Kein Tag vergeht, an dem das Thema Energiepreise nicht in irgendeiner Form in den Medien auftaucht. Man könnte auch sagen: Die Hiobsbotschaften überschlagen sich. Insolvente Anbieter, Belieferungsstopps, Fragen zu den Folgen des Überfalls Russlands auf die Ukraine - und immer weiter steigende Preise. So lag der Einfuhrpreis für Erdgas im Januar 2022 etwa viermal so hoch wie ein Jahr zuvor.

Noch nie zuvor, sagt denn auch Christina Wallraf, bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zuständig für Energiethemen, seien sie in den Beratungsstellen so überrannt worden. Weil der Andrang bei Einzelberatungen kaum noch zu bewerkstelligen ist, ist man mittlerweile dazu übergegangen, immer wiederkehrende Fragen in Online-Meetings zu bearbeiten. Zudem mehren sich die Musterbriefe im Netz, mit denen Betroffene sich gegen Lieferstopps, unberechtigte Kündigungen oder nicht korrekt vorgenommene Preiserhöhungen wehren können.

Schlichtungsstelle Energie hilft

Auch bei der Schlichtungsstelle Energie ist man gerade dabei, das Team aufzustocken. Gesucht werden Volljuristen und Rechtsanwalts- oder Notarfachangestellte. Die aufgrund einer EU-Vorgabe gegründete Institution fungiert als Mittler zwischen den am Strom- und Gasmarkt beteiligten Unternehmen und Verbrauchern. Sprich: Sie versucht, gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Und das, zumindest in der Vergangenheit, ziemlich erfolgreich. "In etwa 80 Prozent der Fälle kommen wir zu einer einvernehmlichen Lösung", erläutert Geschäftsführer Thomas Kunde.

Ob das allerdings auch in diesem Jahr gelingen kann, scheint zumindest fraglich. Im Schnitt waren seit der Gründung 2011 rund 5.000 Anfragen pro Jahr zu bearbeiten. 2021 wurden die Schlichter knapp 8.000 Mal eingeschaltet. Allein im Januar 2022 gingen aber bereits über 1.000 Anfragen ein. Inzwischen, räumt Kunde ein, sei man "etwas in Verzug geraten".

Doch nicht nur der enorm steigende Bedarf macht Beratern und Schlichtern zu schaffen, sondern auch die Vielschichtigkeit der Probleme, die von steigenden Förderpreisen über den Krieg Russlands gegen die Ukraine bis zur EEG-Umlage und C02-Bepreisung reichen. In den vergangenen Monaten, so sieht es auch Jan Rabe, Geschäftsführer von Wechselpilot, hätten sich so viele Rahmenbedingungen verändert, dass nicht nur die Verbraucher "extrem verunsichert sind", sondern fast alle, die am Markt agieren.

Rabes eigenes Unternehmen ist da ein gutes Beispiel. Wechselpilot und einige weitere Anbieter sind mit ihrem Geschäftsmodell noch recht neu auf dem Markt. Ihre Dienstleistung baut auf der von Vergleichsportalen wie Check 24 oder Verivox auf, bei denen Verbraucher Preise vergleichen und dann zum günstigsten Anbieter wechseln können. Die Neuen erweitern diese Dienstleistung, indem sie selbst vergleichen und zusätzlich auch die Abwicklung des Wechsels übernehmen.

Im Moment durchaus ein schwieriges Geschäft. Denn möglich und sinnvoll waren Wechsel in der Vergangenheit vor allem deswegen, weil mit der Liberalisierung des Strommarkts 1998 Newcomer den alten Anbietern mit neuen Konzepten Konkurrenz machten. Das erreichten sie unter anderem dadurch, dass sie keine - oder nur zum Teil - längerfristigen Versorgungsverträge abschlossen. Stattdessen kauften sie kurzfristig ein, wenn die Preise günstig waren. Ein Geschäftsmodell, das mit den stark steigenden Beschaffungskosten allerdings vielerorts kollabierte und damit eine Kettenreaktion auslöste.

Musterklage gegen Stromio

Mehrere Anbieter mussten gleich Insolvenz anmelden. Andere stellten - wie Stromio oder Gas.de - die Belieferung einfach ein. Ein Vorgehen, dessen Rechtmäßigkeit vielerorts bezweifelt wird. Die Verbraucherzentrale Hessen hat gerade eine Musterfeststellungsklage gegen Stromio angekündigt. Und auch Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), bezeichnet die Einstellung als "vertragswidrig".

Betroffenen Kunden nützt das allerdings zunächst wenig, denn oftmals kommen sie vom Regen in die Traufe: Mit dem Belieferungsstopp fallen sie zunächst in die Ersatzversorgung und dann in die Grundversorgung bei dem Anbieter, der die meisten Kunden in der jeweiligen Gemeinde versorgt.

Das Problem: Diese kosteten schon in der Vergangenheit in der Regel meistens mehr als die Alternativen und haben jetzt oft extra für die unfreiwilligen Neukunden spezielle Tarife eingeführt, die noch einmal deutlich teurer sind als die für Bestandskunden. So zahlten Letztere beispielsweise beim Hessischen Versorger Mainova Ende Januar 32,61 Cent pro Kilowattstunde für den Strom-Grundtarif . Neukunden mussten mit 79,88 Cent pro Kilowattstunde fast zweieinhalb Mal so viel hinblättern. Andere Anbieter verlangen sogar noch mehr, weiß Expertin Wallraf. Insgesamt, so ermittelte das Vergleichsportal Verivox, haben seit Oktober 2021 über 250 Grundversorger erhöhte Neukundentarife eingeführt.

Hier hört die Einigkeit von Verbraucherschützern und Branchenverband BDEW auf. Während der BDEW das Vorgehen der Grundversorger klar verteidigt, gehen die Verbraucherschützer derzeit dagegen vor. Exemplarisch haben sie inzwischen gegen drei Anbieter eine einstweilige Verfügung beantragt, über die allerdings bei Redaktionsschluss noch nicht entschieden war.

Grundversorger, so die Argumentation des BDEW, mussten in den vergangenen Wochen Hunderttausende Neukunden in die Ersatzversorgung aufnehmen und für sie Energie beschaffen. 25.000 waren es nach Angaben des Unternehmens rund um die Weihnachtszeit allein beim Kölner Versorger Rheinenergie. Von mehreren Tausend sprechen auch die Stadtwerke München.

Welcher Neukundenpreis ist fair?

Um die kurzfristig derart angewachsene Kundschaft zu versorgen, so Andreae, mussten die Grundversorger teilweise um 400 Prozent höhere Beschaffungskosten in Kauf nehmen. Die erhöhten Neukundenpreise sieht man daher vor allem als Schutz der Bestandskunden. Andernorts wird man sogar noch deutlicher. Bei gleichen Tarifen, heißt es, müssten dann alle Kunden die sogenannten Billighopper mitsubventionieren, also jene, die vorher durch ständige Wechsel für sich das Beste herausgeholt hätten. Dies sei besonders schändlich, weil gerade in der Grundversorgung viele Kunden sind, die wenig Geld haben und aufgrund schlechter Schufa-Einträge diese nicht verlassen können.

Der Jurist Holger Schneidewindt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hält solche Argumente in dieser Diskussion allerdings für nicht zielführend. Schützenswerte Gruppen gebe es hier wir dort, erläutert er. Denn oft sei ein geringes Einkommen ja gerade der Grund, warum jemand einen Billiganbieter wähle. Und andersherum seien gerade bei regionalen Stadtwerken auch viele Bezieher, die bewusst in der Grundversorgung geblieben seien - beispielsweise, weil die Erlöse dieser Anbieter zum größten Teil in die Gemeinde zurückfließen und damit Infrastrukturaufgaben oder öffentliche Bäder finanziert werden. Genaue Zahlen, wie viele Haushalte das jeweils betrifft, hat allerdings niemand.

Die Verbraucherzentralen begründen ihr Vorgehen daher auch schlicht mit der Elektrizitätsrichtlinie 2012/944 der Europäischen Union, die klar vorschreibt, dass es für die Grundversorgung diskriminierungsfreie Preise geben muss. "Eine Unterscheidung nach Eingangsstempel", so Schneidewindt, bewirke jedoch genau das.

Ganz gleich, wie die gerichtliche Auseinandersetzung ausgeht: Die Verbraucher bleiben in einer verzwickten Lage. Ratschläge, die noch vor ein paar Wochen gerade auch aus Sicht von Verbraucherschützern sinnvoll waren - nämlich regelmäßig den Versorger zu wechseln, um Kosten zu sparen -, haben sich fast ins Gegenteil verkehrt. Wer einen einigermaßen tragbaren Tarif hat oder nur geringe Erhöhungen in Kauf nehmen muss, für den kann Stillhalten derzeit durchaus die beste Lösung sein.

Was aber nicht bedeutet, dass man sich jede Preiserhöhung gefallen lassen muss, wie Verbraucherschützerin Wallraf betont. Neben der Prüfung juristischer Möglichkeiten empfiehlt sie, weiterhin die Preise auf den üblichen Vergleichsportalen und mögliche Wechseloptionen im Auge zu behalten. Oder selbst aktiv beim Grundversorger anzufragen, der derzeit eine gute Alternative sein könne. Einige, etwa die Stadtwerke München, haben bislang noch gar nicht oder allenfalls moderat die Preise erhöht. Oft finden sich aber gerade diese Tarife nicht in den Suchmaschinen.

Für und Wider Wechseldienstleister

Auch Dienstleister wie Wechselpilot, so Wallraf, können eine Alternative sein, wenn man die Suche nicht selbst leisten kann oder will. Vor Inanspruchnahme gilt es aber auch hier, sich gut zu informieren, beispielsweise darüber, wie sie sich finanzieren. Einige, darunter auch Wechselpilot, berechnen ihre Provision aus der Ersparnis des Kunden, andere erhalten Provisionen von den Anbietern. Zudem, so Wallraf, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man trotz Unterstützung selbst der Vertragspartner des Anbieters bleibt. Kommt es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, ist man wieder selbst in der Pflicht.

Somit gilt auch für die Wahl des Wechseldienstleisters, was derzeit allgemein für den Energiemarkt gilt: Umfassende Information ist wichtig. Vorschnell handeln empfiehlt sich eher nicht.

Was tun, wenn der Versorger die Belieferung einstellt?

Sofort alle Zahlungen stoppen (Daueraufträge stornieren, Einzugsermächtigungen überprüfen)

Zähler ablesen und Stände dokumentieren

Den Tarif des Ersatz- respektive des Grundversorgers mit alternativen Anbietern vergleichen und bei großen Differenzen wechseln. Die Ersatzversorgung (§ 38 EnWG, betrifft die ersten drei Monate) können Sie jederzeit und ohne Frist durch Abschluss eines anderen Liefervertrags aufkündigen; bei der Grundversorgung beträgt die Kündigungsfrist 14 Tage

Prüfen, ob eine Schadenersatzforderung sinnvoll ist (Faustformel: je länger die Laufzeit, umso lohnender)

Informationen zur Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Hessen gibt es hier: https://www.verbraucherzentrale-hessen.de/musterfeststellungsklage-wir-klagen-fuer-sie-69967

Worauf Sie grundsätzlich beim Wechsel des Tarifs achten müssen:

1. Die wichtigste Information vorab: Wechseln Sie nicht vorschnell zu vermeintlich günstigeren Anbietern. Ist der Preis, den Sie zahlen, in vertretbarem Rahmen, warten Sie besser ab und beobachten den Markt.

2. Nutzen Sie für den Vergleich immer mehrere Vergleichsportale, denn die benutzten Filter können sehr unterschiedlich sein. Außerdem listet kein Portal alle Anbieter auf.

3. Vorsicht bei Preisangaben. Gerade im Moment sind die in Portalen eingestellten Preise oft veraltet. Daher zusätzlich immer direkt beim Versorger nachfassen.

4. Vorsicht auch bei den Angaben zum Abschlag. Oft wird ein Durchschnittspreis pro Monat angegeben. Weil hier aber Boni eingerechnet sind, kann der tatsächliche Abschlag höher sein.

5. Überlegen Sie sich gut, ob eine Preisbindung für Sie das Richtige ist. Sie schützt erstens nicht vor allen Erhöhungen und macht zweitens unflexibel, wenn die Preise - wie prognostiziert - im Sommer wieder sinken.

6. Lassen Sie sich grundsätzlich nicht auf hohe Vorauszahlungen ein.

7. Überprüfen Sie anhand des bisherigen Verbrauchs, ob die verlangten Abschläge realistisch sind.

Hilfe durch Schlichtung:

Geht es um Strom oder Erdgas, können Verbraucher sich bei Streitereien mit Lieferanten, Netz- oder Messstellenbetreibern an die Schlichtungsstelle Energie mit Sitz in Berlin wenden. Sie wurde 2011 gegründet. Hintergrund war die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Getragen wird sie vom Verbraucherzentrale Bundesverband und den drei Verbänden der Energiewirtschaft BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft), VKU (Verband kommunaler Unternehmen) und BNE (Bundesverband Neue Energiewirtschaft). Der Vorteil für Verbraucher: Die Kosten werden ausschließlich von den Energieversorgern übernommen, die zudem verpflichtet sind, an dem Prozess teilzunehmen. Allerdings müssen sie den Schlichtungsspruch nicht akzeptieren. Trotzdem kommt es in den allermeisten Fällen zu einer Einigung. Voraussetzung für die Teilnahme an einer Schlichtung ist, dass zuvor eine Beschwerde erfolglos war. Detaillierte Infos gibt es unter www.schlichtungsstelle-energie.de, dort kann auch der Antrag gestellt werden.

Geht es dagegen um andere Energieformen, beispielsweise Solarstrom oder Fernwärme, hilft die Universalschlichtungsstelle des Bundes in Kehl (Baden-Württemberg). Sie vermittelt immer dann bei Streitereien zwischen Verbrauchern und Unternehmen, wenn es keine spezifischen Schlichtungsstellen gibt. Für Verbraucher ist das Verfahren ebenfalls kostenlos, allerdings sind die Unternehmen hier nicht zur Teilnahme verpflichtet. Zur Antragsstellung geht’s unter: www.verbraucher-schlichter.de