Materialengpässe machen der deutschen Industrie immer stärker zu schaffen. Zuletzt berichteten Konzerne wie Daimler Trucks, Opel und MAN von teilweise deutlichen Produktions- und Absatzrückgängen. Opel muss sein Werk in Eisenach mindestens bis Jahresende schließen. Bei Mercedes-Benz brach der Absatz im dritten Quartal vor allem wegen Chipmangel um 30 Prozent ein. Bei BMW lag das Minus bei zwölf Prozent.
Nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums hat die deutsche Wirtschaft ihre Produktion im August wegen gravierender Materialengpässe unerwartet stark gedrosselt. Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen vier Prozent weniger her als im Vormonat. Das ist der stärkste Rückgang seit dem Corona-Einbruch im April 2020. Zu den Engpässen kommen hohe Energiepreise.
Laut Statistischem Bundesamt ist der Auftragseingang in der Industrie im August um 7,7 Prozent eingebrochen - was auch auf den Materialmangel zurückgeführt wird. Das ist der größte Rückgang seit April 2020.
Materialengpässe machen der deutschen Industrie immer stärker zu schaffen. Bei Konzernen wie Mercedes-Benz, BMW, VW, Daimler Trucks und Traton brechen Produktion und Absatz ein. Die Stellantis-Tochter Opel muss ihr Werk in Eisenach mindestens bis Jahresende schließen. Insgesamt lag der Produktionsrückgang in der deutschen Industrie im August bei minus vier Prozent - und damit so hoch wie zuletzt beim Corona-Einbruch im April 2020. Im Interview mit BÖRSE ONLINE erläutert Thomas Puls, Experte für Umwelt, Energie und Infrastruktur beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, die Situation.
Börse Online: Wird sich die Lage weiter verschärfen?
Thomas Puls: Wie bei jeder "ordentlichen" Krise kommen derzeit verschiedene Treiber zusammen, die unterschiedliche Ursachen haben und daher auch verschieden lange wirken werden. Der Chipmangel in der Autoindustrie dürfte sich noch weit bis in das kommende Jahr ziehen.
Welche Ursachen hat der Chipmangel? Hier kommen diverse Faktoren zum Tragen: Der Nachfrageboom bei den größten Nachfragern der Chiphersteller, also der Elektronikindustrie, Corona-Lockdowns in Ländern, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind, Ausfällen in der Produktion wie der Fabrikbrand in Japan und die Stauungen in der globalen Lieferkette. Die letzten beiden Treiber sollten vergleichsweise schnell ausklingen, während insbesondere die Anpassung an die global gestiegene Nachfrage dauern wird.
Inwieweit können die Unternehmen gegensteuern?
Der allgemeine Chipmangel wird die Unternehmen noch länger plagen und es gibt vergleichsweise wenig, was sie dagegen tun können, weil die Produkte schlicht nicht da sind. An anderen Stellen werden höhere Preise durchgereicht und sorgen für einen kräftigen Anstieg der Erzeugerpreise. wie etwa bei Baustoffen. Auch die deutlich gestiegenen Transportkosten werden weitergegeben.
Wie wird sich das auf die Inflationsrate auswirken?
Der Anstieg der Erzeugerpreise ist bereits angekommen. Durch die Verteuerung von Energie und Vorprodukten sind sie gegenüber dem geringen Vorjahresniveau um mehr als zehn Prozent gestiegen. Ich glaube aber nicht, dass dieser Effekt sich dauerhaft etabliert. Sondern dass sich die Preissteigerungen wieder auf geringerem Niveau einpendeln werden, wenn die Effekte der Preisrückgänge des Jahres 2020 aus der Statistik fallen und sich die bestehenden Engpässe in den Lieferketten - etwa die Staus in den Seehäfen - anfangen aufzulösen.
Mit welchen Folgen rechnen Sie für das Wirtschaftswachstum in Deutschland?
Der Materialmangel wird den Erholungsprozess verzögern. Die Auftragsbücher sind aber voll, weshalb ich eher mit einer Verschiebung als einer Reduktion rechnen würde. Problematisch wäre es, wenn wegen der Verzögerungen keine neuen Aufträge mehr eingingen.
Ist die Erholung auf dem Arbeitsmarkt gefährdet?
An vielen zentralen Stellen besteht ein deutlicher Fachkräftemangel. Bei Lkw-Fahrern oder Lokführern herrscht beispielsweise derzeit auch hierzulande ein Arbeitermangel, ähnlich wie in Großbritannien. In diesem Fachkräftemangel sehe ich eine viel nachhaltigere Gefährdung der Erholung des Arbeitsmarktes als in der derzeitigen Materialknappheit. Letztere wird sich mittelfristig beheben, während sich für den Fachkräftemangel im Transport keine Lösung abzeichnet, sondern alle Zeichen auf weitere Verschlechterung stehen. Das gefährdet die Erholung des Arbeitsmarkts meiner Ansicht nach viel mehr, als die Materialknappheit, da sich keine Lösung abzeichnet. Die Altersstruktur der aktiven Lkw-Fahrer spricht hier Bände.