Die Lage war noch nie so ernst…
…ist eines der bekanntesten geflügelten Worte von Altkanzler Konrad Adenauer. Das sieht Nobelpreisträger und US-Star-Ökonom Robert Shiller bezogen auf die Börsen offenbar genauso. Da er frühzeitig vor der Dotcom-Blase und dem Immobilien-Crash 2008 gewarnt hatte, finden seine kritischen Worte besondere Beachtung. Und die haben es in sich: Es drohe ein Platzen der Aktienblase, die vor allem US-Titel um bis zu 50 Prozent einbrechen ließe. Die Reißzwecke dazu liefere der Inflationsdruck, der aufgrund steigender Erzeugerpreise zunächst zu Margendruck bei Unternehmen führe. Insbesondere aber sähe sich die US-Notenbank bei galoppierender Inflation dazu gezwungen, Leitzinsen und Anleiherenditen noch stärker in die Höhe zu treiben.
Ein noch größeres Fass macht der Ökonom Harry S. Dent - übersetzt Dr. Zahnarzt - auf: Der anstehende Crash werde größer ausfallen als in den Jahren 2000 und 2008 und sei eher vergleichbar mit dem Absturz zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929. Insgesamt werde der Markt um "80 bis 90 Prozent" fallen und zu einer dramatischen Deflation führen.
Horrornachrichten verkaufen sich immer gut
So mancher Zeitgenosse an den Börsen giert wohl nach Aufmerksamkeit, die ihm gerade in den aktuell unsicheren Zeiten zuteilwird.
Immerhin gibt Robert Shiller im "Kleingedruckten" zu, dass es heute viel schwieriger als noch vor Jahren sei, zu prognostizieren, wann genau der Crash kommt und wie stark er ausfällt.
Grundsätzlich müssen selbst hohe Gewinnbewertungen von Aktien kein Indiz für einen bevorstehenden Aktienzusammenbruch sein. Denn die fundamentale Übertreibung kann ebenso durch steigende Gewinne über eine bessere Konjunktur geheilt werden.
In der Tat könnte 2022 das Jahr des Leben-mit-dem Corona-Virus werden. Zwar ist Omikron deutlich ansteckender. Doch genau wegen dieses Umstands könnte Omikron die vorherigen, schwereren Krankheitsverläufe auslösenden Corona-Varianten verdrängen. Da gleichzeitig die Durchimpfung und Immunisierung der Bevölkerung zunimmt, besteht die reelle Chance, Corona in den Griff zu bekommen. Engpässe bei Vorprodukten und bei der Logistik könnten dann derart abebben, dass die Weltkonjunktur sich stärker als bislang prognostiziert erholt und der rohstoffgetriebene Preisdruck abebbt. Tatsächlich nimmt der Optimismus der Frühindikatoren großflächig zu.
Aber zurück zu Mr. Dent, dem Fahnenträger der Crash-Propheten. Er gesteht, dass man keine exakte Zeitangabe für einen Crash machen kann, weil - und jetzt kommt es - die Zentralbanken weiter eine marktbeherrschende Rolle spielten. Das ist wohl auch der Grund, warum Dr. Dent nach dem großen Crash einen neuen Bullenmarkt von 2024 bis 2039 erwartet! Uns allen böte sich die Kaufgelegenheit des Lebens. Übrigens werde sich die nächste Hausse neben Asien, insbesondere Indien und China, auch wieder in den USA abspielen.
Die Geldpolitik wird die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen können
Seit der Finanzkrise 2008 gibt es eine regelrechte Inflation an Crash-Szenarien, die bislang alle an der Allmacht der Notenbanken scheiterten. Natürlich kann auch eine Fed schon aus Glaubwürdigkeitsgründen die aktuelle Inflationsbeschleunigung nicht leugnen und muss reagieren. Doch selbst wenn die US-Notenbank scheinbar in das Team Vorsicht gewechselt ist, sollten die Anleger zwischen den Zeilen lesen. Jetzt zins- und geldpolitisch die 180 Grad-Wende zu erwarten, ist falsch. Aus der Saulus- kann keine Paulus-Fed werden.
Denn dann würde die ohnehin nur künstliche Schuldentragfähigkeit vieler Schuldnerländer zerrinnen wie Sand zwischen den Fingern. Große Kapitalsammelbecken würden aus Angst vor Kursverlusten ihrer Anleihen und zur Sicherung ihrer Liquidität panisch verkaufen und damit die Zinsen erst Recht wie eine Ariane-Rakete aufsteigen lassen. Ein Überangebot an notleidenden Immobilien würde auf die Hauspreise wie Schwerkraft wirken. Dann würde tatsächlich auch der Aktienmarkt wie ein Kartenhaus einbrechen.
Und was passiert dann? Schauen wir in die Finanz-Geschichtsbücher, die Blaupausen liefern: Nach dem Platzen der House Bubble 2008 hat es schließlich auch die Konjunktur voll erwischt. Und wie haben die Notenbanken reagiert? Mit Zinssenkungen und Liquiditätsschwemmen!
Das Ausmaß der geldpolitischen Restriktion tut weniger weh als befürchtet
Selbst bei Vollausschöpfung der geplanten Zinserhöhungen bis Ende 2023 bleibt der Leitzins nach Berücksichtigung der Inflationsprognosen der Fed in negativem Terrain.
Daneben macht zwar die Entwässerung der Überliquidität bis Ende 2023 eine knappe Bio. US-Dollar aus. Das ist jedoch nur eine Abschöpfung um gut 10 Prozent. Mit dann noch gut sieben Bio. ersäuft Amerika immer noch in Liquidität, die von Unternehmen ohnehin nicht abgerufen wird. Sie vergammelt regelrecht in der Bilanz der Fed. Da insofern viel dafür spricht, dass die Nach-Inflations-Rendite 10-jähriger US-Staatspapiere auf absehbare Zeit negativ bleibt, können Zinspapiere wohl kaum mit Aktien konkurrieren. Nein, diese werden als Sachkapital grundsätzlich weiter von der nicht bekämpften Inflation verwöhnt werden wie Touristen auf Mallorca von der Sonne.
Überhaupt liegt die Patronin voller Güte - die EZB - in puncto Restriktion deutlich hinter der Fed zurück. Selbst sie wird im Zeitablauf restriktiver werden. Doch hat für die EZB Preisstabilität nicht annähernd die Bedeutung der Stabilität Europas und der Eurozone, finanziert durch viel und billiges Geld. Der eurozonale Karton darf rappeln, aber umkippen darf er nicht.
Zwar werden die Kursschwankungen zunehmen, denn die Themen Inflation und verbale Reaktion der Notenbanken sind das Megathema 2022. Doch nehmen die Notenbanken ihre Rettungsmission so ernst wie Meister Proper das Putzen.
Sicher werden die Tech-Werte den, wenn auch eher leichten Zinsanstieg verdauen müssen. Das braucht seine Zeit. Aber dafür kommen die Substanz- bzw. Value-Werte wieder auf die Börsen-Bühne zurück.
Einen Finanz-Crash, der auch zu einem System-Crash führen könnte, will niemand, wirklich niemand riskieren.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.