Nach einer stundenlangen Zitterpartie hatte das britische Kabinett am Mittwochabend grünes Licht für den EU-Ausstiegsvertrag gegeben. Aus Protest gegen die Vereinbarung traten am Donnerstag Brexit-Minister Dominic Raab, Arbeitsministerin Esther McVey sowie einige Staatssekretäre zurück. Mit Raab verlor May bereits den zweiten Brexit-Minister in diesem Jahr. Ein Nachfolger werde noch gesucht, sagte May. Medienberichten zufolge hat sie den Posten Umweltminister Michael Gove angeboten, einem der prominentesten Brexit-Verfechter im Kabinett. Der habe aber abgelehnt. Gove sprach May am Freitag sein Vertrauen aus, ebenso Handelsminister Liam Fox, ebenfalls ein Euroskeptiker. Fox warnte, ein ungeordneter Austritt sei immer noch möglich, aber weder im Interesse Großbritanniens noch der EU. Eine Sprecherin Mays sagte, die Regierung habe für ihr umstrittenes Brexit-Abkommen viel Zuspruch aus der Wirtschaft erhalten.
Die Hängepartie in der weltweit fünftgrößten Wirtschaft verunsichert die Finanzmärkte. Börsenhändlern zufolge sind nun Szenarien wie ein zweites Referendum, Neuwahlen oder ein harter Brexit wahrscheinlicher geworden. Das Pfund Sterling stabilisierte sich etwas und notierte mit 1,2780 Dollar rund 0,1 Prozent höher. Allerdings schwankten die Kurse sehr. Am Donnerstag hatte die britische Währung rund zwei Prozent auf 1,2742 Dollar verloren. Die Bundesregierung wiederholte ihre Warnung vor einem ungeregelten Austritt des Königreichs. "Der schlimmste Fall wäre der ungeregelte Fall", sagte eine Regierungssprecherin.
NAGELPROBE PARLAMENT
Der nächste Stolperstein für Mays Brexit-Plan ist die notwendige Zustimmung im britischen Parlament. Dort haben ihre Konservativen keine eigene Mehrheit. Abgeordnete der nordirischen Partei DUP, die die Tory-Regierung toleriert, kündigten an, gegen den Vertrag zu stimmen. Sie arbeite weiter mit der DUP zusammen, sagte May. Jeder einzelne Abgeordnete werde entscheiden müssen, wie er abstimme, ob nun von der DUP, den Konservativen oder Labour. Und beim Votum sollte sich jeder Volksvertreter überlegen, wie er das Resultat des Brexit-Referendums von 2016 umsetzen könne. Die Abstimmung über den Ausstiegsvertrag findet im Dezember statt, ist aber noch nicht genau terminiert. Danach muss auch das EU-Parlament grünes Licht geben.
Zusätzlicher Ärger droht aus der eigenen Partei. Dort bereiten Abgeordnete ein Misstrauensvotum gegen sie vor. Die dafür benötigten 48 Stimmen dürften noch am Freitag zusammenkommen, berichteten Medien. Am Dienstag könnte dann das Misstrauensvotum stattfinden. Vorangetrieben wird es vor allem vom konservativen Flügel der Tories um Mays Widersacher Jacob Rees-Mogg.
Größter Streitpunkt in den Brexit-Verhandlungen ist die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland, die nach einem Ausstieg des Vereinigten Königreichs eine EU-Außengrenze wäre. Dort soll es nach dem Willen von Brüssel auf keinen Fall wieder Kontrollen geben. In dem Fall wird ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet, wie in den Jahrzehnten vor dem Irland-Friedensabkommen von 1998. Gelöst werden könnte das Problem durch einen neuen Handelsvertrag zwischen der EU und dem Königreich. Der kann aber erst nach dem Brexit verhandelt werden. Falls das nicht klappt, hat die EU eine Auffanglösung durchgesetzt, den sogenannten Backstop. Der würde das Königreich in einer Zollunion mit der EU halten, wobei Nordirland eine Sonderrolle hätte. Die Provinz müsste sich stärker als der Rest des Landes an das EU-Zollsystem und die Produktstandards halten. Die Aussicht sorgt in London und Belfast für viel Unruhe.
rtr