Der DAX durchlebt derzeit heiß-kalte Wechselbäder. Aufkeimende Hoffnungen auf eine Waffenruhe oder gar einen Frieden in der Ukraine haben den Leitindex am Dienstag um fast drei Prozent auf den höchsten Schlusskurs seit Ausbruch des Krieges gehievt. Am Tag darauf ließen neue Konjunktursorgen das Börsenbarometer schon wieder einbrechen. Die Wirtschaftsweisen haben ihre Wachstumsprognose für Deutschland in diesem Jahr auf 1,8 Prozent gesenkt und schließen eine schwere Rezession nicht mehr aus. Sprunghaft verteuerte Energiepreise wiederum ließen die Inflationsrate im März auf 7,3 Prozent hochschnellen - der höchste Stand seit 1981.

Bei den DAX-Konzernen könnte sich in diesem Jahr einiges zusammenbrauen. Dabei konnten die meisten noch im vergangenen Jahr gestörten Lieferketten, Materialengpässen und starken Preisanstiegen trotzen sowie Umsätze und Gewinne auf Rekordniveau erzielen. Dass es 2022 so weitergeht, wird allerdings immer unwahrscheinlicher. Insbesondere der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Unsicherheiten und Engpässe setzen der Wirtschaft immer heftiger zu - und das betrifft nicht nur Gaslieferungen.

Beispiel MAN: Wegen kriegsbedingt fehlender Kabelbäume aus der Ukraine steht die Produktion beim Münchner Lkw-Hersteller wohl noch wochenlang still, wie die Tochter der VW-Lastersparte Traton erklärte. Die für mehrere Standorte bereits bestehende Kurzarbeit wird verlängert und ausgeweitet, mittlerweile sind 11 000 der 14 000 MAN-Mitarbeiter in Deutschland davon betroffen. "Damit droht ein mehrwöchiger Ausfall der Lkw-Produktion und eine deutliche Einschränkung der Fertigung im zweiten Quartal", erklärte das Unternehmen.

BMW, VW, Mercedes belastet

Zu den Materialengpässen auch als Folge verschärfter Sanktionen kommen jetzt immer stärker steigende Kosten, die die Unternehmen belasten. Die wiederum versuchen ihrerseits, das an die Kunden weiterzugeben. Preisanhebungen auf breiter Front sind die Folge. Das wiederum lässt deutlich höhere Lohnforderungen als Ausgleich erwarten - das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale steigt.

Wie sich die Zuspitzung der Lage und die zunehmende Unsicherheit in den Geschäftszahlen der Unternehmen niederschlagen wird, ist noch völlig offen. Während die meisten DAX-Konzernchefs in der zurückliegenden Bilanzsaison ohnehin schon darauf verzichteten, konkrete Ergebnisprognosen abzugeben, senkten viele Analysten bereits ihre Gewinnschätzungen.

Die größten Belastungen hätten demnach neben Autobauern wie BMW, VW und Mercedes Konsumgüterhersteller wie Hen- kel und Luftfahrtkonzerne wie Lufthansa zu verkraften. Zu den Unternehmen, die ihre Belastungen bereits beziffern, zählt der Autobauer BMW. Allein als Folge von Produktionsunterbrechungen könnte es in den kommenden Monaten zu Ergebnisbelastungen von 950 Millionen Euro kommen. Volkswagen will die Belastungen dagegen noch überhaupt nicht eingrenzen, denn die Lage sei "völlig unklar".

Nie dagewesene Ereignisse

Das zeigte sich diese Woche vor allem beim drohenden russischen Gas-Lieferstopp. Die Bundesregierung stellt sich auf eine Verschlechterung der Gasversorgung ein und hat am Mittwoch die Frühwarnstufe des sogenannten Notfallplans Gas ausgerufen. Volkswirte verweisen darauf, dass ein solcher Lieferstopp ein noch nie dagewesenes Ereignis sei und deshalb schwer in Modellen abzubilden. Auch für die Unternehmen sind die Folgen kaum zu kalkulieren.

Klar scheint derzeit nur, dass ein solcher Lieferstopp zu einem massiven Wirtschaftseinbruch führen könnte und als erstes die chemische Industrie als deutsche Schlüsselbranche am stärksten darunter zu leiden hätte.