Auslöser ist das Schreckgespenst einer späteren Handlungsunfähigkeit der Herzkammer der deutschen Demokratie: Denn zu einem späteren Zeitpunkt, so die Befürchtung in der großen Koalition, könnten zu viele Abgeordnete infiziert sein oder sich in erzwungener oder freiwilliger Quarantäne befinden.
Deshalb sind nach tagelangen Abstimmungen auch mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble alle Fraktionen mit einem extrem schnellen Handeln einverstanden. Das wird vor allem am Mittwoch deutlich werden. Dann will der Bundestag die Änderung seiner Geschäftsordnung beschließen: Mit Blick auf die drohende weitere Coronavirus-Ausbreitung soll die Beschlussfähigkeit des Parlaments in dieser Krisenzeit von 50 auf 25 Prozent Anwesenheit der Abgeordneten herabgesetzt werden. Hintergrund ist auch, dass die AfD mehrfach die Beschlussfähigkeit des Bundestages wegen mangelnder Präsenz angezweifelt hatte.
Die Bundesregierung hatte die Kabinettssitzung auf Montag vorgezogen, um den Nachtragshaushalt und eine ganze Reihe von Corona-Gesetzen wie Hilfen für Firmen, den Nachtragshaushalt, den Schutz für Mieter und das Infektionsschutzgesetz auf den Weg für die verkürzte parlamentarischen Beratungen zu bringen.
Einige Fraktionen verzichten auf die üblichen physischen Sitzungen am Dienstag. Geplant sind etwa bei der CDU/CSU-Fraktion telefonische Absprachen oder schriftliche Eingaben. Die Unionsfraktion hat den Abgeordneten mitgeteilt, dass sie Dienstag noch nicht nach Berlin anreisen müssen - eine Sitzung im engen Fraktionssaal ist mit einem Abstand von mindestens 1,5 Metern nicht zu gewährleisten. Die SPD-, aber auch die AfD-Fraktion wollen dagegen reguläre Sitzungen abhalten, stellen aber die Teilnahme frei. Die FDP und die Grünen haben virtuelle Sitzungen anberaumt. Die Linke will noch am Montag entscheiden, ob ihre Fraktionssitzung mit Präsenz oder digital stattfindet.
HISTORISCHER MITTWOCH - MIT AUSSETZUNG SCHULDENBREMSE
Entscheidender Tag ist der Mittwoch. Hier wird eine hohe Präsenz der Parlamentarier erbeten - trotz Ausgangsbeschränkungen. Der Grund ist, dass der Bundestag wegen der hohen Neuverschuldung die Schuldenbremse im Grundgesetz aussetzen muss. Dafür ist eine absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestags nötig. Also muss mindestens die Hälfte aller Parlamentarier anwesend sein, das macht 355. Teile der Opposition dürften aber mit der Koalition stimmen, so dass die Aussetzung der Schuldenbremse gesichert sein sollte.
Die FDP-Fraktion sagt, sie sei "gesprächsoffen". Die AfD will nach Angaben eines Sprechers am Dienstag entscheiden, wie sie sich verhält. Er betont aber, dass die Partei ansonsten das gesamte Eilverfahren und auch Pairing-Absprachen mittragen werde. Pairing bedeutet, dass sich weniger Abgeordnete etwa an Abstimmungen im Plenum und in Ausschüssen beteiligen, dabei aber von allen Seiten das Kräfteverhältnis des vollen Parlaments gewahrt wird.
Damit die Gefahr einer Infektion möglichst reduziert wird, hat Schäuble angeordnet, dass die Stimmen in Urnen außerhalb des Plenarsaals abgegeben werden. Das Abstimmungsverfahren wird zeitlich gestreckt, damit die in ihren Büros wartenden Parlamentarier nicht alle gleichzeitig abstimmen und noch mehr Abstand wahren können.
Gleich um 09.00 Uhr werden die Gesetze in einer ersten Lesung eingebracht und in die Ausschüsse verwiesen. In der 90minütigen folgenden Aussprache wird Vizekanzler Olaf Scholz Kanzlerin Angela Merkel vertreten, die wegen ihrer vorsorglichen häuslichen Quarantäne nicht im Bundestag sein kann. Während der Debatte soll die Anwesenheit der Abgeordneten im Plenum ebenfalls drastisch reduziert werden. Ab 13.00 Uhr finden dann nach einer kurzen Debatte die abschließenden Abstimmungen über eines der größten Gesetzespakete statt, die es in der bundesrepublikanischen Geschichte gegeben hat. Verabschiedet werden soll dann auch die Fortsetzung des Irak-Mandats für die Bundeswehr. Läuft alles glatt, dürfte die eintägige Bundestagsitzung um 15.30 Uhr schon wieder zuende sein.
BUNDESRAT GREIFT MITTWOCH UND FREITAG EIN
Damit alle Gesetze möglichst schnell in Kraft treten können, hat der Bundesrat für Freitag eine Sondersitzung beantragt. Allerdings wird er in einer Minimalbesetzung schon am Mittwoch zusammenkommen, heißt es in Bundesratskreisen. Dann soll er über den Nachtragshaushalt beraten - mit einer Mindestzahl an 35 Stimmen. Hintergrund: Der Bundesrat soll gerade noch beschlussfähig sein, Vertretern aber etwa aus Bayern oder Baden-Württemberg die Anreise ersparen. Das Treffen am Mittwoch ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nötig, weil der Haushalt nicht an einem Tag verabschiedet werden darf.
Freitag sollen dann die vom Bundestag verabschiedeten Gesetze durch die Länderkammer gehen. Zumindest die Kanzlerin ist optimistisch, dass dies auch für das Infektionsschutzgesetz gilt, das im Pandemie-Fall vorübergehend Kompetenzen von den Ländern auf den Bund übertragen soll. "Es wäre ja nicht besonders logisch, wenn wir im Bundestag etwas verabschieden, was anschließend vom Bundesrat nicht mitgetragen wird", sagte sie am Sonntag mit Blick auf die nötige Eile.
rtr