Bekannt ist David Levy in den USA vor allem, weil er kein Blatt vor den Mund nimmt. In seinen klaren Botschaften scheut der Chef des Jerome Levy Forecasting Center nicht vor Einschätzungen zurück, die deutlich vom Marktkonsens abweichen. Dazu gehört Mut, doch in der Mehrzahl der Fälle liegt der US-Ökonom richtig. Als Volltreffer erwies sich seine vor rund einem Jahr im Interview mit BÖRSE ONLINE gezeigte Skepsis gegenüber den Schwellenländern. Zumal er damals vor allem auch China in Schwierigkeiten sah.

Zum Glück gehen Levys Vorhersagen nicht immer auf. Zur Rezession in den USA, die er für 2015 mit einer 65-prozentigen Wahrscheinlichkeit prognostiziert hatte, kam es nicht. Doch 2016 wird das Versäumte nachgeholt, da ist er sich sicher.

Börse Online: Herr Levy, für Sie vermutlich etwas überraschend hat die Fed Ende 2015 doch noch die Leitzinsen erhöht. Wie beurteilen Sie jetzt die Zinsaussichten?


David Levy:

Wir haben immer die Möglichkeit einer Zinserhöhung eingeräumt, diese aber nicht für wahrscheinlich gehalten. Unsere These lautete, dass eine Zinsanhebung gering ausfallen und auch relativ schnell wieder revidiert werden würde. An dieser Position halten wir fest. Im Jahr 2020 werden die Leute rückblickend aus unserer Sicht vom Nullzins-Jahrzehnt sprechen, obwohl der Leitzins 2015 und 2016 vielleicht ein- oder zweimal um 25 Basispunkte angehoben wurde.

Im Konsens sagen Volkswirte für 2016 im Schnitt ein US-Wirtschaftswachstum von etwa 2,5 Prozent voraus. Warum rechnen Sie mit einer Rezession?


Wenn Sie die Entwicklung der Wirtschaft verstehen wollen, müssen Sie den Gewinnen folgen. Die Gewinne der US-Unternehmen sanken im Vorjahr um rund zehn Prozent, und sie fallen weiter. Hauptursache dafür sind schwächere Volkswirtschaften in den Schwellenländern und den rohstoffproduzierenden Staaten. Die weltweite Nachfrage hat sich abgeschwächt, untergräbt die Exporte und führt zu einer Flucht in den Dollar, was wiederum ebenfalls die US-Exporte belastet. Die US-Exporte, die US-Inlandsinvestitionen sowie die Aktienmärkte - sowohl in den Vereinigten Staaten als auch global - werden der sich verschlechternden Weltwirtschaft folgen.

Erklärt das, warum Sie anders als der Mainstream 2016 von US-Gewinnrückgängen ausgehen?


Die Konsensgewinnschätzungen basieren häufig auf voreingenommenen Vermutungen und sind oft losgelöst von der Realität. Gute Analysten können gute Prognosen für Unternehmen oder Branchen abgeben, solange sie von der volkswirtschaftlichen Entwicklung nicht überrascht werden. Wenn die Konjunktur aber überraschend dreht, liegt die Konsensvorhersage schnell stark daneben. Nur wenige Analysten beachten die Rahmendaten, von denen die Gewinnentwicklung beeinflusst wird. Schauen wir aktuell auf diese Daten, fällt es schwer, die Firmengewinne 2016 nicht schrumpfen zu sehen.

Woher rührt Ihr anhaltender Pessimismus bezüglich der Schwellenländer?


Wirtschaftskommentatoren erkennen in der Regel nicht die finanziellen Folgen von außer Kontrolle geratenen Investitionen und den daraus resultierenden Überkapazitäten. Der Exportboom in den Emerging Markets in den 1990er- und 2000er-Jahren führte zu enormen Investitionen, die auf der Annahme basierten, dass die Schwellenländer ihren Weltmarktanteil schnell und unbegrenzt erhöhen können. Doch jetzt, da die Emerging Markets fast die Hälfte der Weltwirtschaft ausmachen und die Volkswirtschaften der entwickelten Länder weitgehend stagnieren, haben die Exporte stark enttäuscht, und als Folge davon gibt es enorme Überkapazitäten - mit üblen finanziellen Folgen.

Welchen?


Erstens verdient das in Anlagevermögen gesteckte Kapital in den Schwellenländern nicht das, was sich die Investoren erhofft hatten. Und je mehr sich diese Situation verschlechtert, umso mehr verschlechtern sich die Kreditbedingungen. Zweitens war der Investitionsboom in den vergangenen fünf Jahren die größte Gewinnquelle für die Emerging Markets und auch für die Weltwirtschaft als Ganzes. Jetzt, im Zuge einer gerade einsetzenden Korrektur dieser Investitionen, sinkt die Profitabilität. Das zieht als Resultat eine Rezession nach sich sowie vermutlich ernste Wirtschafts- und Finanzkrisen.

Auf Seite 2: Kann sich China dieser Entwicklung durch den Eingriff des Staats entziehen?





Kann sich China dieser Entwicklung durch den Eingriff des Staats entziehen?


Die viel beschworene Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft ist mit Problemen behaftet. China muss bei der rücksichtslosen Anhäufung von Überkapazitäten und zweifelhaften Krediten, mit denen diese finanziert wurden, auf die Bremse treten. Das bedeutet, die Investitionen, die sich offiziell auf 46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen, müssen drastisch gesenkt werden. Allerdings würde dies zu einem Einbruch bei den chinesischen Unternehmensgewinnen führen. Somit steht China vor einem volkswirtschaftlichen Paradoxon, das weder im Westen noch im Osten gut verstanden wird.

Und das wird Ihrer Meinung nach den US-Dollar weiter treiben?


Auf den US-Dollar wirken vor allem zwei Kräfte. Die eine Kraft ist eine Flucht in die Sicherheit. Weil sich die Probleme in den Schwellenländern zuspitzen dürften, zieht es Anleger in die relative Stabilität von Wirtschaft und Währung in den Vereinigten Staaten. Die andere Kraft sind die kurzfristigen US-Zinssätze. Während der Markt hier mit einem moderaten Anstieg rechnet, dürften diese letztlich sogar wieder fallen. Unter dem Strich könnte sich die Flucht in die Sicherheit 2016 als Kurstreiber durchsetzen, aber die sich verändernde Zinslandschaft dürfte für Volatilität sorgen.

Hilft ein festerer Dollar nicht Europa?


Ja, der feste Dollar hilft Europa ebenso wie der niedrige Ölpreis. Trotzdem erzählen auch hier die Finanzströme die wahre Geschichte am besten. Diese lautet nun einmal, dass die Gewinne in Europa stark von den Exporten abhängen, und sie sind somit anfällig für einen Abschwung in den Schwellenländern. Anders als die USA hat Europa bisher nur geringe Fortschritte beim Abbau der Privatverschuldung gemacht. Das macht den Privatsektor besonders anfällig, und auch Banken werden es wegen der Deflation schwerer haben. Auch was die Problematik der Staatsschulden angeht, sollte man sich auf eine krachende Rückkehr der Krise einstellen.

Wie lange wird die Misere anhalten?


Verschuldung und Vermögenspreise müssen so weit sinken, bis sie zu den Einkommen passen. Dieser Prozess wird vermutlich einige Jahre in Anspruch nehmen und länger dauern als ein normaler Konjunkturzyklus. Wichtig ist unter anderem, dass sich die Banken aus ihren notleidenden Krediten herausarbeiten. Unglücklicherweise fehlt es in Europa derzeit an den politischen Strukturen, um dieses Problem umfassend anzugehen.

Was raten Sie Anlegern?


Weltweit gibt es derzeit wenige wirklich sichere Häfen. Wir raten weiterhin zu einer Übergewichtung von US-Staatsanleihen, insbesondere mit langen Laufzeiten. Investitionen in Schwellenländern sollten gemieden werden, und man sollte sich nicht scheuen, Bargeld zu halten. Gold dürfte gegenüber dem Dollar in einer deflationären Weltwirtschaft noch ein gutes Stück weiter fallen.

Können Sie unseren Lesern auch irgendwie ein wenig Hoffnung machen?


Langfristig sind wir sehr zuversichtlich gestimmt für die USA und Japan. Japan ist eher durch eine im Zaum gehaltene Depression gegangen als durch einen großen Zusammenbruch, auch die USA haben seit 2007 eine kontrollierte Depression erlebt. Auch Europa hat in einigen Jahren - nach dem Ende des derzeitigen Bilanzchaos - die Chance auf einen großartigen neuen Investmentboom. Allerdings sorgen wir uns, wie lange und wie schwierig die Anpassung wird.