Solange die Bundesregierung nicht handele, würden die Durchfahrtsbeschränkungen aufrecht erhalten, "zum Wohle und zum Schutze der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger". Um Mitternacht hatte Hamburg an zwei vielbefahrenen Straßenabschnitten im Stadtteil Altona das bundesweit erste Fahrverbot für ältere Selbstzünder scharfgestellt, um die Belastung mit gesundheitsschädlichem Stickoxid in den Griff zu bekommen.

Begleitet wurde die Pressekonferenz vom Protest von Umweltinitiativen und Verbänden, die die Fahrverbote als unzureichend kritisierten. Teilnehmer husteten während der Kundgebung, hielten dazu Pappschilder mit der Aufschrift "Symbolpolitik pur" hoch. "Placebos helfen nicht!", stand auf einem Transparent. Auf den Asphalt vor dem Rathaus in Altona sprühten Umweltaktivisten mit weißer Farbe die Forderung: "Saubere Luft für alle!"

Im Rathaus warf Kerstan der Bundesregierung vor, die Interessen der Autoindustrie wichtiger zu nehmen als den Gesundheitsschutz der Menschen. Die Berliner Koalition habe seit langem gewusst, dass Hamburg wegen der hohen Luftbelastung zu einschneidenden Maßnahmen gezwungen sei - und nicht gehandelt. Dabei nahm Kerstan besonders Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ins Visier. Es grenze an "absurdes Theater", wenn dieser jetzt die Konsequenz des Nichthandelns der Bundesregierung beklage. Es sei nie das Ziel Hamburgs gewesen, Durchfahrtsbeschränkungen anzuordnen, an den betroffenen Straßen griffen aber keine anderen Maßnahmen, verteidigte Kerstan den Schritt. "Ohne die Betrügereien der Autokonzerne und die Untätigkeit des Bundesverkehrsministeriums müssten wir in Hamburg keine Diesel-Durchfahrtsbeschränkungen anordnen."

Die Bundesregierung steht unter Zugzwang, weil die EU-Kommission Deutschland wegen der hohen Luftbelastung in Innenstädten verklagt hat. Auch Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und Großbritannien stehen am Pranger, weil die vereinbarten Grenzwerte nicht eingehalten werden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte Ende Februar exemplarisch an den Fällen Stuttgart und Düsseldorf entschieden, dass Dieselfahrverbote in Städten als letztes Mittel zur Luftreinhaltung möglich sind.

BUNDESREGIERUNG IST IN SACHEN NACHRÜSTUNG GESPALTEN

Bundesumweltministerin Svenja Schulze beklagte mangelnde Rückendeckung im Kampf gegen Diesel-Beschränkungen im Kabinett. "Mein Ziel ist, dass es überhaupt keine Fahrverbote mehr in Deutschland gibt", sagt die SPD-Politikerin der Funke-Mediengruppe. "Wenn ich in der Bundesregierung aber weiterhin keine Unterstützung für die Hardware-Nachrüstungen bekomme, wird das vermutlich nichts." Sie wolle "Zwangssituationen für Kommunen" wie jetzt in Hamburg vermeiden, betonte Schulze. Zugleich warnte die Umweltministerin davor, die europäischen Grenzwerte für Stickoxide in Frage zu stellen. Diese seien "völlig in Ordnung" und zudem deutlich milder als in den USA.

Die Deutsche Umwelthilfe bewertete die ersten Fahrverbote als kleinen, aber wichtigen Schritt für saubere Luft. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sagte im Deutschlandfunk, von nun an gebe es auch für die anderen Bundesländer keine juristischen Ausreden mehr, keine Dieselfahrverbote einzuführen. Die Beschränkung auf wenige hundert Meter lange Straßenabschnitte sei allerdings Symbolpolitik. Die Maßnahmen müssten so schnell wie möglich auf alle belasteten Gebiete ausgedehnt werden. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert die Fahrverbote als unzureichend. Um die Bürger vor den hohen Luftbelastungen mit Stickoxiden zu schützen, sei eine flächendeckende Lösung unumgänglich. Die Maßnahmen Hamburgs zeigten auch, dass Software-Updates für Dieselautos ungenügend seien und nicht vor Fahrverboten schützten.

Betroffen von den Einschränkungen in Hamburg ist ein 580 Meter langer Streckenabschnitt der Max-Brauer-Allee und ein 1,6 Kilometer langer Abschnitt der Stresemannstraße, der nur für ältere Diesel-Lkw gesperrt ist. Auf der Max-Brauer-Allee gilt das Durchfahrtsverbot auch für Pkw. Die Stadt hatte in den vergangenen Wochen mehr als 100 Verbots- und Umleitungsschilder aufgestellt. Diese wurden zunächst mit roten Plastikbalken versehen und in der Nacht scharfgestellt. Die Polizei will zunächst über die Einschränkungen informieren und den Verkehr stichprobenartig kontrollieren. Nach einer Übergangszeit werden bei Verstößen Bußgelder von 20 Euro für Pkw und 75 Euro für Lkw fällig. Für Anlieger, Lieferanten, Busse sowie die Feuerwehr gelten Ausnahmeregelungen.

rtr