Es sind Investoren wie Frau Zhu, die der Regierung in Peking Kopfzerbrechen bereiten und eine echte Erholung der Aktienmärkte verhindern. Frau Zhu ist eine von Millionen Kleinanlegern, die kurz vor dem Höhepunkt der Börsenrally eingestiegen sind und jetzt warten, bis sie ohne Verluste aussteigen können. "Ich werde alle meine Aktien sofort verkaufen, wenn ich kann", sagt die Regierungsangestellte. Weil ihr Depot aber immer noch im Minus ist, zögert sie. Für die Börse bedeutet das: Immer, wenn die Kurse dank staatlicher Eingriffe wieder etwas Boden gutmachen, stehen sofort Kleinanleger bereit, die ihr Geld abziehen wollen - und damit einen neuen Kursrutsch auslösen können.

Die Denkweise von Frau Zhu ist in China so weit verbreitet, dass es sogar einen eigenen Begriff dafür gibt - "Tao lao" beschreibt eigentlich das Fangen eines Tiers mit dem Lasso, wird neuerlich aber als "gefangen im Aktienmarkt" übersetzt. Und das sind viele: Allein seit April öffneten zehn Millionen Anleger erstmals ein Depot. Sie erhoffen sich von Aktien höhere Renditen, nachdem der Immobilienmarkt ins Stocken geraten ist und auch Gold weniger Gewinn verspricht. Angeheizt wurde der Boom von der Regierung, die massiv Werbung für Aktien gemacht hat - auch als Altersvorsorge in einem Land, in dem es vergleichsweise wenig Kinder, dafür aber immer mehr Rentner gibt.

Dank der expansiven Geldpolitik der Notenbank war lange genügend Geld für die Aktienrally da. Eigentlich sollen die niedrigen Zinsen die Wirtschaft in Schwung bringen, die im ersten Halbjahr nur noch um sieben Prozent gewachsen ist, so wenig wie seit Jahrzehnten nicht. Doch bei den Unternehmen kam das Geld nicht an. Stattdessen am Aktienmarkt, zum Teil sogar in der Spekulation auf Pump. Für die Regierung war die breite Aktienbegeisterung der Bevölkerung willkommen: Lenkten doch die hohen Kurse vom stockenden Wachstum ab. Nichts fürchtet die Regierung so sehr wie soziale Unruhen, lange hielt sie deswegen ein hohes Wachstum für nötig, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen.

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MASSIVER KURSSTURZ IN NUR 4 WOCHEN



Am 18. Juni erreichte der Index der Börse Shanghai mit fast 5000 Punkten sein vorläufiges Hoch. Seither geht es rapide bergab, allein bis Mitte Juli brach er um etwa ein Drittel ein. Die Regierung tut nun alles, um eine Panik zu verhindern, obwohl Volkswirte auf die verglichen mit der Bevölkerung immer noch geringe Zahl von Aktionären und die nur begrenzten Auswirkungen der Börsenturbulenzen auf die reale Wirtschaft verweisen. Ausländische Investoren und "bösartige Leerverkäufer" macht sie öffentlich hinter den Kursverlusten aus, setzte ein halb-offizielles Kursziel für den Leitindex in Shanghai von 4500 Punkten. Derzeit notiert dieser etwa 1000 Punkte niedriger. Hinzu kommt ein gigantisches Kaufprogramm von Maklern und Fondsgesellschaften, unterstützt von der Regierung und billigem Zentralbankgeld.

Doch Investment-Profis raten, im Zweifelsfall mit Verlust zu verkaufen und das Geld lieber in andere Anlagen zu stecken. Hören die Chinesen auf diesen Rat, könnte es an den Börsen bald wieder rapide bergab gehen. Viele steigen schon aus: "Am Montag haben alle meine Aktien ihr Limit nach unten erreicht, ich habe 20 Prozent meines Geldes verloren", so der Student Lui Fangrui. "Dann haben alle Aktien weiter nachgegeben. Ich habe sie alle mit Verlust verkauft. Ich habe kein Vertrauen mehr in den Markt und werde nicht wieder hineingehen."

Reuters