Und ist erst einmal die Bargeld-vegane Zeit angebrochen, hat man auch der Steuerhinterziehung, der Schwarzarbeit und Drogenkriminalität das Genick gebrochen. Denn eine handwerkliche Leistung gegen einen DIN A5-Umschlag mit bestimmtem Inhalt ist dann Geschichte. Und eine alternative Tauschwirtschaft - z.B. Bad neu fliesen lassen gegen Butter, Eier oder Speck ist in der "Zahlungsabwicklung" vergleichsweise schwieriger.

Ohnehin würde der Handwerker früher oder später Probleme mit seinen Blutwerten bekommen. Nicht zuletzt, wenn so ziemlich alles auf Rechnung geht, käme Vater Staat aus seinen Freuanfällen wohl gar nicht mehr heraus: Mit deutlich mehr Steuergeld würde der Bundeshaushalt nachhaltig schwarze Nullen schreiben. In den Finanzämtern würde ein neuer Schlager, ja sogar ein Evergreen geboren: "Bargeldlos durch die Nacht".

Na, wenn das keine überzeugenden Argumente sind, um Bargeld fremdzugehen und sich alternativ an Plastikgeld zu erfreuen.

Auf Seite 2: Der gläserne Kunde wird Realität





Der gläserne Kunde wird Realität



Und dennoch bleibe ich ein großer Freund des Bargelds. Denn die Bargeld-Fleischlosen halten sich in punkto Nachteilen gerne bedeckt. Aber die gibt es eben auch. Wer jemals an der Tankstelle oder an der Supermarktkasse in der Schlange gestanden hat, weiß, dass Kartenzahlung nicht immer prickelnd ist. Wie oft wird die Karte vom Inhaber verkehrt herum in das Lesegerät gesteckt oder wie oft wird der falsche Pin-Code eingegeben, der neuerdings immer häufiger verlangt wird? Dagegen geht Bargeldzahlung Rucki Zucki.

Aber vielleicht gibt es hier ja schon bald Abhilfe: Wer weiß, vielleicht wird ja zukünftig jedem Bürger ein Chip eingesetzt, der bei Verlassen des Supermarkts automatisch die virtuelle Bezahlung der Rechnung veranlasst und nebenbei - als kostenlosen Zusatznutzen - auch noch Blutdruck und Cholesterinwerte misst. Schöne, neue virtuelle Welt.

Ist eigentlich Datensicherheit in der virtuellen Zahlungswelt gewährleistet? Wenn Ministerien, Großkonzerne und selbst das Smartphone der Kanzlerin gehackt werden, darf man durchaus die frevelhafte Frage stellen, ob das Geld wirklich dort ankommt, wo man es hin überweisen wollte.

Überhaupt "virtuell", wenn alle Zahlungen nur noch per Karte abgewickelt werden, sind Zahlungsleistende und -empfänger so gläsern wie eingekochte Dicke Bohnen im Einweckglas. Wenn das keine Einladung an Marketing- und Vertriebsabteilungen von Konsum- und Logistikunternehmen ist. Wer z.B. sonntags ins Café geht und virtuell bezahlt, hat sich eindeutig zu seiner Neigung zu Süßem bekannt. Da braucht sich niemand zu wundern, wenn einem das Internet ungefragt Werbung von Dr. Oetker oder Coppenrath & Wiese zukommen lässt. Und am Ende wird man beim Besuch im Café schon gar nicht mehr gefragt, was man denn gerne hätte, sondern es kommt - basierend auf zahlungstechnisch eindeutig dokumentierten Konsumgewohnheiten - unaufgefordert z.B. Schwarzwälder Kirschtorte und Milchkaffee. "Sweet" Big Brother is watching you!

Auf Seite 3: EZB - In punkto Staatsschuldenkrise allmächtig, in punkto Konjunkturkrise ohnmächtig?





EZB - In punkto Staatsschuldenkrise allmächtig, in punkto Konjunkturkrise ohnmächtig?



Um was es den Befürwortern der Bargeldabschaffung neben gläsernen Kunden und noch mehr Steuergroschen hinter vorgehaltener Hand wirklich geht, ist etwas Anderes, etwas viel Größeres: Die Belebung der Konjunktur. Denn in dieser Disziplin ist die EZB trotz einer de facto Nullleitzinspolitik und von ihr unterdrückten Anleiherenditen wenig erfolgreich. Die Konjunktur in der Eurozone springt bislang nur an wie frühere italienische Autos: Si, Si, No! Offenbar versagt Draghis konjunkturpolitisches Starterkabel beim Euro-Konsummotor. Denn die Euro-Bürger horten trotz niedrigster Anlagezinsen weiter unbekümmert Geldberge bei Banken und Sparkassen. Und nicht nur das, sie sparen sogar noch mehr, um die niedrigen Zinserträge zu kompensieren. So wird das nichts mit einem ordentlichen Konjunkturaufschwung.

auf Seite 4: Und nun? Wie kommt das Spargeld in die reale Wirtschaft?





Und nun? Wie kommt das Spargeld in die reale Wirtschaft?



Damit deutlich weniger gespart bzw. entspart wird und stattdessen mehr konsumiert wird, träumen die Bargeldabschaffer von einer Konjunkturstarthilfe der besonderen Art. Man muss den Konsum-immobilen Bürgern der Eurozone die Lust am Sparen nehmen: Die EZB müsste ihre Leitzinsen deutlich unter null fallen lassen und über üppige Liquiditätspolitik zusätzlich dafür Sorge tragen, dass ebenso Staatspapiere und Hypothekenanleihen keine positiven Renditen mehr abwerfen.

Auf dem Höhepunkt der Immobilienkrise hatte die US-Notenbank bereits überlegt, Negativzinsen von vier bis fünf Prozent einzuführen, um das Sparen zu ächten. Bei uns wäre diese Maßnahme vermutlich besonders wirkungsvoll, denn bei uns wird im Gegensatz zu Amerika wirklich gespart. Was für ein dem Wirtschaftswunder ähnliches Wachstum könnte erreicht werden, wenn auch nur Teile der 6,4 Billionen Euro Spargeld der Eurozone den Weg in den Konsum fänden?

Negative Zinsen passen nicht zu einem Bargeldsystem…



Leider hat die Sache einen dicken Haken, leider ist in unserem Bargeldsystem bei Zinsen von null Schluss. Denn würden die Zinsen und Renditen deutlich unter null fallen, geht das Geld nicht mehr als Spargeld zur Bank oder Sparkasse, sondern als Bargeld in den Keller oder unter die Matratze. Nur so entkämen die Bürger dem Zinsnachteil einer Spareinlage bzw. kämen in den Genuss eines Zinsvorteils. Doch dann ginge unsere Finanzwelt ein wie ein Primelchen in der Urlaubszeit, wenn es von den Nachbarn nicht gegossen wird. Der Bank Run, der Ansturm auf die Banken, die Schlacht um das wenige Bargeld, das nur ca. fünf Prozent der gesamten Geldmenge des Euro-Währungsraums ausmacht, würde zur Pleite des Euro-Bankensystems führen. Und die Realwirtschaft hätte sich am Ende auch ähnlich wenig bewegt wie eine Lokomotive beim Streik der Gewerkschaft der Lokführer.

Auf Seite 5: …aber was nicht passt, kann ja passend gemacht werden!





…aber was nicht passt, kann ja passend gemacht werden!



Unser Bargeldsystem ist also das entscheidende Hindernis, den Euro-Bürgern die Lust auf Sparen zu nehmen. Die Lösung ist also: Das Bargeld muss weg! Dann lassen sich Negativzinsen auch ohne Bargeldhortung und Bank Run umsetzen. Wenn die Euro-Bürger feststellen, dass das Sparguthaben bereits nominell - also vor Inflation - laufend weniger wird, werden sie das Geld lieber für Immobilien, Autos oder Möbel ausgeben.

Übrigens, im Gegensatz zu Steuererhöhungen auf Sparvermögen zum Zwecke staatlicher Konjunkturbewegung machte sich die Politik mit dieser alternativen "Konjunkturmobilisierung" auch deutlich weniger unbeliebt. Denn so lässt uns Vater Staat im Sinne von "Vogel friss oder stirb" zumindest die Wahl: Verarmungssparen oder Konsumfreuden.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, halten Sie die unkonventionelle Bargeldabschaffung für utopisch? Hätten Sie vor 2008 gedacht, dass unser Finanzsystem schulden-, geld- oder stabilitätspolitisch dort steht, wo es heute steht?

Auf Seite 6: Wann kommt sie denn nun, die Abschaffung des Bargelds?





Wann kommt sie denn nun, die Abschaffung des Bargelds?



Bleibt die Frage, wann es so weit ist. Die Bargeldabschaffung wird kommen, nicht über Nacht, sondern allmählich, in Einzelschritten. So hat die Politik genügend Zeit, die Bevölkerung an den Kulturschock der Bargeldlosigkeit zu gewöhnen. Zum Vergleich: Wenn der Schwiegersohn 10 Mal am Tag das Wort Schwiegermutter ausspricht, verliert es früher oder später ja auch an Dramatik. Der 500 Euro-Schein ist der erste, der entsorgt wird, dann der 200er. Das Klimpergeld wird frühzeitig abgeschafft. Gleichzeitig wird die Höhe von Bargeldabhebungen immer mehr eingeschränkt.

Was nun, liebe Anlegerinnen und liebe Anleger?



Glasklar wie der gläserne Bankkunde ist, dass unter der Perspektive der Bargeldabschaffung das Zinssparen nicht attraktiver wird, im Gegenteil. Auf unterirdische Zinsen, die meine Altersvorsorge schneller altern lassen als ich selbst, habe ich keine Lust. Ich habe mein Zinsvermögen längst auf ein erträgliches Maß gestutzt. So erspare ich mir zukünftige Streiche der Geldpolitik oder des Staates in punkto "Weiterentwicklung" des Zahlungsverkehrs. Zum Glück gibt es Ersatzbefriedigungen: Aktien, deren Dividenden ich langfristig immer wiederanlege, sichern mir einen alternativen Zinseszinseffekt.

Für Aktien hätte die Bargeld-Veganerie sogar einen großen Vorteil: Wenn die virtuelle Zahlungswelt die Konsum- und damit Konjunkturlaune hebt und selbst der eisern sparende deutsche Michel zu einem Konsumenten der amerikanischen Machart wird, empfängt der Aktienmarkt neben den Liquiditäts- auch die fundamentalen Freuden.

Soll die Politik das Bargeld doch abschaffen, ich habe meine Anlage-Insel gefunden!

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.