Politiker und Regulatoren im Reich der Mitte sind in erhöhter Alarmbereitschaft und versuchen verzweifelt, den Ausverkauf zu stoppen. "Wenn das nicht gelingt, kann ganz Asien und darüber hinaus in Mitleidenschaft gezogen werden", sagt Strategin Kathleen Brooks vom Brokerhaus Forex.Com. Analysten und Investoren rund um den Globus sorgen sich um das ohnehin schwächelnde Wachstum in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft und fürchten eine Finanzkrise made in China.

Seit Mitte Juni rauschen die Kurse an den Handelsplätzen in Shanghai und Shenzen in den Keller - der Schanghaier Leitindex stürzte um rund 30 Prozent ab und fiel unter die Marke von 4.000 Zählern. Bislang fruchteten niedrigere Zinsen und Transaktionskosten sowie stützende Wertpapierkäufe heimischer Broker in Milliardenhöhe wenig. Am Dienstag ging es an der Schanghaier Börse erneut 1,3 Prozent auf 3728 Punkte nach unten. Auch andere asiatische Börsen wie etwa HongKong, Korea oder Indonesien geraten unter Druck.

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VIELE CHINESEN ZOCKEN AN DER BÖRSE



Die Regierung in Peking muss vor allem den hochnervösen Privatanlegern wieder Vertrauen einflößen. Während in Amerika und Europa die Profis den Takt an den Börsen vorgeben, werden in China rund 85 Prozent der Transaktionen von Privatpersonen getätigt. Und diese gehen gern hohe Risiken ein: Weit verbreitet ist etwa, mit geliehenem Geld Hebelprodukte zu kaufen, bei denen mit geringen Beträgen große Volumen bewegt werden können. Das sogenannte "Margin Lending" ermöglicht Kleinanlegern mit schmalem Geldbeutel einen hoch spekulativen Handel.

Befeuert von diesen riskanten Wetten waren die Kurse in China bis Juni monatelang nach oben geschossen. Die Mehrzahl der Marktexperten hatte wegen des Kursplus von rund 150 Prozent im Zeitraum November bis Mitte Juni von einer Spekulationsblase bei chinesischen Aktien gesprochen. Mit zahlreichen Maßnahmen versuchte Peking daher, den Markt abzukühlen. So wurden die Bedingungen für das mit geliehenem Geld betriebene Geschäft verschärft und höhere hinterlegte Sicherheiten von den Investoren gefordert. Doch so leicht geht der Geist nicht zurück in die Flasche: Marktteilnehmer warnen davor, dass immer noch riesige gehebelte Positionen vorhanden sind, die irgendwann abgewickelt werden müssen. Hinter vorgehaltener Hand schätzen sie die Größenordnung auf vier Billionen Yuan, umgerechnet rund 587 Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr der jährlichen Wirtschaftsleistung der Schweiz.

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"REGIERUNG MUSS DEN MARKT RETTEN"



Um die Märkte nach dem jüngsten Kursverfall zu stützen, öffnete China die Geldschleusen weiter. Die Zentralbank beschloss Ende Juni die vierte Zinssenkung seit November und erleichterte zugleich für bestimmte Banken die Kreditvergabe. Eine solche doppelte geldpolitische Lockerung gab es zuletzt auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise 2008 - laut Analysten vor allem eine Beruhigungspille für Investoren. "Die Regierung muss den Markt retten, nicht mit leeren Worten, sondern mit Silber und Gold", fordert Stratege Fu Xuejun vom Brokerhaus Huarong Securities. Ein Börsencrash würde sonst Banken, Konsum und Unternehmen mitreißen und für soziale Instabilität sorgen.

Unterstützung kam am vergangenen Wochenende von 21 führenden Brokern und Fonds-Anbietern. Sie wollen mindestens 17,3 Milliarden Euro in Wertpapiere investieren und nichts verkaufen, bis sich der Leitindex auf über 4500 Punkte erholt hat. Die chinesische Börsenaufsicht dämmte dazu die Flut an Neuemissionen und Kapitalerhöhungen ein. 28 Börsen-Anwärter gaben ihre Pläne für einen Sprung auf das Handelsparkett auf. "Peking ist extrem bemüht, panikartige Verkäufe zu unterbinden", sagen die Analysten der NordLB. "Von einem Stimmungswechsel kann man allerdings noch nicht sprechen."

Im Ringen um Stabilität suchen die Finanzmarktaufseher auch verstärkt nach Hinweisen auf illegale Marktmanipulationen. Dazu setzte die chinesische Wertpapieraufsicht CSRC eigens ein Team an Ermittlern ein. Viele chinesische Investoren glauben, dass die Schuld an der Talfahrt bei ausländischen Investoren liege, die massiv auf fallende Kurse in China gewettet haben sollen.

Reuters