von Jochen Werne, Bankhaus August Lenz & Co AG
Wer professionell anlegen will, braucht neben Daten immer auch den Dialog. Daran führt kein Weg vorbei. Dies gilt für professionelle Anleger wie Warren Buffett genauso wie für den Privatanleger, der sich nicht täglich mit Finanzanlagen beschäftigen kann und will. Zu groß ist die Menge der Finanzprodukte, zu komplex die Bewertung von Chancen und Risiken. Dabei ist für den Privatanleger die Diversifikation des Portfolios einer der wichtigsten Punkte überhaupt: nicht alles auf eine Karte setzen, sondern breit gestreut investieren. Deshalb ist der Blick auf die Situation des Einzelnen so wichtig - egal, wie viel er anlegen möchte. Das geht aber über das digitale Leistungsvermögen vieler Onlinebanken und auch der neu auf den Markt drängenden Fintechs hinaus. Denn dazu müssen Menschen miteinander reden, Erwartungen erfragen, Ängste beruhigen, einen gemeinsamen "Draht" aufbauen. Und zwar zwischen Anlegern, die heute digital breit informiert sind, und Beratern, die mündige Kunden sehr ernst nehmen müssen. Berater, die auch außerhalb von Bürozeiten für Fragen erreichbar sind und die auf ihre Kunden - gerade in Krisenzeiten - proaktiv zugehen.
Das ist für die meisten Anleger noch ein Wunschtraum, ein Service, den meist nur vermögende Private-Banking-Kunden genießen dürfen. Doch anspruchsvolle Retailkunden zwingen Finanzinstitute, ihre Beratungskultur zu ändern. Dieser Marktdruck führt zu einem Spagat zwischen Digitalisierung und Personalisierung, der mit dem Besten aus beiden Welten für Anleger am erfolgversprechendsten ist. Dieser Paradigmenwechsel stellt jedoch Onlinebanken, Fintechs und klassische Geldhäuser vor große Herausforderungen. Der Investor informiert sich aus Onlinequellen, die auch Profis nutzen, er kann weltweit neueste Experten- und Analystenmeinungen in Echtzeit abfragen. Aber: Oftmals fehlt ihm der Partner, mit dem er sich auf Augenhöhe über diese Informationen austauschen kann. Zum einen, weil dieser Ansprechpartner in manchen Geschäftsmodellen nicht vorgesehen ist, zum anderen, weil die Ressource Mensch für einige Geschäftsmodelle in der Beratung eines Retailkunden einfach zu teuer ist.
Dieses Dilemma bietet eine große Möglichkeit für innovativ denkende Marktteilnehmer. Dies ist keine These, denn Pioniere einer "alternativen Entwicklung" bei den Finanzdienstleistern sind bereits da und läuten ein neues Zeitalter für Privatanleger ein. Hoch flexible Privatbanken ohne aufgeblähten, kostenintensiven Verwaltungsapparat drängen in die entstandene Marktlücke und bieten bereits heute dem normalen Privatanleger einen persönlichen Beratungsservice - und das schon ab dem ersten Euro Einlage -, den Großbanken nur bei vermögenden Kunden kostenneutral abbilden können. Aufgrund ihrer Größe und der Nähe zum Kunden agieren diese Privatbanken sehr flexibel in einem hochkomplexen Markt und kommen auch dem immer lauter werdenden Ruf des Kunden nach Digitalisierung mit innovativen und kundenorientierten Lösungen nach.
Die Balance zwischen umfassender Information und menschlichem Einfühlungsvermögen ist es, was unserer Meinung nach die Beratung der Zukunft bestimmen wird. Aus Anlageberatern werden Beziehungsmanager, die dem Kunden aufgrund ihrer Nähe zu ihm helfen, nicht nur die richtigen Anlageentscheidungen zu treffen, sondern - viel wichtiger - diese auch durchzuhalten und nicht Opfer der eigenen Emotionen zu werden, wie es Behavioral-Finance-Experten immer wieder in Studien aufzeigen. Wer sich in der Anlageberatung auf diesen Spagat zwischen Digitalisierung und Personalisierung einlässt, wird in den nächsten Jahren nicht nur die Herzen, sondern auch die Portfolios der Kunden gewinnen. Denn wer als Anleger sein Geld optimal arbeiten lassen und dabei den völligen Rundumservice aus persönlicher Beratung plus allen Abrufmöglichkeiten und Konto-/Kartenannehmlichkeiten genießen möchte, wird diesen Service als normal voraussetzen und gezielt nach solchen Anbietern suchen.
Jochen Werne
Jochen Werne, der diplomierte Marketing- und Bankingspezialist, verantwortet Marketing, Product Management, Training, Business Development und Treasury bei der Bankhaus August Lenz & Co AG in München. Das Bankhaus August Lenz ist die deutsche Tochtergesellschaft der europäischen Mediolanum Banking Group, die mit über einer Million Kunden mehr als 70 Milliarden Euro Kundengelder verwaltet.