Vorschläge liegen schon länger auf dem Tisch: von mehr Steuermilliarden über Deckel für Eigenanteile bis zum kompletten Umbau des Modells. Die jetzige Große Koalition besiegelte auf den letzten Metern bereits noch Entlastungen und Vorgaben zur besseren Bezahlung von Altenpflegekräften. Verbraucher- und Patientenschützer machen aber Druck für mehr.
Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Kosten seien so exorbitant gewachsen, dass sie für viele Menschen nicht zu stemmen und praktisch der sichere Weg in die sozialen Sicherungssysteme seien. Zugleich könnten Lohnnebenkosten nicht immer weiter steigen. "Deshalb brauchen wir einen zunehmenden Anteil an Steuermitteln." Bei den steigenden Eigenanteilen für die Pflege im Heim sei "eine ganz klare Deckelung" nötig, indem die Pflegeversicherung einen höheren Anteil übernehme.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der dpa: "Gerade wenn faire Löhne notwendig sind, galoppieren die tatsächlichen Kosten den Betroffenen davon. Opfer dieses fatalen Mechanismus sind sowohl zu Hause betreute Menschen als auch Pflegeheimbewohner." Die Pflegeversicherung müsse endlich generationsgerecht, zukunftssicher und durchfinanziert werden.
Selbst zu zahlende Anteile für Heimbewohner steigen seit Jahren und liegen nun bei 2125 Euro pro Monat im Bundesschnitt. Das sind 57 Euro mehr als zu Jahresbeginn und 110 Euro mehr als Mitte 2020, wie Daten des Verbands der Ersatzkassen mit Stand 1. Juli zeigen. Darin ist zum einen der Eigenanteil für die reine Pflege enthalten. Denn die Pflegeversicherung trägt - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten. Hinzu kommen aber noch oft ebenfalls steigende Kosten für Unterkunft, Verpflegung und auch für Investitionen in den Einrichtungen. Und es gibt erhebliche regionale Unterschiede.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) steuerte mit einer Reform schon gegen. Ab 1. Januar 2022 kommt ein neuer Zuschlag. Der Eigenanteil für die reine Pflege soll damit im ersten Jahr im Heim um 5 Prozent sinken, im zweiten um 25 Prozent, im dritten um 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 70 Prozent. Zugleich darf es Versorgungsverträge ab September 2022 nur noch mit Heimen geben, die nach Tarif oder ähnlich zahlen. Zur Finanzierung soll der Pflegebeitrag für Kinderlose von 3,3 auf 3,4 Prozent steigen. Der Bund gibt ab 2022 außerdem jährlich eine Milliarde Euro als Zuschuss in die Pflegeversicherung.
Müller sprach mit Blick auf die Entlastungen von einem "bösen Foul". Die Regierung habe eine Dynamisierung der Pflegeleistungen für die nächsten Jahre ausgesetzt. "Das heißt, die Pflegebedürftigen selber haben aus der linken Tasche die Verbesserungen für die rechte Tasche finanziert." Brysch sagte, die Pflegeversicherung sei "nicht mal eine Teilkaskoversicherung", sie basiere auf dem Zuschuss-Prinzip. Über Anpassungen der Zuschüsse entscheide allein die Regierung - dies müsse aber von der Ausgabenentwicklung bestimmt werden. "Das ist keine Vollfinanzierung. Denn für Unterbringung, Verpflegung und überdurchschnittlichen Komfort zahlt der Pflegebedürftige selbst."
Insgesamt bekamen Ende vergangenen Jahres gut 4,3 Millionen Menschen Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung - Ende 2019 waren es noch knapp unter vier Millionen gewesen. In den Wahlprogrammen stellen die Parteien teils weitreichende Finanzreformen in Aussicht.
"Wir wollen eine Vollversicherung als Bürgerversicherung, die alle pflegerischen Bedarfe und Leistungen abdeckt", erklärt die SPD. Ein erster Schritt dahin sei eine Deckelung des Eigenanteils für Pflegebedürftige mit kleinen und mittleren Einkommen. Künftige Kostensteigerungen sollten über einen Mix aus "moderat steigenden" Pflegebeiträgen und einem "dynamischen Bundeszuschuss" finanziert werden.
Die Grünen wollen Eigenanteile mit einer "doppelten Pflegegarantie" senken und deckeln. Die Pflegeversicherung soll dann alle darüber hinausgehenden Kosten für ambulante wie stationäre Pflege tragen. "Mit einer solidarischen Pflege-Bürger*innenversicherung wollen wir dafür sorgen, dass sich alle mit einkommensabhängigen Beiträgen an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligen", heißt es im Programm.
Die Union will prüfen, "wie wir das Instrument der betrieblichen Pflegezusatzversicherung stärken und staatlich fördern können". Um angesichts des demografischen Wandels unverhältnismäßig steigenden Beiträgen entgegenzuwirken, solle der Pflegevorsorgefonds bis 2050 verlängert werden. Er soll laut Gesundheitsministerium ab 2035 dabei helfen, den Beitragssatz zu stabilisieren.
Die FDP will an der Pflegeversicherung als "Teilleistung" festhalten und sie - wie bei der Rente - mit privater und betrieblicher Vorsorge ergänzen. "Insbesondere der Ausbau von betrieblichen Modellen zur Pflegezusatzvorsorge ist zu unterstützen." Die Linke will eine Vollversicherung, die alle Pflege-Leistungen übernimmt, Eigenanteile sollen entfallen. "Pflegebetriebe, die nicht gemeinnützig arbeiten, wollen wir in Gemeineigentum überführen." Die AfD schlägt eine Zusammenlegung von Pflege- und gesetzlicher Krankenversicherung vor. "Der Leistungsumfang der sozialen Pflegeversicherung soll dabei dem Versicherungsprinzip in der Krankenversicherung angeglichen werden."
dpa-AFX