Denn die dritte und vierte Corona-Welle haben dafür gesorgt, dass sich die lang erwartete, kräftige Erholung der Konjunktur immer weiter verschiebt. Nun sorgt auch noch die hochansteckende Virus-Variante Omikron für sprunghaft steigende Inzidenzen. Wie groß sind also die Chancen, dass Firmen und Verbraucher 2022 die Folgen der Pandemie spürbar abschütteln können und die Wirtschaft zu alter Stärke zurückfindet? Welche Risiken bremsen? Wo könnte es besser laufen als derzeit befürchtet?
Im Folgenden eine Übersicht:
CHANCEN:
IMPFSTOFF - Ein wirksamer Impfstoff, der Omikron bremst, könnte Erleichterung auslösen. Dann könnte die Politik wieder Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie herunterfahren und so vielerorts für Aufatmen sorgen. Denn Firmen dürften ihre Produktion hochfahren und mit neuer Zuversicht auf bessere Geschäfte bisher zurückgehaltene Investitionen umsetzen. Zudem dürfte dies den privaten Konsum wieder deutlich ankurbeln.
PRIVATER KONSUM - Lässt der Kampf gegen das Virus wieder Lockerungen zu, dürften die Konsumenten durchstarten. In der Krise mussten Verbraucherinnen und Verbraucher auf vieles verzichten. Internet, Digitalisierung und Online-Handel können eben doch nicht alles ausgleichen. Die Gastronomie dürfte sich wieder auf bessere Geschäfte freuen, Diskos und Clubs könnten regelmäßig öffnen und mehr Menschen Reisen wagen. Das Münchner Ifo-Institut erwartet, dass der private Konsum - trotz eines schwachen Jahresauftakts - 2022 um kräftige 6,5 Prozent zulegt, nach einem Mini-Plus von geschätzt 0,4 Prozent im vorigen Jahr.
REKORDAUFTRÄGE DER INDUSTRIE - In der deutschen Industrie stapeln sich wegen der Produktionsengpässe die Bestellungen. Seit Juni 2020 ist der Auftragsbestand kontinuierlich gewachsen, wodurch er laut Statistischem Bundesamt mittlerweile auf Rekordhöhe liegt. Ein wesentlicher Grund dafür sind die Lieferengpässe bei Vorprodukten. So leiden etwa die Autobauer am Halbleiter-Mangel, weshalb sie trotz starker Nachfrage nicht so viele Fahrzeuge bauen können wie eigentlich möglich. "Diesen Auftragsberg werden die Industrieunternehmen durch ein kräftiges Hochfahren ihrer Produktion abarbeiten, wenn sich die Materialengpässe ab dem Frühsommer mit sinkenden Corona-Zahlen deutlich entspannen", erwartet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Erste Anzeichen einer Entspannung gibt es in der Autoindustrie, die ihre Produktion nach Verbandsangaben bereits zwei Monate in Folge steigern konnte." Das Ifo-Institut sieht durch den aufgestauten Auftragsbestand sogar "ein bedeutendes Aufwärtsrisiko, das den gesamtwirtschaftlichen Erholungsprozess in den kommenden beiden Jahren erheblich befeuern könnte".
BAU-BOOM - In Zeiten anhaltend niedriger Zinsen bleibt "Betongold" attraktiv. Der Bau war Stützpfeiler des Aufschwungs und wird es wohl weiter sein. Die Nachfrage insbesondere nach Wohnraum bleibt dem Berliner DIW-Institut zufolge ungebrochen, obwohl die Baupreise nach oben schießen. In diesem Jahr legt die Bauleistung demnach voraussichtlich um weitere fast 13 Prozent zu. Kapazitätsengpässe und der hohe Nachfragedruck machten die Bauwirtschaft aber auch zu einem Treiber der Inflation, warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
RISIKEN:
ANHALTEND HOHE INFLATION: Die teuere Energie macht Konsumenten und Konzernen zu schaffen. Höhere Kosten für Material und Rohstoffe belasten die Wirtschaft: So kletterten die Einfuhrpreise zuletzt so stark wie seit 1974 nicht mehr und die Preise der deutschen Produzenten so kräftig wie seit 1951 nicht. In der Folge stieg auch die allgemeine Inflation im Dezember auf 5,3 Prozent und damit so stark wie zuletzt 1992. Auch wenn viele Fachleute mit dem Auslaufen von Sondereffekten hier mit einem Abebben rechnen, könnten die Verbraucherpreise 2022 höher bleiben als bisher gedacht und so die Konjunktur bremsen.
PLEITEWELLE DURCH OMIKRON - Nach historischen Tiefstständen ist die Zahl der Insolvenzen zuletzt leicht gestiegen. Dieser Trend setzte sich laut IHW-Institut aus Halle im Dezember fort, die Zahl betroffener Jobs stieg ebenfalls. Auch wenn die Omikron-Variante Deutschland demnächst wie erwartet stark trifft, geht das IWH nicht von einer gleichzeitigen Pleitewelle aus. Sollte Omikron aber zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen führen, dürften Insolvenzen ab Frühjahr zunehmen.
LIEFERENGPÄSSE - Sollten die globalen Lieferprobleme länger anhalten als erwartet, dürfte dies die exportorientierte deutsche Wirtschaft spürbar zurückwerfen.
CHINA - Die Volksrepublik hat die Corona-Krise 2020 erstaunlich gut gemeistert und ist als einzige große Wirtschaftsmacht sogar gewachsen. Im vergangenen Jahr hat Deutschlands wichtigster Handelspartner eine große Schippe draufgelegt. Allerdings steht das Land vor einem Problem: Die 1,4 Milliarden Einwohner sind zwar größtenteils geimpft, allerdings nur mit heimischen Vakzinen. Und die wirken offenbar weniger gut gegen das hochansteckende Omikron als die etwa in Deutschland verwendeten mRNA-Impfstoffe. Der Charité-Virologe Christian Drosten hat China kürzlich als seine derzeit "größte Sorge" bezeichnet.
Im Februar starten die Olympischen Winterspiele in Peking, wozu Tausende Ausländer ins Land kommen werden. Experten zufolge lassen sich Corona-Ausbrüche kaum vermeiden, trotz abgeschotteter Teams und vieler Tests. Die Behörden reagieren schon auf kleine Ausbrüche mit rigiden Maßnahmen, wozu etwa das Abschotten von Megastädten oder das Schließen von Handelshäfen gehört. Das kann den Warenfluss von und nach Deutschland erheblich treffen. Die Materialengpässe, unter denen die deutsche Wirtschaft leidet, könnten sich dann noch einmal verschärfen. Aus keinem anderen Land der Welt bezieht die Bundesrepublik so viele Waren wie aus China: Allein von Januar bis November 2021 waren es Güter im Wert von 127 Milliarden Euro. Aber auch der Absatz von Waren "Made in Germany" in der Volksrepublik könnte ins Stocken geraten.
KRITISCHE INFRASTRUKTUR: Die Quarantäne von zehntausenden Beschäftigte wegen Corona-Fällen in Quarantäne könnte nicht nur die kritische Infrastruktur von Polizei, Feuerwehr, Kliniken sowie die Versorgung mit Strom und Wasser lahmlegen. "Wenn die zu erwartende Omikron-Welle auch nach Deutschland überschwappt, wird das durch einen flächendeckenden Ausfall vieler Beschäftigter schnell zu einer Herausforderung für die Wirtschaft in ihrer ganzen Breite - und damit für die Gesellschaft", erläutert Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). "Denn schon nach wenigen Tagen werden unzählige Betriebe und Branchen faktisch Teil der kritischen Infrastruktur."
FACHKRÄFTEMANGEL: Aufgrund der alternden Bevölkerung ist Fachkräftemangel seit Jahren eines der größten Probleme der Firmen. Die Corona-Krise hat dies in einigen Branchen noch massiv verschärft. Denn düstere Aussichten etwa in der Luftfahrt, bei Veranstaltern oder im Gastgewerbe haben Beschäftigte dazu gebracht, ihr Glück in anderen Bereichen zu suchen. "Die Corona-Pandemie hat den gastgewerblichen Arbeitsmarkt mit voller Wucht getroffen", sagt Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). "Das ist umso bitterer mit Blick auf die bedeutende Rolle des Gastgewerbes als starker Jobmotor in Deutschland in Vor-Pandemie-Zeiten." So zählte die Branche im Oktober gut eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte - und damit 7,4 Prozent oder fast 82.000 weniger als im Oktober 2019.
rtr