Für das laufende Jahr gehen sie nun davon aus, dass die Gewinne bei den DAX-Unternehmen um fünf Prozent höher ausfallen werden als 2015. Ähnliches gilt für 2017. Dies rechtfertigt eigentlich einen DAX-Stand, der eher bei 11000 bis 11500 als bei 9500 oder 10000 liegt. Das bestätigt auch eine Studie der LBBW: Wäre der deutsche Leitindex mit seinem historischen KGV-Median bewertet, also fair, wie das im Branchenjargon heißt, dann sollte er derzeit bei 11300 Punkten notieren.
Dies ist bekanntlich nicht der Fall, man kann also von einer aktuell doch sehr starken Risikoaversion der Anleger ausgehen. Momentan liegt das Forward-KGV, also die Bewertung anhand der künftig erwarteten Gewinne für den DAX, bei gerade mal 11,2. Zum Vergleich: Laut Berechnungen der LBBW verläuft die Grenze zu den 20 Prozent günstigsten DAX-Bewertungen seit Indexstart im Jahr 1988 bei einem KGV von 11,5. Aktuell liegt man also darunter.
Klar lässt sich jetzt argumentieren, dass Aktien bisweilen auch aus gutem Grund günstig sind. Nämlich dann, wenn alles noch viel schlimmer kommt als angenommen. Der DAX notiert ja nicht erst seit gestern unter seinem "fundamental fairen" Niveau. Nein, die Ängste vor einem bösen Sturz sind eigentlich schon seit Herbst vergangenen Jahres virulent. Die LBBW hat aber herausgefunden, dass der Index inzwischen so etwas wie eine Untergrenze erreicht hat, die gerade noch so für eine "normale" Unterbewertung steht. Bei 9500 Punkten ist dies der Fall.
In der Regel kommt es an solchen Extrempunkten zu einer Gegenbewegung. So eben auch am Montag, als der Leitindex gleich mehr als drei Prozent nach oben kletterte. Nur in Extremfällen - wie in den vergangenen Jahren in der Dotcom-Blase sowie der Finanz- und Eurokrise - werden solche Begrenzungen schon auch mal gerissen. Die Stimmung am Markt kippt dann in den Panikmodus oder schlägt - im positiven Fall - in grenzenlose Euphorie um. Wir haben das alles ja zur Genüge erlebt seit der Jahrtausendwende.
Die Gretchenfrage ist jetzt natürlich die, ob ein Brexit ein solcher Extremfall sein könnte. Allerdings ist sie kaum zu beantworten. Mit einem Ergebnis wird am Freitag gerechnet. Fakt ist jedoch: Seit dem Rekordhoch Mitte 2015 hat der DAX in der Spitze schon um sagenhafte 30 Prozent korrigiert - das ist mehr, als es in anderen Krisen im Schnitt der Fall war. Da ist also schon viel an schlechten News verarbeitet.
Was also tun? "Bei einem positiven Brexit-Votum ist eine Erholungsrally zu erwarten. Und auch ein kontrollierter Brexit dürfte zu großen Teilen eingepreist sein, wenngleich wohl nochmals deutlich Volatilität aufkommen dürfte", schreibt die LBBW in ihrem Marktkommentar. Dem mag man sich anschließen. Vorsichtige Naturen bleiben dem Markt also lieber fern, bis Klarheit herrscht. Man muss nicht immer investiert sein.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com