€uro: Mrs. Ward, die deutschen Sparer leiden seit einiger Zeit unter den niedrigen Zinsen. Wird die EZB sie in absehbarer Zeit wieder erhöhen?
Karen Ward: Ich befürchte nein, auch wenn ihre Leser das nicht gern hören werden.

Warum nicht?
Die niedrigen Zinsen sollen die Konsumenten und Unternehmen in der Eurozone dazu animieren, mehr Geld auszugeben.

Das klappt jedoch nicht?
Richtig. Aber die EZB verfolgt noch zwei weitere Ziele, über die sie lieber nicht spricht.

Welche wären das?
Sie möchte den Wechselkurs des Euro drücken und einigen Mitgliedern der Eurozone dabei helfen, ihre hohen Schulden leichter zu refinanzieren.

Das funktioniert besser.
Ja, und beides ist für die Eurozone notwendig. Zudem stützen die niedrigen Zinsen die Kurse an den Aktien- und Rentenmärkten. Das sollte man nicht vergessen.

Am 03. November wählen die US-Bürger einen neuen Präsidenten. Wie wird dies die Kapitalmärkte beeinflussen?
Solange keine Rezession herrscht, neigen amtierende US-Präsidenten dazu, wiedergewählt zu werden. Das zeigt die Vergangenheit. Daher wird Präsident Trump nichts tun, um dieses Risiko zu erhöhen. Der Coronavirus fügt jedoch ein neues Level an Unsicherheit zum Wahlausgang hinzu. Und auch beim Handelsstreit sollte man sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen.

Inwiefern?
Viele US-Bürger glauben, dass Chinas Wachstum auf Kosten der USA stattgefunden hat. Trump könnte im Verlauf des Wahlkampfes darauf zurückkommen. Etwaig auch mit Blick auf Europa.

Wie würde die Börsen auf einen demokratischen Präsidenten Bernie Sanders reagieren?
Die Kapitalmärkte mögen seine vergleichsweise linke Agenda nicht. Angesichts der Unsicherheit sollten Unternehmensinvestitionen vor der Wahl gedämpft bleiben.

Was bedeutet dies für die Aktienmärkte?
Auch vor dem Ausbruch des Coronavirus hatten wir vermutet, dass die Märkte im Jahr 2020 wieder volatiler werden könnten, als von vielen erwartet. Auch weil die Analysten das Gewinnwachstum der Unternehmen zu optimistisch eingeschätzt hatten und einige Märkte hoch bewertet waren. Der Coronavirus setzt nun gerade den kurzfristigen Ausblick für Risikoassets unter Druck, auch wenn wir die Wirtschaft insgesamt und Aktien mittelfristig positiv sehen.

Woher kommt Ihr Optimismus?
Auch wenn der aktuelle Zyklus schon lange andauert, zeigen sich keine der üblichen Warnsignale für den Spätzyklus - es gibt sehr wenig Inflation oder finanzielle Exzesse. Wir erwarten eine weiterhin expansive Politik der Zentralbanken, wie schon erwähnt. Zudem kommen Anleger kaum an Aktien vorbei, wenn sie auf regelmäßige Ausschüttungen angewiesen sind. Denn die Dividenden sind weitaus attraktiver als die Zinsen.

Wie sollten Anleger ihr Portfolio derzeit aufstellen?
Die Unvorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung des Coronavirus und dessen Auswirkungen auf die globale Wirtschaft macht ein breit diversifiziertes Portfolio über Regionen und Anlageklassen hinweg essenziell. Auch wenn viele Staatsanleihen kaum Zinserträge bieten, sorgen sie doch in diesen volatilen Zeiten für Stabilität.