In den vergangenen Jahren hat Francioni, der im Mai in Ruhestand geht, die Finger von großen Deals gelassen und stattdessen die Expansion des Unternehmens in Asien vorangetrieben. In naher Zukunft könnte dem Konzern hier ein weiterer Meilenstein glücken, eine umfassende Kooperation mit der Shanghai Stock Exchange (SSE). "Das Projekt ist quicklebendig", sagte Vize-Chef Andreas Preuß. Reuters hatte im Oktober erstmals über die Pläne berichtet, die offiziell bisher nie bestätigt wurden. Durch die Kooperation der beiden Börsenbetreiber sollen chinesische Investoren Zugang zum deutschen und europäischen Finanzmarkt erhalten. Zudem wollen die Unternehmen die deutsch-chinesische Finanzmarktinfrastruktur ausbauen und die Internationalisierung der chinesischen Währung Renminbi vorantreiben.
Die Asien-Offensive werde der Konzern auch nach Francionis Abgang weiterführen, betonte Finanzchef Gregor Pottmeyer. Aber auch auf dem europäischen Markt, der nach dem Ausbruch der Finanzkrise viele Jahre schrumpfte, seien die Aussichten gut. "Wir erwarten auch 2015 im Aktienmarkt eine höhere Volatilität und sind deshalb optimistisch." Seit Herbst 2014 haben die Ausschläge an den Märkten wegen der Krisen in der Ukraine und Griechenland zugenommen, auch das Handelsvolumen zog an.
Wenn die Volatilität hoch ist, sind unter anderem Hochfrequenzhändler aktiver, die bei der Deutsche Börse für 20 bis 25 Prozent der Umsätze verantwortlich sind. Die Nettoerlöse sollen 2015 auf 2,1 bis 2,3 Milliarden Euro klettern nach 2,04 Milliarden Euro vor Jahresfrist. Beim bereinigten Betriebsgewinn (Ebit), der im vergangenen Jahr auf 983 Millionen stieg, peilt Pottmeyer dieses Jahr 925 Millionen bis 1,1 Milliarden Euro an.
Im vergangenen Jahr ging es bei der Deutschen Börse nach zwei Gewinnrückgängen in Folge auch unter dem Strich wieder bergauf. Dank der Belebung im Handel und Sondereffekten stieg der Überschuss um mehr als die Hälfte auf 762 Millionen Euro.
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"HERVORRAGENDE GESPRÄCHE" MIT DEM NEUEN CHEF
Francionis Nachfolger, der Investmentbanker Carsten Kengeter, wird im April bei der Deutschen Börse anfangen und ein Büro direkt neben Francioni beziehen. Zwei Monate später besteigt der Neue dann den Chefsessel. Francioni will zwischen Mitte und Ende Mai verschwinden. Wenn Kengeter danach noch seinen Rat benötige, könne er ihn gerne auf dem Handy anrufen, sagte der Manager. "Wenn nicht, noch besser."
Francioni hat in seiner Amtszeit vor allem mit geplatzten Mega-Fusionen für Aufsehen gesorgt, der Zusammenschluss mit der New York Stock Exchange scheiterte 2012 am Veto der EU-Kommission. "Ich würde das als meine größte Enttäuschung bezeichnen", sagte er am Donnerstag. In der Öffentlichkeit wurde der Schweizer dafür hart kritisiert, das Urteil der Investoren über die "Ära Francioni" fällt dagegen insgesamt positiv aus. "Auf Francioni wird gerne eingeschlagen, aber ich finde seine Strategie und seine Wachstumspläne überzeugend", sagte einer der 15 größten Anteilseigner des Unternehmens. Positiv findet er besonders, dass Francioni das Geschäfts rund um den Handel ausgebaut hat, was das Unternehmen weniger abhängig von Schwankungen an den Märkten macht.
Mit Spannung warten Investoren und Mitarbeiter nun darauf, welche Akzente der neue Chef setzen wird. Interessant ist nach Einschätzung von Insidern besonders, wie Kengeter mit Vize-Chef Preuß auskommen wird, der für das Derivate- und Aktiengeschäft zuständig ist - den wichtigsten Bereich des Unternehmens. Preuß ist nach eigenem Bekunden nicht unzufrieden mit der Vize-Position - und hochmotiviert. Er habe den neuen Vorstandschef schon mehrfach getroffen und "hervorragende Gespräche gehabt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Carsten Kengeter."
Reuters