexit-Termins zu bitten, sollte es bis Ende Oktober keine Einigung auf ein Scheidungsabkommen geben. Ein harter Brexit ohne Abkommen soll so verhindert werden.

In den kommenden Tagen laufen daher die Brexit-Verhandlungen auf Hochtouren, um doch noch einen geregelten Brexit hinzubekommen. Laut der Zeitung "Sunday Times" waren im Laufe des Montags Gespräche zwischen Johnson, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem scheidenden EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker geplant. Die Details eines Scheidungsvertrages sollen auf dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel vereinbart werden, bevor am Samstag das britische Parlament in einer Sondersitzung darüber abstimmt.

"Johnson hat für gar nichts eine Mehrheit im Parlament", sagte ein EU-Vertreter. EU-Kreisen zufolge hat Johnson seine Position aufgeweicht. Er habe akzeptiert, dass eine Einigung nicht bedeuten könne, dass es nach dem EU-Austritt auf der irischen Insel eine Grenze mit Zollkontrollen gebe. Johnson schwebt offenbar eine Regelung vor, nach der Nordirland eine Art Zoll-Partnerschaft mit der EU eingeht und zugleich Teil der Zollunion des Vereinigten Königreiches bleibt. Der Partner von Johnsons konservativen Tories, die nordirische DUP, bezweifelt aber, dass das machbar ist. Johnson hat sich bislang nicht zu möglichen Zugeständnissen geäußert. Er ist im Parlament auf die DUP angewiesen.

Auch in der EU stoßen die Vorschläge des Premierministers für die gesamte irische Insel auf Skepsis. Eine solches Hybrid-Zoll-Gebiet wie es Johnson für Nordirland vorschwebe, funktioniere nirgendwo auf der Welt, sagte ein EU-Diplomat. "Bei diesem System, in dem es zwei Regelwerke für dieselben Waren gibt, die dieselbe Grenze überqueren, gibt es mehr Möglichkeiten für Betrug. Und es ist extrem schwer zu unterscheiden, welche Waren nach Nordirland gehen oder weiter nach Irland und damit in den Binnenmarkt." EU-Diplomaten halten es daher für die beste Lösung, wenn die britische Provinz Nordirland in der EU-Zollunion bliebe. Etlichen Brexit-Verfechtern bei Tories und DUP ginge das zu weit.

rtr