von Robert Halver

Wenn es die Geldpolitik nicht schafft, den Kapitalismus zu retten, reden wir über ganz andere Probleme



Die üppige Geldpolitik ist schon längst nicht mehr nur auf die "verwahrloste" westliche Industriewelt und Japan begrenzt. Auch China muss mittlerweile auf die Illusion des unbegrenzten Geldes zurückgreifen, um irgendwie real- und finanzwirtschaftlich Land zu gewinnen. Geldpolitisch berauscht sollen sich die Investoren weltweit fühlen wie im berühmten französischen Chanson " La vie en rose".

Doch hört die Weltkonjunktur immer weniger auf den Lockruf des internationalen Geldes. In allen wichtigen Regionen und Ländern der Welt geben die Frühindikatoren nach. Und dies gilt selbst für die bislang heilige Wirtschafts-Kuh Asien, die mittlerweile auch vor dem scharfen Messer des wirtschaftlichen Abschwungs nicht mehr sicher ist. Im Übrigen kommt auch beim chinesischen Wirtschaftsmärchen immer häufiger die böse Hexe vor.

Die Notenbanken erreicht die Konjunktur immer weniger



Die Notenbanken haben das systemische Problem, dass sie die Pferdchen der Volkswirtschaft zwar zur Tränke führen können. Zum Saufen zwingen kann man sie aber leider nicht. Nachfragedefizite in Form von Angebotsüberhängen an Kühlschränken, Waschvollautomaten oder Autos kann die Geldpolitik nicht durch massenhaften Ankauf ausgleichen. So weit sind wir zumindest jetzt noch nicht.

Ernüchternd ist es dennoch, dass die billigste und üppigste Notenbankpolitik seit Erfindung des Geldes die Stimmung in der Realwirtschaft nicht mehr wie in früheren Zyklen wachküssen kann. Dieses Dornröschen alias Weltkonjunktur scheint einen sehr gesunden Schlaf zu haben. Die Deflationsgefahren steigen weltweit wieder. Selbst die Generalmobilmachung der japanischen Geldpolitik verhindert nicht, dass Japans Konjunktur zurzeit so ziemlich jede Schlacht verliert. Das alles ist bei früheren geldpolitischen Weckaktionen, obwohl diese mit weniger Zinssenkungen und deutlich weniger Liquiditätsausstattung auskamen, nie passiert.

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Wehe, wenn die Liebe der Geldpolitik an den Finanzmärkten verschmäht wird



Noch erschreckender ist es aber, dass die Notenbanken selbst bei Heimspielen, nämlich an den Finanzmärkten an Einfluss verlieren. Bis vor kurzem noch hatten die Aktienmärkte auf die Flut an Liquidität wie ein Schiff reagiert. So sprang der DAX im April deutlich über 12.000 Punkte. Momentan jedoch scheinen die Aktienmärkte nichts mit dem vielen Wasser anfangen zu können.

Zur teilweisen Ehrenrettung des edlen geldpolitischen Handwerks der Industrieländer muss man auf den Umkehrschub von Quantitative Easing zum Quantitative Tightening, also der Quantitativen Liquiditätsstraffung hinweisen, den zurzeit China betreibt: Peking fürchtet, dass ausländische Investoren aus Angst vor Währungsverlusten um den Wirtschaftsstandort China einen Bogen machen könnten. Daher hat das Land binnen Jahresfrist bereits umgerechnet annähernd 400 Mrd. US-Dollar an westlichen Finanzanlagen - insbesondere bei Staatspapieren - verkauft und insofern den Renminbi gestützt. Damit trocknet China ausgerechnet jene euroländische und US-amerikanische Liquidität aus, die doch eigentlich für niedrige Zinsen zur Konjunkturförderung sorgen soll. Dies ist der Grund, warum die Rentenmärkte beim internationalen Aktieneinbruch im August nicht wie sonst üblich als sicheres Auffangbecken benutzt wurden. Deren Kursgewinne fielen erstaunlich schwach aus.

So eine Entwicklung ist gefährlich. Denn steigende Zinsen wirken auf Aktienmärkte ähnlich "prickelnd" wie der unangekündigte Besuch der Schwiegermama am Wochenende. Sollte sich bei Anlegern im Kopfkino tatsächlich die Einschätzung verbreiten, dass die einst allmächtigen Notenbanken bereits an den Finanzmärkten so wenig ausrichten können wie ein Hustenbonbon gegen Grippe, wie kann man ihnen dann überhaupt noch Wirkung auf die Realwirtschaft zutrauen?

Auf Seite 3: Damit die Krisen-Mäuse nicht auf dem Tisch tanzen, darf die geldpolitische Katze das Haus niemals verlassen





Damit die Krisen-Mäuse nicht auf dem Tisch tanzen, darf die geldpolitische Katze das Haus niemals verlassen



Solange Kurse steigen, ist das Gefahrenempfinden bei uns Anlegern schwach ausgeprägt. Man sitzt sozusagen auf Wolke Sieben und spielt Harfe. Gibt es dagegen massive Kursverluste, kommt schnell Unruhe, Skepsis und Angst auf. Plötzlich schaut man nicht nur auf die existierenden Gefahren, sondern vermutet sie förmlich hinter jeder Ecke. Dann können die politisch Verantwortlichen noch so hektisch an allen Wirtschaftshebeln ziehen und alle -knöpfchen drücken sowie beruhigende Worte finden. Diese Maßnahmen werden ihnen - wie es der KP in China erging - nur als panische und hilflose Reaktionen ausgelegt. Der Vertrauensverlust in die politisch Handelnden führt zu noch mehr Kursverlusten und schlägt sich schließlich auch in der Realwirtschaft nieder.

Vor diesem Hintergrund darf es die Geldpolitik niemals zulassen, dass es eine Finanzkrise 2.0 gibt. Anleihe- und Aktienkurse müssen oben und Zinsen unten bleiben. Wenn sie hier versagt, würden andere Problemfaktoren wie die keinesfalls gelöste geopolitische Krise mit Russland oder die nur zugeschüttete Griechenland-Problematik noch stärker für Verunsicherung sorgen. Dieser Einsicht darf sich auch die Fed mit ihrer globalen Verantwortung nicht entziehen.

Vor allem aber wäre bei einer neuerlichen Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa die größte Herausforderung im Nachkriegs-Europa, die Flüchtlingskrise, sozialpolitisch und finanziell nicht mehr zu bewältigen. Die Verhältnisse Europas sind schon heute nicht gut. Nationale Egoismen und Abschottungsmaßnahmen würden sich dann noch dramatischer verschärfen. Und wie groß ist dann noch der Optimismus, dass Europa diese wirklich große politische Krise aushält?

Auf Seite 4: An einer Finanzkrise wird Europa nicht scheitern, aber…





An einer Finanzkrise wird Europa nicht scheitern, aber…



Die Zentralbanken wissen, dass sie bei geo- oder sozialpolitischen Krisen so ohnmächtig sind wie ein junges Gnu, das einer Meute von Löwen gegenübersteht. Also müssen sie in ihrem Finanzrevier allmächtig sein. Da darf nichts anbrennen. Es dürfen keine ersten Dominosteine umfallen, die anschließend alles andere mit sich reißen. Daher dürfen, können und werden weder die Eurozone noch andere Wirtschaftsregionen an Finanzkrisen scheitern, solange die Janet Yellens und Mario Draghis ein Geldschöpfungsmonopol innehaben, das ihnen erlaubt, wie im Märchen Rumpelstilzchen aus Stroh, also aus Nichts, Gold, also Geld, zu spinnen.

Mit diesem bereits langjährig genutzten Instrument ist es aber nicht getan. Geld drucken allein wird kaum einen Investor noch hinter dem Ofen hervor locken. Entscheidend ist, dass immer mehr Geld gedruckt wird, um einen positiven Aha-Effekt an den Finanzmärkten auszulösen. Daher bedienen sich die Damen und Herren Notenbanker des olympischen Mottos "Schneller, Höher, Stärker". Es müssen laufend neue Liquiditätsrekorde aufgestellt werden. Immer mehr Geld muss für immer mehr gute Stimmung an den Finanzmärkten sorgen. Und wenn damit ein Streueffekt auf die Konjunktur verbunden ist, na endlich, umso besser. Die Geister, die die Geldpolitik rief, wird sie nie mehr, wirklich nie mehr, los.

Immerhin, die Aktienmärkte wird die Liquiditätsparty, die ihren Gipfel noch nicht erreicht hat, erfreuen. Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass der DAX Ende des Jahres deutlich oberhalb von 11.000 Punkten - wenn auch von den Notenbanken "gezwungen" - steht. Für einen nachhaltigen Bärenmarkt spricht geldpolitisch nichts.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.