Nach dem Brexit-Schock des Vorjahres will sich die Staatengemeinschaft damit auf ihre Stärken besinnen, optimistisch in eine gemeinsame Zukunft für die 27 verbleibenden Mitgliedsländer blicken und die Leitlinien für die kommenden zehn Jahre abstecken.

Doch allzu einig wirkte die EU vor dem Rom-Gipfel zuletzt nicht: Die linksgerichtete griechische Regierung wollte die Erklärung ohne Zugeständnisse im Reformstreit mit den Euro-Geldgebern nicht mittragen, und die nationalkonservative Regierung Polens sperrte sich gegen eine zu starke Betonung eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten, nachdem bereits die Wiederwahl ihres Landsmannes Donald Tusk als EU-Ratspräsident ihr ein Dorn im Auge war.

Von diesen EU-internen Querelen will sich die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs in Rom aber nicht aufhalten lassen. "Stolz" blicke man auf das zurück, was die EU erreicht habe. Heute sei man geeinter und stärker, heißt es in dem Text, der sich an der Berliner Erklärung von 2007 orientiert. Doch anders als damals sind die Herausforderungen für die EU heute nicht mehr nur "groß", sondern "beispiellos". Dazu zählt die EU "regionale Konflikte, Terrorismus, wachsenden Migrationsdruck, Protektionismus, sowie soziale und wirtschaftliche Ungleichheit".

Der Brexit, das von Osteuropäern als aggressiv wahrgenommene Russland oder die USA werden in dem Dokument nicht explizit genannt. Der Verweis auf Protektionismus ist aber auch als Bekenntnis gegen die restriktivere US-Handelspolitik unter Präsident Donald Trump und für einen freien Welthandel interpretierbar. In der Erklärung wird zudem davor gewarnt, dass die EU im globalen Kräftespiel an den Rand gedrängt werde, falls die Mitgliedsländer allein vorangehen würden: "Einigkeit ist eine Notwendigkeit und unser freier Wille." Passagen wie diese sind zugleich eine klare Absage an Europas Rechtspopulisten, die das Rad der EU-Integration zurückdrehen wollen.

FEIERSTUNDE AUF DEM RÖMISCHEN KAPITOL



Vier Bereiche werden hervorgehoben, in denen die EU mehr leisten will: Die innere und äußere Sicherheit, den Weg zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, ein sozial gerechteres Europa und eine stärkere EU in der Weltpolitik. Zugleich will die EU offen bleiben für die beitrittswilligen Länder Europas, die die Werte der Gemeinschaft respektieren und unterstützen wollen. In einer vorigen Version hatte es noch geheißen, dass die Beitrittskandidaten die Werte "vollständig" teilen müssten. Die EU hat in der neuen Formulierung offenbar einen Mittelweg gesucht, um den Ländern des Westbalkan nicht zu suggerieren, dass es neue Hürden für ihren Beitritt gäbe. Zugleich hat in großen Teilen der EU die Betonung gemeinsamer Werte eine Renaissance erlebt - nicht nur mit Blick auf den Streit um Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen, sondern vor allem wegen der Türkei, deren Beitrittsperspektive angesichts der dortigen Menschenrechtslage und der Einschränkungen von Grundfreiheiten immer mehr schwindet.

Um eine andere Passage hatten die Vertreter der 27 EU-Regierungen besonders gerungen, nachdem es dazu schon beim letzten EU-Gipfel in Brüssel lange Diskussionen gegeben hatte: Die EU der verschiedenen Geschwindigkeiten. In Osteuropas Hauptstädten herrschte die Angst, von den großen, wirtschaftsstärkeren Ländern Westeuropas sowohl politisch wie finanziell abgehängt zu werden. Schlussendlich ist in der Rom-Erklärung ein Schachtelsatz eingeflossen, der beiden Seiten gerecht werden soll: "Wir werden gemeinsam handeln, wenn notwendig in verschiedener Geschwindigkeit und Intensität, während wir uns in dieselbe Richtung bewegen, wie wir es in der Vergangenheit getan haben, im Einklang mit den Verträgen, und lassen die Tür offen für jene, die später dazukommen wollen."

Unterzeichnet wird die Erklärung in der "Sala degli Oriazi e Curiazi" auf dem Römischen Kapitol. Es ist derselbe Saal, in dem die Vertreter der sechs Gründerstaaten am 25. März 1957 ihre Unterschriften unter die Verträge zur Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gesetzt haben. "Europa ist unsere gemeinsame Zukunft", lautet der letzte Satz der Berliner Erklärung wie auch des neuen Bekenntnisses zur EU. Mit Leben erfüllt und durch konkrete Entscheidungen unterfüttert wird es aber wohl erst nach der französischen Wahl im Mai sowie zum Bundestag im September.

rtr