von Maren Lohrer, Euro am Sonntag

Tim Lobinger ist es als ehemaliger Stabhochspringer der Weltklasse gewohnt, über Hindernisse zu fliegen, seien sie auch noch so hoch. Auf das größte Hindernis seines Lebens stieß er jedoch nach seiner Karriere als Sportler. Er kämpft gegen eine Leukämieerkrankung. Ihretwegen traf Lobinger unlängst auf eine ungeahnte Barriere: Er bekommt keinen Handyvertrag über 24 Monate. ­Begründung des Providers: Er könne die Mindestlaufzeit aufgrund seiner ­Erkrankung wohl nicht erfüllen.

Diskriminierung hat viele Gesichter: Benachteiligung aufgrund von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Alter, sexueller Identität, Behinderung. Sie ist gesetzlich verboten - aber wird das auch umgesetzt? Wie sieht es im Alltag aus, wann gelten welche Sonderregeln bei Banken und Versicherungen?

2006 trat das sogenannte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, um Benachteiligung im Beruf und bei privaten Rechtsgeschäften zu be­seitigen. "Doch der Abbau von Vorurteilen, die Veränderung von Einstellungen und Sichtweisen sind ein langer Prozess und brauchen mehr als nur ein Gesetz", sagt Christine Lüders, vormalige Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Es gilt also, das Gesetz im Alltag auch durchzusetzen.

Wie der Alltag aussieht, lässt sich an den Beschwerden ablesen, die bei der Antidiskiminierungsstelle eingehen. "In unserer Beratung spielt das Thema bei Finanzdienstleistungen vor allem bei älteren Menschen, bei Menschen mit Behinderung und bei solchen mit Migrationshintergrund eine Rolle", sagt Sebastian Bickerich von der ADS. "So wird älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung der Abschluss von Versicherungs-, Kredit- oder Ratenkaufverträgen verweigert oder zu deutlich schlechteren Konditionen angeboten - etwa bei Kfz-Versicherungen." Aus der Beratungspraxis wisse man außerdem, dass Banken Betroffenen aufgrund ihres Alters sogar ganz normale Dispo- kredite kündigten.

Bei Krediten wird es knifflig

Betroffene haben es hier aber schwer, gegen Diskriminierung vorzugehen, weil bei Versicherungen und Banken ein großer Rechtfertigungsspielraum für eine unterschiedliche Behandlung wegen des Lebensalters besteht. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wird nur bei sogenannten Massengeschäften angewendet (§ 19 Abs.1 AGG). So werden Geschäfte bezeichnet, die ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in vielen Fällen zustande kommen. Dazu gehören beispielsweise Geschäfte des täglichen Lebens, bei denen eine Barzahlung erfolgt. Eine unterschiedliche Behandlung ist hier nur dann gestattet, wenn es einen sachlichen Grund dafür gibt. Ebenso der Vertragsabschluss bei Spareinlagen und Guthabenkonten: Auch hier spielt die individuelle Bonität des Kunden keine Rolle.

Ein Kreditabschluss hingegen gilt nicht als Massengeschäft. Denn bei einem Kredit werden die Kunden in der Regel nach individuellen Kriterien beurteilt und ausgesucht, die Bonität steht im Vordergrund. Für Konsumentenkredite kann etwas anderes gelten, denn sie werden meist nach typisierten und standardisierten Bedingungen erteilt.

An die ADS wurden wiederholt Fälle herangetragen, in denen die Hausbank älteren Menschen kein Hypothekendarlehen gewähren wollte, selbst wenn sie schuldenfreie Immobilien besaßen. So beschwerte sich ein Rentnerehepaar darüber, dass "die Bank X für einen Hypothekenkredit Wochen brauchte, ständig neue Unterlagen und Vermögensnachweise nachforderte, bis der vorgegebene Notartermin verstrichen war". In diesem Fall hat sich das Ehepaar andere Kreditgeber gesucht. Die dort gestellten Anträge wurden aufgrund einer einfachen Vermögensaufstellung innerhalb einer Woche genehmigt und vollzogen.

Nicht nur bei Banken, auch bei Versicherungen greift das Gleichbehandlungsgesetz oft nicht. Denn das Grundprinzip der Privatversicherung ist die Differenzierung zwischen verschiedenen Risiken. "Die Versicherer müssen Risiken korrekt, das heißt differenziert bewerten können, um den angemes­senen Preis für den Versicherungsschutz festlegen zu können", argumentiert Christian Ponzel vom Gesamt­verband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Der Gesetzgeber hat den Versicherern die Möglichkeit eingeräumt, das ­Alter als Merkmal zur Risikodifferenzierung anzuwenden, sofern dies "auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht" (§ 20 AGG). In diese Berechnung lassen sich auch statistische Erhebungen einbeziehen. Es geht dann also nicht um Diskriminierung, sondern um Differenzierung.

Im Einzelfall kann nur ein Gericht entscheiden, ob ein Versicherer einen Kunden tatsächlich wegen seines Alters benachteiligt. So erreichte die ADS folgender Fall: "Weil ich die Altersgrenze von 75 erreicht habe, hat mir meine ­Versicherung meinen Unfallversicherungsvertrag gekündigt. Die Versicherung könnte weiterbestehen, wenn ich einer Erhöhung des Beitrags um circa 200 Euro zustimme. Eine Erhöhung des Beitrags in dieser Höhe wegen Erreichung einer Altersgrenze von 75 Jahren halte ich für diskriminierend."

Die ADS riet dem Betroffenen, sich ­zunächst an den Versicherungsombudsmann zu wenden. Dieser kann als unabhängige Schlichtungsstelle die Entscheidungen der Versicherer überprüfen. Führt dies zu keinem - oder keinem den Betroffenen zufriedenstellenden - Ergebnis, bleibt der Gang vor Gericht.

Oft melden sich bei der ADS Betroffene, die sich durch die alters­bedingte Beitragserhöhung ihrer Kfz-Versicherung diskriminiert fühlen. So musste ein Betroffener, der über 40 Jahre unfallfrei gefahren war, mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres einen um 20 Prozent erhöhten Beitrag entrichten. Auch der Bund der Versicherten (BdV) kennt solche Fälle. Jahrelange Unfallfreiheit von Senioren sei kein Argument gegen altersbedingte Beitragserhöhungen, meint Bianca Boss vom BdV: "Denn in der Kfz-Versicherung werden keine Rückstellungen gebildet, die zum Aufbau eines Guthabens führen könnten." Boss weist darauf hin, dass ein individuell geringes Unfallrisiko durch jahrelange Schadensfreiheit bereits durch die Einstufung in die Schadensfreiheitsklasse berücksichtigt sei.

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Im Zweifel vor Gericht

Auch beim Einkaufen kann es zu Benachteiligungen älterer Menschen kommen. Doch auch hier ist nicht jeder Fall eine Diskriminierung, manchmal ist die Festlegung einer Altersgrenze auch rechtens. Dem Amtsgericht München lag eine Klage vor, die von einer Freiburger Rentnerin gegen einen Shopping­sender angestrengt wurde. Aufgrund ihres Alters von 84 Jahren war der Verkäufer nicht bereit, eine Ratenzahlung zu akzeptieren. Der Klägerin blieb nur die Möglichkeit, die Rechnung über andere Zahlungsarten zu begleichen. Die Seniorin witterte einen Gesetzesverstoß und erhob Anspruch auf ein Schmerzensgeld von 3.000 Euro. Ihre Begründung: Die Benachteiligung sei sachlich nicht gerechtfertigt, da ihre Bonität nicht geprüft wurde.

Das Amtsgericht München wies den Antrag der Klägerin jedoch ab. "Dass das Leben zwangsläufig mit dem Tode endet, darf das Gericht als bekanntes Faktum voraussetzen. Es gibt auch ­Erhebungen zur statistischen Lebenserwartung. Ein Teilzahlungsgeschäft ist definitionsgemäß eine auf einen längeren Zeitraum angelegte geschäftliche Beziehung", begründete der Richter sein Urteil. Das Versagen von Ratenzahlungen gegenüber betagten Kunden ist demnach ein Fall zulässiger Altersdiskriminierung.

Der Fall Lobinger hingegen könnte anders liegen. Bei Mobilfunkverträgen gibt es zwar keine formalen gesetzlichen Regelungen oder Vorschriften. Es gilt Vertragsfreiheit. Jedoch dürfen Menschen wegen einer Behinderung bei Massengeschäften wie ­Mobilfunkverträgen nicht diskriminiert werden, meint Anwalt Christian Solmecke.

Hilfe:
An wen können sich Betroffene wenden?

Wer sich diskriminiert fühlt, kann sich bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ­unter der Telefonnummer 030/185 55-18 55 oder per Mail an beratung@ads.bund.de kostenlos juristisch beraten lassen. Das gilt zum Beispiel auch bei Beschwerden im Zusammenhang mit Kreditverträgen. Hier ist ein Vorgehen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwar grundsätzlich nicht möglich. Doch die ADS bietet in solchen Fällen an, bei einer gütlichen Einigung mit den entsprechenden Banken zu helfen. "Bisweilen genügt schon der Hinweis, die ADS einschalten zu wollen", so Sebastian Bickerich von der ADS.

Neben dem staatlichen Angebot ADS existieren in einigen Bundesländern und Städten Anlaufstellen, es gibt aber kein flächendeckendes Netz. Diese Lücken versuchen Nicht-Regierungs­organisationen zu schließen, etwa der Antidiskriminierungsverband Deutschland (ADVD).