Anfang November war es so weit: In kurzen Abständen flatterten Familie Alt aus München gleich zwei unangenehme Briefe ins Haus. Freundlich formuliert, aber unangenehm im Inhalt. Für die vierköpfige Familie werden Gas und Strom zum 1. Januar 2022 deutlich teurer. Unerwartet, sagt Sandra Alt, kam das nicht, schließlich sei das Thema ja schon länger in den Medien. "Ärgerlich ist es trotzdem." Vor allem, weil sich gleichzeitig auch die "Ergänzenden Bedingungen zur Gasversorgungsverordnung" änderten. Auf den ersten Blick ist so zwar ersichtlich, dass es teurer wird, ob die Erhöhungen allerdings berechtigt sind, ist nur schwer einzuschätzen.

So wie der Lehrerin geht es derzeit vielen in Deutschland. Laut dem Vergleichsportal Verivox hatten bis Anfang November 115 Grundversorger ihre Preise erhöht oder Erhöhungen angekündigt - durchschnittlich um 19,1 Prozent, in Einzelfällen sogar um 134 Prozent. Und manchen Kunden trifft es dabei sogar noch deutlich schlimmer als Familie Alt. Denn in vielen Schreiben, die Gas- und Stromkunden derzeit erreichen, geht es nicht nur um Preiserhöhungen. Mitunter werden auch Abschlagszahlungen ohne weitere Erläuterungen verdoppelt oder fest vereinbarte Preisgarantien einseitig aufgehoben. Es kommt sogar vor, dass Verträge einfach gekündigt werden.

Für die Kunden nicht selten ein Schock, der derzeit zu einem Run auf Verbraucherzentralen und Energieberatungen führt. Dabei haben die Betroffenen zumeist gleich zwei Probleme auf einmal: Zum einen möchten sie wissen, ob und wie sie gegen Erhöhungen oder Kündigungen vorgehen können. Zum anderen geht es vielen aber auch um die Frage, was sie selbst tun können, um künftig Kosten zu sparen.

Viele Erhöhungen kommen noch. Um mehr als 30 Prozent sind die Anfragen nach Beratungen bereits in diesem Jahr gestiegen, berichtet Martin Brandis. Er gehört zum Energieberaterteam beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) und informiert dort hauptsächlich Eigentümer zu Einsparmaßnahmen. Da die Preissteigerungen beim Heizen aber zumeist erst im nächsten Jahr weitergegeben werden, geht er davon aus, dass der Beratungsbedarf noch einmal deutlich steigen wird - auch bei Mietern.

Doch woran liegt es überhaupt, dass die Preise nicht nur für Strom und Gas, sondern auch für Benzin derzeit so drastisch in die Höhe schießen? Eine einzelne Ursache dafür, erläutert Energieexperte Andreas Schröder, gibt es nicht. "Putin allein ist jedenfalls nicht schuld." Schröder arbeitet für ICIS, ein Marktanalysehaus, das den Energiemarkt beobachtet und neben großen Unternehmen und Behörden auch die Europäische Kommission berät.

Einer der Gründe sei, erklärt der Experte, dass sich die Weltwirtschaft derzeit schneller erholt als erwartet und damit mehr Energie benötigt. Ein anderer, dass das Erdölproduzentenkartell OPEC als Reaktion darauf nicht, wie oftmals in der Vergangenheit, die Ölförderung erhöht hat. Durch diese Verknappung stiegen die Preise für Öl innerhalb eines Jahres von 40 Dollar pro Barrel auf über 80 Dollar - und in der Folge, weil der Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt ist, auch die Preise für Gas.

Gleichzeitig gibt es jedoch auch auf dem Gasmarkt einen Engpass. Zum einen hatte der russische Großerzeuger Gazprom im Sommer technische Probleme, und zum anderen erhöhte Russland ebenfalls die Lieferquoten nicht über die geschlossenen Verträge hinaus. Stattdessen füllte man zunächst die eigenen Lager und lieferte dann zu höheren Preisen nach Asien. Und schließlich, stellt Schröder klar, trugen auch die schlecht gemanagten und nicht gefüllten europäischen Gasspeicher dazu bei, dass die Beschaffung für die Erzeuger teurer wurde.

Doch nicht nur Öl und Gas verteuerten sich. Weil beides auch zur Stromerzeugung genutzt wird, stiegen auch hier die Preise. Zudem ist der Bezug nur eine Seite der Medaille. Denn gleichzeitig gibt es ja auch noch politisch gewollte Entwicklungen. Einerseits die CO2-Bepreisung, durch die fossile Brennstoffe teurer werden und die derzeit 25 Euro pro Tonne Heizöl und Benzin beträgt, und andererseits die EEG-Umlage, mit der in Deutschland der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert werden soll.

Alles was recht ist. Dabei derzeit für Verbraucher besonders problematisch: Fast alle Verteuerungsbausteine werden eins zu eins weitergegeben - und das keineswegs immer rechtmäßig. Nicht wenige Anbieter nutzen schlicht die Gelegenheit, den Kunden Erhöhungen unterzujubeln, "und scheuen sich dabei auch nicht, Preisgarantien zu brechen", wie es Maximilian Both, Gründer und Inhaber von Wechselpilot, formuliert. Das vor fünf Jahren gegründete Unternehmen wendet sich an Kunden, die sich selbst keine Gedanken um ihren Versorger machen, aber trotzdem sparen wollen. Für diese Strom- und Gaskunden ermittelt das Unternehmen einmal jährlich den für sie günstigsten Tarif - und wickelt dann auch nachfolgend alle Formalitäten ab. Das heißt, derzeit hat man auch bei Wechselpilot viel zu tun.

In den Schreiben, die momentan viele Versorger verschicken, erläutert Both, "ist dann vordergründig nur von angepassten Abschlägen die Rede". Erst wer detailliert einsteigt, erkennt, dass es sich um eine Erhöhung handelt. Und nicht selten wird dann auch vergessen, auf das Sonderkündigungsrecht hinzuweisen, das Verbraucher bei Erhöhungen immer haben. Sein Rat: immer genau hinschauen und im Zweifel widersprechen.

Ein Tipp, dem sich auch Verbraucherorganisationen derzeit unisono anschließen. Bezüglich Gaspreiserhöhungen gibt es dazu sogar einen Aufruf des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Dort beschäftigt man sich mit unrechtmäßigen Erhöhungen, die mit der CO2-Bepreisung begründet werden, und fordert Betroffene dazu auf, unrechtmäßig erscheinende Erhöhungen auf der Website www.verbraucherzentrale.de/marktbeobachtung/zahlen-sie-zu-viel-fuer-ihr-gas-65229 hochzuladen und Fragen dazu zu beantworten. Hintergrund ist eine mögliche Musterfeststellungsklage.

Einer der Gründe, warum derzeit einige Anbieter rechtswidrig agieren, ist laut Insidern die Tatsache, dass sie sich selbst verkalkuliert haben. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf, back to back einzukaufen, sich also immer kurzfristig am Spotmarkt mit den benötigten Energiemengen einzudecken. Dadurch konnten sie in guten Zeiten Kunden mit günstigen Angeboten locken, können die geschlossenen Verträge angesichts der derzeit hohen Kosten jedoch nun nicht mehr erfüllen. An der deutschen Strombörse in Leipzig etwa stiegen die Preise seit Januar dieses Jahres um rund 140 Prozent.

Einige, vor allem kleinere Anbieter, so Analyst Schröder, seien dadurch inzwischen tatsächlich in ihrer Existenz bedroht, und es gebe schon Versorger wie die Deutsche Energiepool, die ihre Gaslieferungen ganz eingestellt haben. Insolvenz anmelden mussten beispielsweise der Stromlieferant Lition Energie, der Ende Oktober aufgab, und die Strom- und Gaslieferantin Otima Energie.

Aus Sicht von Experten kann eine solche Marktbereinigung aber durchaus auch ihre Vorteile haben, schließlich trennt sich so die Spreu vom Weizen. Auch für Kunden muss das nicht so bedrohlich sein, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn ohne Versorger steht niemand da - auch wenn sich viele gerade davor fürchten, wie Verbraucherschützer und Energieberater immer wieder erleben.

Zurück zum Grundversorger. Tatsache ist jedoch: In Deutschland hat jeder Haushalt laut Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) einen Anspruch auf Grundversorgung. Diese muss immer der Anbieter sichern, der die meisten Kunden in der jeweiligen Gemeinde versorgt. Konkret bedeutet dies: Der Grundversorger springt nicht nur ein, wenn ein Unternehmen insolvent ist, sondern auch, wenn der Vertrag aus anderen Gründen endet. Aus diesem Grund, stellt Berater Brandis klar, müsse sich auch niemand davor fürchten, Erhöhungen zu widersprechen - selbst wenn er damit die Kündigung riskiert - oder sogar selbst von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen.

Im Gegenteil: Derzeit seien, so der Experte weiter, viele Grundversorger sogar günstiger als andere Anbieter. Sie decken sich nicht kurzfristig mit ihren Liefermengen ein, sondern kalkulieren langfristig. Viele haben also noch eingekauft, als die Preise deutlich niedriger waren.

Und auch wenn sich das Preisverhältnis irgendwann wieder umdreht: Beim Grundversorger gelten grundsätzlich kurze Kündigungsfristen von 14 Tagen. Wer in der Grundversorgung ist, kann also in Ruhe nach einem anderen Anbieter suchen.

Selbst derzeit, so noch einmal Wechselhelfer Both, gebe es - abhängig von Haushaltsgröße und Wohnort - noch gute Einsparmöglichkeiten auf dem Markt. Und spätestens im kommenden Sommer, davon gehen die meisten Experten aus, sinken die Energiepreise auch insgesamt wieder - wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Beim Strom macht sich die sinkende EEG-Umlage von derzeit 6,50 Cent auf 3,72 Cent pro Kilowattstunde bemerkbar, bei Gas und Öl werden die Engpässe nach und nach abgebaut.

Allerdings: Das Niveau von vor der Krise wird wohl kein Energiepreis wieder erreichen. Für Verbraucher bleibt daher nur, den eigenen Energieverbrauch weiter zu senken, konstant die Preise zu vergleichen und im Zweifel Wechselmöglichkeiten zu nutzen (siehe Kasten unten ). Bislang, wundert sich Experte Brandis, mache mehr als die Hälfte der deutschen Haushalte davon keinen Gebrauch. "Und das ist schade."


AUF EINEN BLICK

Tipps für Wechsler

1. Wenn Sie Ihr Sonderkündigungsrecht nutzen, müssen Sie selbst tätig werden. Verwenden Sie hierzu eines der zahlreichen im Netz vorhandenen Musterschreiben wie das vom Verbraucherzentrale Bundesverband. www.verbraucherzentrale.de/sites/default/files/2020-08/Musterbrief_Sonderkuendigung_nach_Preiserhoehung.pdf

2. Immer mehrere Anbieter vergleichen. Gute Möglichkeiten hierzu bieten Vergleichsportale. Dabei sollte man sich niemals auf ein einziges Portal verlassen, sondern immer mehrere im Vergleich heranziehen. Denn alle nutzen Filter, die die Auswahl einschränken - und sei es nur die Höhe der Provision, die der Anbieter dem Portal zahlt.

3. Achten Sie auf die Laufzeiten. Zwölf Monate sind das Maximum, auf das man sich einlassen sollte; derzeit kann es aber auch sinnvoll sein, deutlich kürzere zu wählen. Es gibt auch Verträge mit monatlichen Kündigungsfristen.

4. Bei langfristigen Abschlüssen unbedingt auf die Preisgarantie achten und genau hinschauen: Sie kann sinnvoll sein, aber auch die Kosten erhöhen.

5. Vorsicht bei Lockangeboten: Boni führen oft zu günstigen Einstiegspreisen und verschleiern die wahren Kosten. In Vergleichsportalen die Einstellung so wählen, dass diese herausgefiltert werden.

6. Wer sicher sein will, dass der Konditionenvergleich neutral erfolgt, und selbst nicht tätig werden will, kann sich an Unternehmen wenden, die langfristig Strom- und Gasverträge optimieren. Die Kosten hierfür betragen etwa 20 Prozent des jährlichen Gewinns gegenüber dem alten Vertrag.