Wenn David Levy Probleme auf die Weltwirtschaft zukommen sieht, schrillen an der Wall Street die Alarmglocken. Sein Großvater Jerome Levy warnte 1929 vor dem großen Börsencrash, der Enkel sagte unter anderem 2007 die Finanzkrise korrekt vorher.

Zurzeit sieht Levy die Weltkonjunktur sehr skeptisch. Auch wenn nach Einschätzung der meisten von BÖRSE ONLINE befragten Experten die Aussichten alles andere als trüb sind, kann es kein Schaden sein, auch die Gegenposition zu beachten. Daher sprachen wir mit Levy über die Hintergründe seiner düsteren Vorhersage - insbesondere über die Folgen für die Aktienmärkte. Denn er ist nicht nur Ökonom und Theoretiker. Als Leiter des Jerome Levy Forecasting Center berät er auch institutionelle Investoren. Zudem war er früher selbst als Großanleger aktiv. Ein von ihm 2004 gegründeter Hedgefonds brachte es bis zur Schließung im Jahr 2009 auf ein Plus von 500 Prozent.

Herr Levy, in Ihrer jüngsten Prognose haben Sie die Wahrscheinlichkeit einer Rezession bis Ende 2015 auf 65 Prozent beziffert. Wieso dieser Pessimismus?
Zum einen ist sehr viel billiges Notenbankgeld in Anlagevermögen geflossen. Dadurch sind Überkapazitäten entstanden. Deshalb gehen wir von wieder zunehmenden Problemen in der Weltwirtschaft aus. Insbesondere gilt das für Schwellenländer. Diese Befürchtung hat sich im Laufe des Jahres noch verstärkt. Daran dürfte auch der günstigere Ölpreis nichts ändern. Zum anderen gibt es in Europa viele Hinweise auf eine nur künstlich kontrollierte Depression. Und Europas Probleme werden noch durch politische Konflikte und Komplikationen verschärft. Die Emerging Markets - und hier insbesondere China - dürften aber als Erste in Schwierigkeiten geraten.

Was beunruhigt Sie an China?
Die Gesamtverschuldung von 190 Prozent - gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Sie ist damit höher, als sie es in den USA mit in der Spitze 170 Prozent jemals war. Besorgniserregend ist vor allem das Tempo des Anstiegs. Vor fünf Jahren waren wir in China noch bei 115 Prozent.

Die Gegenmaßnahmen der chinesischen Regierung reichen demnach nicht aus?
Natürlich versucht die Regierung, die Wirtschaft zu stützen und auf ein mehr binnenmarktorientiertes Modell umzustellen, nachdem das bisher verfolgte Exportmodell nicht mehr reibungslos funktioniert. Doch dieser Übergang ist nicht so einfach zu bewerkstelligen. Früher oder später werden die Probleme Chinas auch auf die USA abstrahlen.

Und deshalb glauben Sie nicht an die häufig beschworene Zinswende in den USA?
Möglich ist zwar theoretisch alles, aber aus unserer Sicht wird es, wenn überhaupt, höchstens eine kleine Anhebung der Leitzinsen geben. Weitere Schritte dürften durch die von uns erwartete konjunkturelle Eintrübung verhindert werden. Das System ist einfach zu schwach und zu instabil, um deutliche Zinserhöhungen zu verkraften. Letztlich gehen wir von Leitzinsen nahe null bis zum Ende des Jahrzehnts aus, zumal sich höhere Zinsen in den USA immer negativ auf die Schwellenländer auswirken. Immer wenn sich die Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen zuletzt in Richtung drei Prozent bewegten, kam es dort zu Turbulenzen.

Warum eigentlich?
Das hat mit dem ausländischen Kapital zu tun, auf das diese Länder stark angewiesen sind. Wenn das Zinsniveau in den USA attraktiv ist, fließt das Geld aus der Dritten Welt zurück in den sicheren Hafen.

Auf Seite 2: Das Potential einer Schuldenkrise



Wie sicher ist dieser Hafen denn noch?
Die Angst vor einer öffentlichen Schuldenkrise in den USA halten wir für übertrieben. Uncle Sam wird nicht pleitegehen. Nach überwundener Rezession kann ich mir langfristig sogar eine sehr viel bessere wirtschaftliche Entwicklung vorstellen.



Noch besser? Die Margen der US-Unternehmen liegen doch schon seit geraumer Zeit auf Rekordniveau.
Die Gewinnmargen sehen zwar hoch aus, aber gemessen am Eigenkapital sind sie niedrig. Zudem wird das Bild durch die Ergebnisse des Finanzsektors verzerrt, die für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung keine allzu große Bedeutung haben. Bei der Analyse aggregierter Gewinnspannen sollte man sich auf die Wertschöpfung der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors fokussieren. So gesehen, sind die Margen zwar ordentlich, aber keineswegs auf Rekordniveau.

Trotzdem warnen viele Ihrer Kollegen, dass hohe Margen oft einen konjunkturellen Wendepunkt darstellen. Sehen Sie diese Gefahr nicht?
Es ist eine irrige Annahme zu glauben, dass sich die Margen aufgrund einer einfachen Wahrscheinlichkeitsberechnung wieder zu ihrem Mittelwert zurückbilden müssen. Gewinnspannen können jedenfalls lange auf einem relativ hohen oder relativ tiefen Niveau verharren. Richtig ist allerdings, dass Unternehmensvorstände in Zeiten hoher Gewinnspannen wenig geneigt sind zu expandieren.

Warum?
Sie werden von Investitionen in effizientere Technologien abgehalten und sträuben sich mit aller Macht gegen höhere Kosten. Denn nur so lassen sich die hohen Aktienbewertungen rechtfertigen.

Auf Seite 3: Die Bewertungsrelationen in den USA



Sind die Bewertungen denn zu hoch?
Dazu muss ich etwas weiter ausholen: Die Bewertungsrelationen in den USA haben sich grundlegend verändert. Während am Gesamtmarkt vor dem Jahr 1990 eher selten durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnisse von mehr als 20 zu beachten waren, ist das in den Jahren danach sehr viel öfter vorgekommen. Das hängt sicher auch mit der seitdem von der US-Notenbank betriebenen, sehr expansiven Geldpolitik zusammen. Die Zinsen wurden immer weiter gesenkt. Im relativen Vergleich mit Anleihen rechtfertigt das höhere Bewertungen. Darüber hinaus hat sich auch die Einstellung der Anleger zum Aktienmarkt geändert.

Inwiefern?
Früher agierte das Gros der Investoren deutlich defensiver und kaufte Aktien nur mit einem Bewertungsabschlag. Heutzutage ist der Glaube an ständig steigende Kurse sehr viel stärker ausgeprägt. Unter dem Strich sind Aktien derzeit sicherlich relativ hoch bewertet, doch negativ bemerkbar machen dürfte sich das erst dann, wenn wirtschaftliche Probleme auftreten.

Die Sie ja aber kommen sehen. Wie sollten sich Anleger positionieren, um in Ihrem Szenario einer herannahenden Rezession zu bestehen?
Favorisieren Sie in den kommenden zwölf Monaten oder sogar noch länger US-Staatsanleihen und andere qualitativ hochwertige Staatstitel. Etwaige Verwerfungen an den Kapitalmärkten werden wieder zu einer Flucht in sichere Anlagen wie die stabilsten Währungen oder eben Staatsanleihen führen. Solche Anleihen erhalten Ihr Kapital, und sie zählen zu den wenigen Anlageformen, die in einem deflationären Umfeld an Wert gewinnen. Auch US-Aktien sollten im weltweiten Vergleich zumindest relativ gut abschneiden. In den von uns beratenen Portfolios haben wir Dollar und US-Aktien jedenfalls über-, Währungen und Aktien aus Schwellenländern hingegen untergewichtet.

Wie kommt es, dass Ihr Vertrauen in die US-Wirtschaft so unerschütterlich ist?
In der jetzigen Phase der kontrollierten Depression hat die US-Wirtschaft mehr Fortschritte gemacht als der Rest der Welt. Viele andere Regionen - insbesondere die Schwellenländer - haben auch nur begrenzte Möglichkeiten, eine antizyklische Wirtschaftspolitik zu betreiben und dadurch ihre eigene finanzielle Stabilität während einer weltweiten Phase des Abschwungs zu behaupten. Vor diesem Hintergrund sehen wir die USA sowohl in der momentanen Phase der Expansion als auch während der nächsten weltweiten Rezession und erst recht der nachfolgenden Erholung im Vorteil. Allerdings will ich US-Aktien hier nicht als gute Wette verkaufen, aber sie dürften sich eben besser schlagen als der Rest.

Wäre Gold für Ihr Szenario nicht die geeignetere Alternative?
Auf keinen Fall. Wir raten dazu, Gold und andere Rohstoffe unterzugewichten. Langfristig gesehen ist Gold kein guter Wertspeicher, und in einem deflationären Umfeld entwickelt es sich nicht gut. In einem inflationären Umfeld mag das anders sein, aber auf absehbare Zeit wird Inflation keine Rolle spielen. Verglichen mit einigen instabilen Währungen könnte sich Gold ganz gut halten, aber gegenüber dem US-Dollar oder sogar zum Euro dürfte es sich schlechter entwickeln. Und wie gesagt: Einen kompletten Zusammenbruch in den USA oder in Europa halte ich nicht für sehr realistisch. Zumindest dann nicht, wenn die Eurozone nicht komplett auseinanderbricht.

Auf Seite 4: Profil und Investor-Info



David A. Levy im Profil

David A. Levy ist Leiter des Jerome Levy Forecasting Center im US-Bundesstaat New York und Herausgeber von "The Levy Forecast", der ältesten Publikation für volkswirtschaftliche Vorhersagen in den Vereinigten Staaten.