Anleger gingen fest davon aus, dass die EZB das Ende ihrer Anleihenkäufe und für Juni die erste Zinserhöhung seit elf Jahren ankündigen wird. "Zweifellos lastet ein enormer Druck auf EZB-Chefin Christine Lagarde, da die Inflation heiß läuft", sagte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. Allerdings dürfe die Notenbank bei ihrem Kampf gegen die Inflation die aktuelle Schwäche der Konjunktur, vor allem in Deutschland, nicht aus dem Auge verlieren. Außerdem müsse sie vermeiden, durch das Ende für die Wertpapierkäufe die Anleihemärkte in Turbulenzen zu stürzen.
Dort kletterten die Renditen der zehnjährigen Bundestitel kurzzeitig auf ein Acht-Jahres-Hoch von 1,373 Prozent, lagen zuletzt aber kaum verändert bei 1,362 Prozent. Der Euro blieb ebenfalls in einer engen Spanne gefangen und kostete 1,0707 Prozent.
DER TEUFEL STECKT IM DETAIL - ÖLPREIS GIBT NACH
Wie üblich bei Notenbank-Entscheidungen komme es auf die Wortwahl der begleitenden Kommentare an, sagte Commerzbank-Analystin Antje Praefcke. Betone die EZB zu stark die Konjunktur-Risiken, würden Investoren dies als Hinweis auf einige wenige Zinserhöhungen werten und den Euro verkaufen. "Zeigt sich die EZB hingegen zuversichtlich, dass der Leitzins auch über September hinaus noch steigen wird, dürfte dies dem Euro einen Schub geben. Schließlich wäre dies eine Zementierung der 'Zeitenwende' in der EZB-Geldpolitik."
In diesem Zusammenhang würden Aussagen über die Aussichten für eine deutliche Zinserhöhung um einen halben Prozent besonders scharf unter die Lupe genommen, sagte Analyst Christian Henke vom Brokerhaus IG. Über einen solchen Schritt war in den vergangenen Tagen wiederholt spekuliert worden.
Unterdessen ließ der Teuerungsdruck durch die Energiepreise nach. Die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um 0,4 Prozent auf 123,11 Dollar je Barrel (159 Liter). Als Grund nannte Analyst Jeffrey Halley vom Brokerhaus Oanda Pandemie-Beschränkungen in Teilen der chinesischen Wirtschaftsmetropole Shanghai. "Sie lassen Ängste vor einer erneuten Schwäche der dortigen Wirtschaft wegen der Null-Covid-Strategie der Regierung wieder aufflammen."
KAPITALERHÖHUNG DRÜCKT HOCHTIEF - AO WORLD IM MINUS
Zu den größten Verlierern am deutschen Aktienmarkt zählte Hochtief mit einem Kursminus von fast fünf Prozent auf 57,50 Euro. Der Baukonzern sammelt zur Finanzierung der Komplett-Übernahme der Tochter Cimic 406 Millionen Euro bei Investoren ein. Die Papiere waren den Angaben zufolge zu je 57,50 Euro platziert worden. Es sei kein gutes Zeichen, dass 85 Prozent der Titel an den Hochtief-Großaktionär ACS gegangen seien, monierte ein Börsianer. Dessen Titel gaben in Madrid 3,6 Prozent nach.
Abwärts ging es auch mit den Papieren von AO World, die sich in London um 2,7 Prozent verbilligten. Der Online-Elektronikhändler zieht sich aus Deutschland zurück. Anleger seien zwar erleichtert, dass sich das Unternehmen aus dem verlustreichen Geschäft verabschiede, kommentierte Analyst Andrew Wade von der Investmentbank Jefferies. Es sei aber enttäuschend, dass keine andere Lösung gefunden werden konnte.
rtr