Die Erholung beim DAX nach dem Absturz wurde Anfang der Woche durch neue schlechte chinesische Wirtschaftsdaten kurz unterbrochen. Das zeigt, wie wichtig das Reich der Mitte für die exportorientierte deutsche Wirtschaft inzwischen ist. Es stellt einen der wichtigsten Absatzmärkte dar. In der Region Asien-Pazifik erzielen die DAX-Konzerne etwa genauso hohe Umsätze wie in Deutschland selbst.

Dabei ragt China als dominierende Wirtschaftsmacht in Asien besonders heraus. Für die Sektoren Sportartikel und Chemie ist das Reich der Mitte ökonomisch sehr bedeutend, noch mehr aber für die Autokonzerne VW, Mercedes-Benz und BMW. "Wenn China hustet, bekommen die deutschen Autounternehmen eine Erkältung", ist ein Spruch, den Brancheninsider gerne kolportieren. Zwischen einem Drittel und 38 Prozent ihrer Fahrzeuge setzen die drei deutschen Branchenriesen im bevölkerungsreichsten Land der Welt ab.

In diesem Fall ist es aber kein normaler Husten, sondern die Corona-Variante Omikron, die der chinesischen Wirtschaft zu schaffen macht. Um deren Ausbreitung einzudämmen, wurde in Shanghai und anderen großen Städten seit Ende März ein äußerst restriktiver Lockdown verhängt. Millionen Menschen in Metropolen wie Changchun oder der Provinz Jilin dürfen ihre Wohnungen seit Wochen nicht verlassen. In Peking sind viele Nachbarschaften abgeriegelt. Die meisten Geschäfte und viele Firmen sind geschlossen. Millionen arbeiten im Homeoffice.

Die ökonomischen Auswirkungen der Null-Covid-Politik zeigen sich jetzt. Die Industrieproduktion fiel im April um 2,9 Prozent verglichen zum Vorjahr, wie das Statistikamt in Peking meldete. Die Einzelhandelsumsätze brachen um 11,1 Prozent ein - und damit mehr als von Analysten vorhergesagt. Hinzu kommt, dass auch die Arbeitslosigkeit in China kräftig klettert. Die Arbeitslosenquote lag im April bei hohen 6,1 Prozent. "An den Wirtschaftszahlen für den April ist zu erkennen, dass die Wirtschaft Chinas durch den Virus-Lockdown einen schweren Schlag erlitten hat", sagt Hao Zhou, Ökonom bei der Commerzbank. "Die Auswirkungen sind viel breiter und tiefer als erwartet", schreiben auch Chang Shu und Eric Zhu in einer Analyse des Finanzdienstes Bloomberg.

Wachstum schwächelt

Die chinesische Führung hatte für dieses Jahr ein Wachstumsziel von 5,5 Prozent gesetzt. Das dürfte nun kaum noch zu erreichen sein. Der Internationale Währungsfonds rechnet nur mehr mit 4,4 Prozent. Noch pessimistischer sind die Banken UBS und Citigroup, die nur noch 4,2 Prozent BIP-Zuwachs erwarten.

Trotzdem rückt das Land nicht von seiner Null-Covid-Strategie ab. Das hat mehrere Gründe. Zum einen wurden zu Beginn der Pandemie im Februar und März 2020 damit gute Erfahrungen gemacht. Der Staat bekam das Virus relativ schnell in den Griff und die Wirtschaft kam wieder ins Laufen. Dafür ließ sich Staatspräsident Xi Jinping in der Propaganda feiern. Kein Staat sei so erfolgreich bei der Virusbekämpfung gewesen wie China, hieß es da. Aus ideologischen Gründen will er nun nicht von dieser Politik abrücken und auch keine ausländischen Impfstoffe zulassen. Die eigenen sind aber offenbar nicht gut genug, um die Bevölkerung zu schützen.

Rückkehr zur Normalität

Unabhängig von ideologischen Ursachen weist das chinesische Gesundheitssystem große Defizite auf. Nach Schätzungen könnten bis zu 1,5 Millionen Menschen in China vom Corona-Tod bedroht sein, weswegen es nach Ansicht der Partei-Elite offenbar keine Alternative zu Null-Covid gibt. Nun scheint sich die Situation aber verbessert zu haben. Die Zahl der mit Omikron Infizierten sinkt stark. In 15 der 16 Bezirke Shanghais sind außerhalb der Quarantänegebiete keine weiteren Corona-Fälle aufgetreten. Supermärkte, Einkaufszentren und Apotheken haben wieder geöffnet, Schulen sollen schrittweise den Präsenzunterricht aufnehmen. Auch Restaurants dürfen nach und nach wieder Gäste bewirten. Bewegungseinschränkungen werden aber zunächst bestehen bleiben, um Risiken eines erneuten Ausbruchs zu verhindern. Shanghai soll Regierungsangaben zufolge schrittweise bis zum 1. Juni wieder zur Normalität zurückkehren. In Peking bleibt in einigen Bezirken der Lockdown aber bestehen.

Miserabler Jahresstart

Die Aussicht auf die Rückkehr zur Normalität in Shanghai dürfte auch die Ursache gewesen sein, dass Chinas Aktienindizes auf die Veröffentlichung der miserablen Wirtschaftsdaten kaum reagierten. Offenbar sind die schlechten Nachrichten bereits eingepreist. Seit Jahresanfang ist Chinas Festlandindex CSI 300 um 17 Prozent gefallen. Aktien werden unter dem 15-Jahres-Durchschnitt gehandelt, sowohl was KGV als auch Kurs-Buchwert-Verhältnis betrifft.

Das nationale Statistikbüro verbreitet Zuversicht. Der Einfluss von Covid sei temporär und man erwarte, dass sich die Wirtschaft stabilisiere und erhole, ließ die Behörde verlauten. Da dürfte aber viel Hoffnung mitschwingen. Denn neben der Pandemie leidet das Land auch an einer Immobilienkrise. Im April waren die Immobilienverkäufe so niedrig wie seit 16 Jahren nicht mehr. Dagegen geht die Regierung jetzt vor, indem sie für Erstkäufer die Zinsen für Hypothekendarlehen gesenkt hat. Das dürfte aber nicht ausreichen, weitere Maßnahmen müssen folgen.

Marktbeobachter rechnen damit, dass die Zentralbank die Leitzinsen gegen den globalen Trend im Lauf des Jahres senken wird, um die Wirtschaft anzukurbeln. Da die Inflation gegenwärtig nur bei 2,1 Prozent liegt, hat sie dafür Spielraum. Andy Rothman, Investmentstratege beim Finanzdienstleistungsunternehmen Matthew Asia, erwartet, dass die Regierung ein umfangreiches Konjunkturprogramm auflegt, "das eine sichtbare wirtschaftliche Erholung unterstützen soll".

Konsum- und Autotitel günstig

Die verbesserten Aussichten könnten auch den Aktienmarkt anspringen lassen. "Wenn die Lockdown-Maßnahmen weiter gelockert werden, dürfte das Sentiment schnell drehen", sagt Gerhard Heinrich, Emerging-Market-Analyst beim Finanzdienst Zukunftsmärkte. "Fast alle Aktien, die von der Binnennachfrage abhängen, sind nun relativ günstig. Das gilt unter anderem für klassische Konsumwerte, aber auch für Aktien aus dem chinesischen Autosektor", sagt er. Zumal diese Branchen langfristig Potenzial haben, weil die chinesische Politik darauf abzielt, die Binnenkonjunktur zu fördern.

Risikobereite Kurzfrist-Anleger spekulieren darauf, dass die Börse sich erholt. Langfrist-Investoren können die günstigen Bewertungen nutzen, um auf einen Markt zu setzen, der Potenzial und Wachstum bietet. Die Gemengelage bleibt aber schwierig. Corona, politische Risiken und ein wackelnder Immobilienmarkt - China ist nichts für Anleger mit schwachen Nerven.

Investor-Info


CHINA-ETF
Breit gestreut auf China setzen


Der ETF bezieht sich auf den CSI-300-Aktienindex. Dieser bildet die Kursentwicklung an den beiden größten Börsen Festland-Chinas, Shanghai und Shenzhen, ab. Der Kursindex besteht aus den 300 größten und meistgehandelten A-Aktien Festland-Chinas. Das Barometer wird in Renminbi gehandelt, es gibt also ein Währungsrisiko. In den letzten zwölf Monaten hat es 24 Prozent nachgegeben und liegt nur noch wenig über dem Tiefpunkt zu Beginn der Covid-Krise Mitte März 2020.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 0,38 Euro
Stoppkurs: 0,26 Euro

CHINA FOODS
Profiteur der Öffnung


Das in Hongkong ansässige Unternehmen mit rund 20.000 Mitarbeitern beliefert Chinas Markt mit nichtalkoholischen Getränken. Es offeriert eine breite Palette an Säften, Softdrinks, Tees und Mineralwässern. Zudem produziert und vertreibt es die Produkte der Coca-Cola-Serie in China. Von der Öffnung der Restaurants und Bars dürfte die Aktie, die nach dem Kursrutsch günstig ist, profitieren. Der defensive Titel zahlt eine hohe Dividende.

ARBEITSLOSIGKEIT
Ungewöhnlich hoch


Auf 6,1 Prozent ist die Arbeitslosenquote in China im April 2022 geklettert. Dieser Wert liegt nur noch knapp unter dem historischen Rekordwert von 6,2 Prozent aus dem Februar 2020 am Anfang der Corona-Pandemie. Die Jugendarbeitslosigkeit ist derzeit sogar höher als damals.