Wer in diesen Tagen für das Alter ertragsorientiert vorsorgen möchte, kann auf eine Beimischung von Aktien und Fonds in seinem Depot nicht verzichten. Umso bedauerlicher ist es, wenn in einer an renditestarken Anlagen armen Zeit viele Kunden bei Anlageentscheidungen allein gelassen werden.
Genau dies geschieht leider, weil sich immer mehr kleine Banken regulierungsbedingt aus der Aktienberatung zurückziehen müssen. Das Deutsche Aktieninstitut hat kürzlich dazu eine Studie vorgelegt. Laut dieser Untersuchung, die auf der Befragung von 1616 deutschen Kreditinstituten beruht, bieten über 40 Prozent der Banken mit einer Bilanzsumme von weniger als 500 Millionen Euro keine Aktienberatung mehr an. Das deckt sich in der Größenordnung mit den Ergebnissen vieler Gespräche, die ich dazu mit den Vorständen bayerischer Volksbanken und Raiffeisenbanken in den vergangenen Monaten geführt habe. Ich empfinde diese Entwicklung als erschreckend.
Die Ursache des Rückzugs ist keineswegs neu. Sie ist hausgemacht und Folge des Regulierungsprogramms, mit dem sich die Banken in Deutschland seit Jahren konfrontiert sehen. Vermeintlich gut gemeinter Verbraucherschutz verkehrt sich mittlerweile in sein Gegenteil. Denn der gesamte Bürokratieprozess rund um Beratungsprotokolle und Produktinformationsblätter lässt für viele kleine Banken längst kein betriebswirtschaftlich sinnvolles Angebot von Beratungsleistungen mehr zu. Der bürokratiebedingte Aufwand steht oft in keinem Verhältnis zum Ertrag. Die Leidtragenden sind die Kunden. Selbst dort, wo Aktienberatung noch stattfindet. Denn zunehmend erleben unsere Mitgliedsbanken ob des undifferenzierten Protokollierungszwangs genervte Kunden. Insbesondere dann, wenn es sich um solche handelt, die regelmäßig investieren. Sie wissen, was sie tun, weil sie mit der Materie vertraut sind. Sie wollen häufig auf die Beratungsdokumentation verzichten, fordern das regelrecht ein. Und doch können die Banken dem nicht stattgeben, weil sie dann gegen Gesetze verstoßen und Mängelfeststellungen der Bankenaufsicht die Folge wären.
Es ist deshalb dringend notwendig, die politischen Konsequenzen aus der Einführung von Beratungsprotokollen und Produktinformationsblättern zu ziehen. Auch, damit ein an sich durchaus sinnvolles Instrument nicht zum Nachteil weiter Bevölkerungskreise wird, weil sie womöglich bald keine Banken mehr finden, die ihnen eine Wertpapierberatung anbieten.
Richtig dimensioniert und dort eingesetzt, wo es sinnvoll ist, können Beratungsprotokolle eine echte Hilfe sein. Es ist jetzt aber an der Zeit, den Praxiserfahrungen der vergangenen Jahre Rechnung zu tragen und die Rahmenbedingungen für eine Bankberatung wieder anlegergerecht zu justieren. Ich erwarte, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ihr eigenes Pflichtenheft ernst nehmen und konzentriert das umsetzen, was die sie tragenden Parteien im Koalitionsvertrag letztes Jahr angekündigt haben. Unvergessen ist mir der Wortlaut der einschlägigen Passage, nach der "die Zweckmäßigkeit und Verständlichkeit von Produktinformationsblättern und Beratungsprotokollen regelmäßig überprüft und Verbesserungen umgesetzt werden". Ich nehme die Koalition beim Wort und vertraue darauf, dass sie selbiges hält.
In diesem Sinne fordere ich, dass Anleger auf eigenen Wunsch im Beratungsgespräch sehr wohl auf ein Protokoll verzichten können. Außerdem sollten Produktinformationsblätter für Einzelaktien sowie einfache Anleihen abgeschafft werden. Der Verbraucherschutz im Finanzbereich muss sich wieder stärker am Leitbild des mündigen Bürgers orientieren. Ich plädiere dafür, den Menschen im Bereich der ökonomischen Bildung gezielte Hilfestellungen zu geben, ihnen dann aber auch etwas zuzutrauen und sie nicht bevormunden zu wollen.
Stephan Götzl
Prof. Dr. h.c. Götzl ist Präsident und Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Der 54-jährige Diplom-Kaufmann vertritt in dieser Funktion seit neun Jahren die Interessen von 1296 genossenschaftlichen Unternehmen im Freistaat. Dazu zählen 286 Volksbanken und Raiffeisenbanken mit einer Bilanzsumme von 137,2 Milliarden Euro und mehr als 2,5 Millionen Genossenschaftsmitgliedern.