Der BFH vollzieht damit eine Kehrtwende. Ein anderer Senat hatte die Zinssätze noch vor wenigen Monaten verteidigt, allerdings für das Jahr 2013. Der am Montag veröffentlichte Beschluss des BFH bezieht sich nur auf die Zeit seit 2015. Mellinghoffs Senat widersprach: Sinn und Zweck der Verzinsung von Steuerforderungen sei es schließlich, den finanziellen Vorteil zum Teil abzuschöpfen, der dadurch entstehe, dass der Steuerzahler das Geld erst später zahlen und bis dahin noch anlegen könne. Das sei aber zuletzt kaum noch möglich gewesen. So wirke die realitätsferne Höhe des Zinses "wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung". Der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt seit 2011 unter einem Prozent, aktuell bei 0,0 Prozent.
Der BFH rügte, der Gesetzgeber habe das Problem zwar erkannt und einige vergleichbare Zinssätze an anderer Stelle geändert, bei den Nachzahlungszinsen bisher aber nichts getan. Das Bundesfinanzministerium erklärte, der Zinssatz liege im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen. CDU-Minister Schäfer sagte dagegen in Wiesbaden, angesichts des seit Jahren herrschenden Zinstiefs könne man keinem Bürger mehr die vom Finanzamt verlangten Zinsen erklären." Bund und Länder hätten auf seinen Vorstoß von vor zwei Jahren nicht reagiert.
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) forderte eine Halbierung auf drei Prozent pro Jahr, also 0,25 Prozent im Monat: "Sechs Prozent Zinsen gibt es nur beim Finanzamt", sagte BdSt-Präsident Reiner Holznagel. Unternehmen zahlten nach einer Betriebsprüfung oftmals mehr Zinsen als Steuern nach - "das kann nicht angehen". Laut BFH haben die Finanzämter allein bei Betriebsprüfungen in den vergangenen Jahren mehr als zwei Milliarden Euro Zinsen kassiert. "Es wird Zeit, dass sich hier etwas bewegt", sagte der Vorsitzende des Wirtschaftsprüfer-Verbandes IDW, Klaus-Peter Naumann, der Nachrichtenagentur Reuters.
WARTEN AUF KARLSRUHE
Die Finanzbehörden verlangen den Nachforderungszins vom 16. Monat nach dem Ende des Zeitraums, für den die Steuererklärung abgegeben wird. Von dem Zins profitieren auch Steuerzahler, wenn sie Anspruch auf eine Steuerrückzahlung haben und ihr Geld dann verzinst vom Finanzamt erhalten. Unter dem Strich gewinnt aber der Fiskus. Geklärt werden muss die Höhe der Zinssätze letztlich vom Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe liegen laut IDW bereits zwei Verfassungsbeschwerden vor, die sich auf die Jahre bis 2012 und 2014 beziehen. Bis zur endgültigen Klärung dürften alle betroffenen Steuerbescheide als vorläufig gelten. Wer noch keinen Widerspruch gegen seinen Steuerbescheid eingelegt hat, geht allerdings wohl leer aus.
Der aktuelle Beschluss des BFH bezog sich auf einen Fall, der beim Finanzgericht Köln liegt. Dort hatte das Finanzamt nach einer Betriebsprüfung eine Nachzahlung von zwei Millionen Euro verlangt, auf die 240.000 Euro Zinsen für zweieinhalb Jahre fällig wurden. Nach dem Beschluss im Eilverfahren muss der Steuerpflichtige zunächst nicht zahlen. Das Hauptsacheverfahren steht aber noch aus.
rtr