Europas Kapitalmarkt steht vor einer riesigen Umverteilung von Anlagemitteln hin zu "grünen" Projekten. Denn grüne Anleihen sind ein wichtiges Finanzierungsinstrument auf dem Weg zu einer klimaneutralen EU. Und die Europäische Union legt jetzt los: Sie hat sich Anfang September den Rahmen gesteckt, um die Ausgabe eigener grüner Anleihen zu starten. Rund ein Drittel der Mittel für den Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" (NGEU) will die Staatengemeinschaft bis zum Jahr 2026 über Green Bonds finanzieren, also rund 250 Milliarden Euro. Damit dürfte die EU rasch zum größten Green-Bond-Emittenten der Welt aufsteigen.
Die EU schafft damit eine weitere "sichere" Anlage - nur diesmal in Grün. Wir glauben: Die grünen Anleihen der EU werden auf einen sehr aufnahmefähigen und -willigen Markt treffen. Denn die Anleger stehen bereit. Bisher war die Dynamik bereits hoch und das wird auch so bleiben. Anfang September lag das Emissionsvolumen im Green-Bond-Markt über dem im Vorjahr erreichten Rekordniveau. Immer mehr Staaten sind auf dem Markt aktiv. Zuletzt trat etwa Spanien in den Kreis der Staaten ein, die grüne Anleihen begeben. Es stieß auf eine große Nachfrage insbesondere von Pensionskassen.
Projekte der EU-Green-Bonds unterliegen anderen Regeln
Ende des Jahres 2022 dürfte das Volumen ausstehender grüner Anleihen in Europa auf rund eine Billion Euro wachsen. Die EU plant ihrerseits, bis 2026 jährlich für rund 40 Milliarden Euro Green Bonds aufzulegen, und läge damit noch vor Frankreich. Zum Vergleich: Deutschland kann derzeit maximal 18 Milliarden Euro pro Jahr über grüne Bundesanleihen aufnehmen, obwohl die Nachfrage nach grünen Bunds um ein Vielfaches höher liegt. Grund hierfür ist das geringe Ausmaß grüner Investitionen im Bundeshaushalt.
Hier dürften die neuen EU-Green-Bonds helfen, die Nachfrage der Investoren zu stillen. Aber was können die Anleger von den neuen grünen Anleihen der EU erwarten? Die Gemeinschaft wird sie nach dem aktuellen, anerkannten Branchenstandard für Green Bonds auflegen. Damit wird unter anderem Transparenz über die Mittelverwendung geschaffen und eine Zweitmeinung zur Emission eingeholt.
Trotzdem gab es Irritationen am Markt. Denn unabhängig davon hat die EU schon zuvor einen Vorschlag für einen europäischen Green-Bond-Standard vorgelegt, über den der EU-Rat und das europäische Parlament erst noch entscheiden müssen. Er soll als freiwilliger Goldstandard etabliert werden. Ob das gelingen wird, muss sich erst noch zeigen.
Die grünen Anleihen der Gemeinschaft kommen auf jeden Fall dafür zu früh und können deswegen nicht nach dem "Goldstandard" aufgelegt werden. Voraussichtlich werden sie diesem auch gar nicht genügen können, weil der neue Standard auf die Taxonomie aufsetzen soll - jenem komplexen Regelwerk, mit dem die Europäische Union definieren will, was eine nachhaltige Anlage ist und was nicht.
Die Projekte, die mit den EU-Green-Bonds finanziert werden, unterliegen aber anderen Regeln - nämlich denen des Rettungspakets "Next Generation EU". Es ist zu befürchten, dass die EU also ihre eigenen neuen, künftig eng gesteckten Regeln mit ihren grünen Anleihen womöglich gar nicht erfüllen kann.
Der Teufel steckt also im Detail. Grüne Anleihen sind keine Selbstläufer. Sowohl auf Ebene der einzelnen Emission als auch auf Ebene des Emittenten ist eine sorgfältige Analyse notwendig. Eine für Investoren relevante Frage ist auch, ob der Preisunterschied zwischen konventionellen und grünen Anleihen, das sogenannte Greenium, bestehen bleibt oder verschwindet. Das Greenium besagt, dass eine grüne Anleihe mit einem höheren Kurs und damit einer geringeren Rendite an den Markt kommt als eine vergleichbare konventionelle Anleihe. Dies zeigt sich beispielsweise bei den grünen Bundesanleihen, aus denen das Greenium direkt ablesbar ist.
Wir erwarten, dass das Greenium nicht so schnell verschwindet. Das steigende, aber begrenzte Angebot und die hohe Nachfrage bei nachhaltigen Anleihen werden kaum so schnell ins Gleichgewicht kommen. Nicht zuletzt, weil die Zentralbanken bei ihren Anleihe-Ankäufen ebenfalls einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit legen wollen. So verschärfen sie das Ungleichgewicht zulasten der nachhaltigen Investoren noch. Für Anleger bedeutet dies niedrigere Renditen - und freuen könnten sich die Staaten, die sich auf diesem Weg günstiger finanzieren können.
Christian Kopf
Leiter Portfoliomanagement Renten, Union Investment
Kopf leitet seit 2017 das Rentenfondsmanagement von Union Investment. Er ist eines von sechs Mitgliedern des Union Investment Committee (UIC), das die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager setzt.
Union Investment ist die Investmentgesellschaft der DZ Bank und Teil der genossenschaftlichen Finanzgruppe.