Stationen der Zinsjagd: Erst deutsche Staatsanleihen…

Es war einmal die gute alte Zeit, in der die Zinstöpfe noch prall gefüllt waren. 2008 konnten Anleger, die durch das Platzen der Immobilienblase zu Aktien-Hungerleidern wurden, mühelos bei deutschen Staatsanleihen auf ihre Nährwerte kommen. Da gab es im Durchschnitt fast fünf Prozent Rendite. Auf die Idee dieser alternativen Zinsspeisung kamen aber sehr schnell sehr viele: Schon nach einem Jahr hatten sich die deutschen Staatsrenditen um zwei Prozentpunkte reduziert.

Auf Seite 2: …dann stabile Unternehmensanleihen…

…dann stabile Unternehmensanleihen…

Trotzdem gab es keine Hungersnot unter den Zinsgläubigen. Denn anschließend fand das große Zinsfressen bei Unternehmensanleihen im Euroraum statt, die mit mindestens Investmentgrade Anfang 2009 über sieben Prozent Rendite boten. Das machte richtig zinssatt, zumindest vorläufig. Denn wie bei deutschen Staatspapieren setzte auch hier zügig die Hungerperiode ein. Bereits bis Ende 2010 hatten sich die Zinsen ungefähr halbiert.

Auf Seite 3: …dann Staatspapiere aus Euro-Süd…

…dann Staatspapiere aus Euro-Süd…

Über mangelnde Zins-Nährwerte brauchte sich aber auch da noch niemand zu beschweren. Denn 5-Sterne-Koch Mario Draghi zauberte ein üppiges Zinsmenü. Mit seinem Rettungsversprechen für die Euro-Peripherie sorgte er dafür, dass den Anlegern wie im Schlaraffenland die gebratenen Zins-Tauben nur so in den Mund flogen. Mitte 2012 gab es für fünfjährige Staatsanleihen in Portugal 11 und in Italien bzw. Spanien um die sechs Prozent Rendite. Da sich daran jedoch die gesamte Finanzwelt den Magen vollschlug, haben sich die Renditen zuletzt in etwa gedrittelt.

Mittlerweile sind alle konventionellen, früher reichhaltigen Zinsbüffets geplündert. Aus ihnen wurden wahre Hungerzonen, die nach Inflation und Steuern sogar zu Gewichtsverlust bei Zinsanlegern führen. Sparbücher oder Festgelder würde ich sogar als Sahelzonen bezeichnen.

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…und jetzt Ramsch?

Und wenn die Zinsjäger nicht gestorben sind, so jagen sie noch heute. Aber wo werden die Anleger heute noch zinssatt?

Leider treffen heute Kredit-Notstand von Unternehmen und Anlage-Notstand von Zinsanlegern zusammen, eine fatale Mischung. Die erst genannten darben, weil sie von Banken aus Risikoscheu und zur Schonung ihres Eigenkapitals zu wenig Kredite erhalten. Und die Anleger suchen nach Befriedigung ihres Zinshungers.

Das sind Zutaten für Gammelfleischskandale, auf der Zinsseite. In normalen Zeiten würden ungesunde, geschäftspolitisch schwache Unternehmen zu Recht verhungern. Aber heutzutage - in Zeiten von Zins-Armut - schreibt man einfach alternativlos hohe Renditen auf seine Ramsch-Anleihen - Entschuldigung, ich wollte natürlich Hochzinsanleihen sagen - drauf, befriedigt den Zinshunger der Anleger und macht so aus Gammelfleisch im Handumdrehen 1a-Rinderfilet. Weltweit werden aktuell Ramsch-Anleihen - ich habe mich schon wieder im Ton vergriffen - auf 2.000 Milliarden US-Dollar geschätzt. Jede dritte neue Anleihe in Europa soll gammelig sein.

Heuchlerisch warnen die Notenbanker bereits vor den Gefahren schlechter Zinsernährung. Dabei haben sie mit ihrem geldpolitischen Halali selbst zum munteren Schüsseltreiben an den Zinsmärkten geblasen. Ja, natürlich nur zum Wohl der westlichen Finanzsysteme, die ansonsten den Hungertod gestorben wären.

Das Ergebnis dieser geldpolitischen Zwangsernährung sollte aber auch bemerkt werden: Die Zinsvöllerei hat zu massivem Übergewicht von Ramsch - ich lerne es wohl nicht mehr - in Form stark gestiegener Kurse geführt. Wenn zu viele Anleger zu hohe Risiken zu zu hohen Preisen kaufen, kann man das durchaus Neuen Markt nennen, dieses Mal allerdings auf der Zinsseite. Unter normalen Umständen müssten sich Völlegefühle wie bereits 2000 auf der Aktienseite einstellen.

Aber Draghi & Co. haben offensichtlich einen guten Verdauungsschnaps zur Hand, der die Unverträglichkeit der Zinsvöllerei mildert. Nennen wir ihn Draghis Zins-Jägermeister. Die Geldpolitiker wissen, dass es an den Zinsmärkten zu keiner Unbekömmlichkeit oder gar Unwohlsein kommen darf. Die Zinsjagd muss weitergehen, weil ansonsten die Jagd auf das westliche Finanzsystem eröffnet ist.

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Mittelstandsanleihen: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht

Dennoch sollten die Anleger mindestens Bauchschmerzen haben. Aber was kann man als Anlegerin oder Anleger denn tun, z.B. bei Mittelstandsanleihen mit ihren wohlschmeckend hohen Zinsen? Das Gleiche, was man auch an der Fleischtheke des Supermarkts macht, sollte auch Maxime an der Zinstheke sein: Die Ware genau prüfen!

Kommt die Ware von einem Betrieb, der schon in der Vergangenheit für Qualität stand: Gibt es eine gute Historie des Unternehmens? Wurde schon früher ordentlich gewirtschaftet?

Bleibt die Ware lange genug frisch: Ist das Geschäftsmodell des Unternehmens auch morgen und übermorgen noch zins- und tilgungsfähig?

Kann man die Ware bei Unbekömmlichkeit zügig umtauschen: Kommt man aus der Mittelstandsanleihe X auch wieder zu akzeptablen Bedingungen an der Börse wieder heraus?

Kann man diese Fragen nicht befriedigend beantworten, verlässt man die Zinstheke eben ohne Kauf. Zur Not kann der Anleger seinen Rendite-Hunger auch anderweitig stillen: Auch andere Anlageklassen wie Aktien haben ihren Nährwert. Wohl bekommts!

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.