Die Wirtschaft wird in ihrem Basisszenario dieses Jahr um 2,8 Prozent schrumpfen und im schlimmsten Fall sogar um 5,4 Prozent einbrechen. Damit würde die Talfahrt nicht ganz so rasant ausfallen wie im Krisenjahr 2009 mit damals minus 5,7 Prozent. Bei einem Konjunkturpaket komme es auf das richtige Timing an, damit es auch wie gewünscht wirke, so die Top-Ökonomen. "Die Maßnahmen selbst sollten erst mit Auslaufen der Einschränkungen in Kraft treten." Wegen der Ansteckungsgefahr steht das öffentliche Leben und auch die Wirtschaft weitgehend still.

Um die ökonomischen Kosten der Krise zu begrenzen, müsse die Politik Wirtschaft und Verbrauchern bald eine Perspektive für die Zeit nach den Notmaßnahmen bieten, forderten die Wissenschaftler um den Freiburger Professor Lars Feld: Es gelte, Kriterien und den Zeitplan für die gesundheitspolitischen Einschränkungen "in einer Art Normalisierungsstrategie" offenzulegen.

Für das richtige Timing von Maßnahmen bedürfe es einer zuverlässigen und breiten Datenbasis: "Dazu zählt etwa eine Ausweitung der Virus-Tests und Echtzeitdaten über Wirtschaftsaktivitäten", so die Ökonomen. Der Frankfurter Wirtschaftsweise Volker Wieland warnte zugleich vor zu langen Einschränkungen: Wenn sich ein solcher "Lockdown" über "vier, fünf oder sechs Monate" hinziehe, schließe man Strategien wie in anderen Ländern aus, in denen nach "einer gewissen harten Phase von einigen Wochen" Teile der Wirtschaft wiederbelebt werden könnten.

Wenn die gesundheitspolitischen Maßnahmen über den Sommer hinaus andauern und sich die Konjunktur erst 2021 wieder erholen sollte, müsste die Regierung aus Sicht der Experten wohl neue Hilfspakete schnüren. "Die getroffenen Politikmaßnahmen reichen dann womöglich nicht aus, tiefgreifende Beeinträchtigungen der Wirtschaftsstruktur zu verhindern."

Sollte es im dritten und vierten Quartal 2020 keine Nachholeffekte geben, seien zusätzliche Impulse von Finanzminister Olaf Scholz besonders angebracht. Der hatte zuletzt einen Nachtragshaushalt für 2020 im Volumen von 156 Milliarden Euro durch den Bundestag und Bundesrat gebracht, um in der Krise gerüstet zu sein. Unternehmen wurden Hilfen über direkte Zuschüsse, Kredite und Bürgschaften zugesagt. Diese können seit Montag abgerufen werden.

PLÄDOYER FÜR EURO-RETTUNGSSCHIRM


Auch in noch stärker von der Virus-Krise betroffenen Ländern der Euro-Zone wie Italien, Frankreich und Spanien mussten die Regierungen zuletzt Notpakete schnüren - und damit neue Schulden anhäufen. Vor diesem Hintergrund sieht Scholz den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM als "starke Kampfmaschine". Dieser sei zwar als Lehre aus der Finanzkrise geschaffen worden, müsse nun aber "mit vielen zig Milliarden für einzelne Länder" scharf geschaltet werden, wie er jüngst sagte.

Der ESM wurde 2012 ins Leben gerufen - mitten in der Euro-Krise, als zahlreiche Länder mit überbordenden Schulden und Problemen ihrer Banken kämpften. Dank seiner Top-Bonität kann sich der Fonds zu sehr günstigen Konditionen Geld leihen und diesen Vorteil dann an Euro-Länder weiterreichen, die in einer Notlage sind.

Auch die Wirtschaftsweisen raten zur Aktivierung des ESM, der ihrer Ansicht nach auch die Tür für einen weiteren Kriseneinsatz der EZB öffnen würde. Dazu sei ein "klares Signal" der Euro-Staaten nötig, bei Bedarf zusätzliche Mittel über den ESM "ab sofort zur Verfügung zu stellen". Eine Kreditlinie des ESM "mit geringst möglicher Konditionalität" sei eine Option, die schnell realisiert werden könne, sagte der Wirtschaftsweise Achim Truger. Seinen Worten zufolge sind sich die Sachverständigen einig, dass alles zu tun sei, damit die Renditeaufschläge für Krisenländer nicht wieder hochgehen und eine "erneute Staatsschuldenkrise" vermieden werden könne.

Die Wirtschaftsweisen verweisen zudem darauf, dass die EZB eine ausreichende Liquiditätsversorgung und zusätzliche Anleihekäufe zugesichert habe. "In Verbindung mit dem ESM wäre sie in der Lage, gezielt Anleihen einzelner Staaten im Rahmen von Outright Monetary Transactions (OMT) anzukaufen", heißt es in dem Gutachten weiter.

Das sogenannte OMT-Programm war von der EZB 2012 auf dem Höhepunkt der damaligen Schuldenkrise beschlossen worden. Eingesetzt wurde es bislang noch nie. Allein dessen Ankündigung hatte damals gereicht, um die Finanzmärkte zu beruhigen. OMT erlaubt es den Währungshütern, im Notfall gezielt Staatsanleihen eines überschuldeten Staates zu erwerben. Die EZB hatte erst jüngst ein großes Rettungspaket geschnürt, das zusätzliche Anleihenkäufe bis Ende 2020 von 750 Milliarden Euro vorsieht.

rtr