Die Bombe platzte völlig überraschend. Nach dem Tod seiner Tante erhielt Robert Solmen einen Brief vom Nachlassgericht. Den hatte der IT-Spezialist, der in Wirklichkeit anders heißt und einer anderen Tätigkeit nachgeht, erwartet - nicht jedoch dessen Inhalt. Nicht eine Hilfsorganisation wurde in der letzten Verfügung bedacht, sondern ein ihm bis dahin weitgehend unbekannter Verwandter sollte alles erben.
"Vereinbart war eigentlich etwas ganz anderes", erzählt Solmen, den die Sache auch heute noch nicht kalt lässt - auch wenn sie inzwischen Jahre her ist. Er hatte immer einen guten und engen Kontakt zu seiner Tante und ihrem gerade ein halbes Jahr zuvor verstorbenen Mann gehabt - und den beiden darum versprochen, dass er sich nach ihrem Tod darum kümmert, dass ihre Wohnung verkauft und der Gewinn und das restliche Vermögen an eine gemeinnützige Organisation wie Ärzte ohne Grenzen oder Caritas International gespendet wird. Für diese Aufgabe und sein Engagement zuvor war außerdem ein Konto mit einem kleinen Betrag eingerichtet worden, der ihn für den Aufwand entschädigen sollte. Und damit alles in geordneten Bahnen verlief, hatten die alten Herrschaften ein kurzes handschriftliches Testament verfasst. "Doch das", sagt Solmen, "spielte plötzlich keine Rolle mehr."
Der Grund: Im Briefumschlag des Amtsgerichts fand sich ein anderes, in der Handschrift der Verstorbenen verfasstes Testament, aufgesetzt gerade einmal drei Monate vor ihrem Tod. Zu diesem Zeitpunkt jedoch, ist sich Solmen sicher, "war die betagte Dame längst nicht mehr Herrin ihrer Sinne".
Kaum zu glauben, möchte man meinen. Ein Einzelfall - oder? "Keinesfalls", sagt Kian Fathieh. Der Rechtsanwalt aus Heidelberg hat sich auf Strafrecht spezialisiert und in seiner Kanzlei auch immer wieder mit Betrugsvermutungen rund um das Thema Erben zu tun. Ein undankbares Thema, wie der Jurist betont. Denn fast immer sei es extrem schwierig, Betrug oder Mauschelei zu beweisen - oft sogar aussichtslos. Trotzdem steigt die Zahl der Anfragen seit Jahren kontinuierlich.
"Fälle von Erbschleicherei haben sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt, wenn nicht gar verdreifacht", vermutet Volker Thieler. Der Juraprofessor wurde vor vielen Jahren selbst von einer Erbschleicherin um ein Erbe gebracht und hat sich danach intensiv mit dem Thema befasst. Heute ist er Vorstand des Forschungsinstituts Betreuungsrecht der Kester Haeusler Stiftung und betreibt auch eine eigene Homepage (www.erbschleicher.net).
Hintergrund für die enorme Zunahme, vermutet er, sei einerseits, dass immer mehr große Vermögen vererbt werden. Andererseits, so Thieler, mache es der Staat Bauernfängern zu leicht. Wie auch andere Experten fordert er daher mehr Schutz älterer Menschen durch entsprechende Gesetze, zumindest aber eine Beschwerdestelle, die entsprechenden Fällen dann auch nachgeht.
Juristische Lücke
Denn anders als beispielsweise in den USA, wo finanzieller Missbrauch von Älteren (Financial Elder Abuse) mit harten Strafen geahndet wird, gibt es bei uns nicht einmal den Straftatbestand "Erbschleicherei". Wer überhaupt eine Chance haben will, muss nachweisen, dass Betrug, Nötigung, Untreue oder Urkundenunterdrückung vorlag. Genau dies ist aber in den meisten Fällen schwierig. Auch Robert Solmen gelang das nicht, obwohl er vor Gericht ging.
Grundsätzlich darf jeder mit seinem Vermögen tun und lassen, was er möchte - auch wenn dies aus Sicht von Angehörigen falsch, ungerecht oder sogar irrational erscheinen mag. Juristisch betrachtet, erläutert Anwalt Fathieh, "darf der Mensch unvernünftig handeln". Er kann sein Geld einer Institution vermachen, dem Nachbarn oder seiner Friseurin. Er darf sogar alle zwei Wochen seine Meinung ändern, vorausgesetzt - hier liegt der Knackpunkt -, er ist in der Lage, die Konsequenzen seines Handelns zu begreifen. Juristisch spricht man dann von "Testierfähigkeit". Wenn geprellte Erben nachweisen können, dass jemand beim Abfassen seines letzten Willens nicht mehr testierfähig war, haben sie eine Chance, das Testament anzufechten.
Die Rolle des Notars
Weil dies jedoch nachträglich nur schwer festzustellen ist, gehen im Alltag immer wieder Menschen leer aus, die dem Verstorbenen eigentlich nahestanden und die ihm ein Leben lang wichtig waren. "Es kommt vor", so Fathieh, "dass die Gerichte Menschen noch als testierfähig betrachten, die bereits leichte Anzeichen von Demenz zeigen. Und wenn das Testament notariell erstellt wurde, ist die Wahrscheinlichkeit sogar noch höher."
Hintergrund: Der Notar ist nach der Bundesnotarordnung (BNotO) verpflichtet, die Testierfähigkeit zu überprüfen. Tatsächlich jedoch kann er das in der Regel zumeist gar nicht, wie nicht nur Experte Thieler betont. "Er hat weder die dazu notwendigen medizinischen Kenntnisse noch weiß er, ob der Erblasser im Vorfeld vielleicht unter Druck gesetzt wurde." Zu dieser Einschätzung kam 2017 auch das Oberlandesgericht Hamm und befand, dass es sich bei einem Notar nicht um einen Universalgelehrten handelt, "der aufgrund seiner Ausbildung in der Lage ist, den geistigen Zustand einer Person auch bei langjähriger Erfahrung im Notariat sicher zu beurteilen". Vor allem, wenn völlig fremde Personen als Erben eingesetzt werden, fordert Thieler daher, sollte es verpflichtend sein, ein psychologisches Gutachten einzuholen.
Allerdings: Erbschleicher kommen keineswegs nur von außen. Es gibt sie zwar, die völlig Fremden, die Todesanzeigen lesen oder vor Supermärkten darauf warten, hilflose Menschen nach Hause begleiten zu dürfen - und sich dann nach und nach unentbehrlich machen. Oft ist es aber auch wie im Fall von Solmen ein (entfernter) Familienangehöriger, der plötzlich auftaucht und sich in den letzten Lebensmonaten um Verwandte kümmert, mit denen er vorher nichts am Hut hatte. Oder es ist - wie im Fall Thieler - die Putzfrau, die jahrelang für die Familie arbeitet und nach dem Tod der Ehefrau ihre Chance wittert. "Erbschleicher", resümiert Thieler, "halten sich in allen beruflichen und menschlichen Bereichen auf." Und sie arbeiten mit einer großen Bandbreite von (Psycho-)Tricks (siehe "Tricks der Erbschleicher" links).
Angehörige, die so um ihr Erbe betrogen werden, fällt es dagegen oft schwer, sich zu wehren. Sie fühlen sich hilflos oder sind verletzt, wenn beispielsweise plötzlich nur noch die neue Ehefrau ans Telefon geht und den Kindern bescheinigt, dass der Vater sie nicht sehen will. Sich dann jedoch zurückzuziehen, betont Thieler, sei der falsche Weg. Er rät Betroffenen daher auch schon mal, über den Zaun zu klettern und nachzuschauen, ob es wirklich harmonisch zugeht - oder ob der Vater nicht vielleicht längst in ein Heim abgeschoben wurde.
Erbvertrag kann Ärger vermeiden
Die beste Möglichkeit, Erbschleicherei zu verhindern, besteht darin, sich rechtzeitig mit dem Thema zu befassen - und sich im Zweifel juristische Hilfe zu holen. Das gilt zuerst für die Erblasser selbst. Ehepaare haben die Möglichkeit, ein sogenanntes Berliner Testament aufzusetzen. Hierbei setzen sie sich zuna¨chst wechselseitig als Alleinerben ein und bestimmen gleichzeitig, wer nach dem Tod des länger Lebenden der Schlusserbe wird.
Ein solches Testament ist dann vom länger Lebenden nicht mehr zu ändern. Trotzdem kann durch eine entsprechende Öffnungsklausel geregelt werden, dass Kinder oder auch Fremde, die später die Pflege übernehmen, entsprechend entlohnt werden können. Auch andere Öffnungsklauseln sind möglich. Entscheidend auch hier: Sie müssen rechtssicher sein. Ausführliche Tipps gibt der Ratgeber "Handbuch Testament", der vom Verbraucherzentrale Bundesverband herausgegeben wurde und sowohl dort als auch im Buchhandel erhältlich ist.
"Wer verhindern will, dass er später selbst einmal unter den Einfluss von Gaunern gerät, muss seinen Nachlass rechtzeitig und richtig regeln", betont Maximilian Kleyboldt. Er ist Mitglied des Vorstands des FPSB Deutschland, des internationalen Verbands der Finanzplaner, und auf Nachfolgeplanung spezialisiert. Wie durch ein Testament könne die Erbfolge auch durch einen Erbvertrag geregelt werden, der später ebenfalls nicht widerrufbar ist, erläutert er. Und ebenso kann die vorweggenommene Erbfolge ein gutes Instrument sein.
"Jackpot Vorsorgevollmacht"
Das geht, wie Kleyboldt betont, auch mit Bedingungen, beispielsweise durch die Übernahme von bestimmten Widerrufsgründen oder ein lebenslanges Wohnrecht. Werden die Voraussetzungen dann nicht erfüllt, kann die Schenkung widerrufen werden. In jedem Fall lässt sich durch die vorweggenommene Erbfolge aber verhindern, dass das Vermögen alter Menschen bereits zu deren Lebzeiten Betrügern in die Hände fällt, beispielsweise durch Schenkungen oder die Erteilung von Bank-, Betreuungs- oder Vorsorgevollmachten.
Die Vorsorgevollmacht kann im Zusammenhang mit Erbschleicherei eine sehr unterschiedliche Rolle spielen. Einerseits ist die Erteilung einer Vorsorgevollmacht wichtig - viele Experten raten daher dazu, sie zu erteilen. Andererseits spekulieren gerade Erbschleicher darauf, eine solche zu ergaunern. Denn sie ermöglicht es, schon vor dem Tod der Opfer an ihr Vermögen zu gelangen.
"Genau genommen", sagt Thieler, "ist die Vorsorgevollmacht der Jackpot für Erbschleicher." Die Schlussfolgerung daraus: Wer eine Vorsorgevollmacht erteilt, braucht neben Vertrauen vor allem eines - Kontrolle (siehe Kasten Seite 37). Und hier gilt einmal mehr: die Dinge rechtzeitig regeln.
Doch nicht nur die Erblasser müssen sich frühzeitig kümmern, sondern auch die Angehörigen. Erbschleicher, so Anwalt Fathieh, finden auch deshalb immer mehr Opfer, weil Familien heute oft Hunderte Kilometer weit entfernt voneinander leben und im Alltag wenig Zeit füreinander haben.
Falsche Zurückhaltung
Aber auch Ängste, selbst als jemand wahrgenommen zu werden, der es nur aufs Erbe abgesehen hat, so berichten es viele Fachleute, führen gerade bei wohlmeinenden Menschen oft dazu, dass sie sich übermäßig zurückhalten. Dabei ließen sich schon mit einfachen Mitteln Kontrollmechanismen einbauen, findet auch Fachmann Kleyboldt, der zusätzlich Finanzplaner bei der Bethmann Bank ist. Zu seinen Vorschlägen gehören unter anderen: eine Inventarliste von Wertgegenständen, genaue Anweisungen, wer welche Befugnisse hat, oder schlicht eine Anweisung an die Bank des Erblassers, einer bestimmten Vertrauensperson regelmäßig die Kontoauszüge zukommen zu lassen.
Absolute Sicherheit gibt es nicht. Auch wenn das bei Robert Solmen nicht reichte: Regelmäßiger Austausch und Kontakt innerhalb der Familie tragen eine Menge dazu bei, Abzocke durch Erbschleicher vorzubeugen. Denn: Wer nicht einsam ist, braucht auch keinen Trost von falscher Seite.
Vorsorgevollmacht:
Die Vorsorgevollmacht befähigt und berechtigt einen anderen Menschen, sich um Ihre Angelegenheiten zu kümmern, wenn Sie es selbst nicht mehr können. Sie kann umfassend, also für alle Angelegenheiten, ausgestellt oder nur für bestimmte Teilbereiche erteilt werden. Wesentliche Punkte sind zum Beispiel Bankgeschäfte oder die Vermögensverwaltung (Vermögenssorge) und die Entscheidungsbefugnis bei medizinischer Behandlung oder die Bestimmung des Aufenthaltsorts (Personensorge). Es ist auch möglich, unterschiedliche Personen für einzelne Punkte zu bevollmächtigen.
Formalien einhalten
Die Vollmacht muss Namen, Geburtsdatum und Anschrift des Vollmachtgebers enthalten. Außerdem muss sie unterschrieben und mit Ort und Datum versehen sein. Bezieht sich die Vollmacht auf Grundstücksgeschäfte, ist die notarielle Schriftform Pflicht. Bei größeren Vermögen wird sie empfohlen.
Zeugen hinzuziehen
Wer bereits bei der Erstellung einer Vollmacht eine dritte Person hinzuzieht, kann auf diese Weise eine etwaige zu starke Beeinflussung durch eine Person vermeiden.
Start definieren
Normalerweise wird eine Vollmacht sofort wirksam. Es ist aber möglich, hier Einschränkungen zu machen, beispielsweise dergestalt, dass sie erst bei Demenz wirksam wird. Viele Experten empfehlen hierzu allerdings ein separates Dokument, das nur Vollmachtgeber und -nehmer kennen. Andernfalls kann die Ausübung der Vollmacht im Alltag schwierig werden.
Kontrollinstanz einbauen
Vollmachtgeber können verfügen, dass bei bestimmten Entscheidungen (beispielsweise Umzug ins Heim) weitere Personen hinzugezogen werden müssen. Ebenso ist es möglich, die Höhe von Geldabhebungen zu begrenzen, den Bevollmächtigten zu verpflichten, einen bestimmten Betrag nicht anzutasten oder sein Handeln gegenüber einem Dritten offenzulegen. Zusätzlich können Einzelvollmachten (etwa eine Zugangsvollmacht) erteilt werden. Sinnvoll ist es auch, einen Ersatzbevollmächtigten zu bestimmen: Für den Fall, dass der Bevollmächtigte im Ernstfall nicht erreichbar ist oder möglicherweise sogar vorher stirbt, sollte immer ein Ersatzbevollmächtigter bestimmt werden. Vorsicht bei vorgefertigten Formularen: Wer hier einen Punkt für sich nicht möchte, sollte ihn nicht nur nicht ankreuzen, sondern durchstreichen.
Tricks der Erbschleicher:
1. Schritt:
Nähe suchen
Der Erbschleicher macht sich unentbehrlich (oder erweckt zumindest den Eindruck, dies zu sein). Beispielsweise übernimmt er die Einkäufe für den potenziellen Erblasser.
2. Schritt:
Den Erblasser belügen
Durch erfundene Geschichten wird dem Erblasser gegenüber der Eindruck erweckt, bestimmte Angehörige interessierten sich nicht für ihn oder wären nur am Geld interessiert.
3. Schritt:
Der Erblasser wird isoliert
Damit die falschen Geschichten nicht auffallen, werden andere Kontakte unterbunden.
4. Schritt:
Schmuck oder Bargeld an sich nehmen
Die alten Menschen werden mehr oder weniger druckvoll dazu gebracht, dem Erbschleicher Bares oder wertvollen Schmuck zu überlassen, oder Gegenstände aus der Wohnung werden einfach mitgenommen.
5. Schritt:
Vorsorgevollmacht ausstellen lassen
Diese wird dann so abgefasst, dass es beispielsweise schon zu Lebzeiten möglich ist, die Bankkonten des möglichen Erblassers zu plündern.
6. Schritt:
Den letzten Willen verändern
Oft diktieren Erbschleicher handschriftliche Testamente oder formulieren Vorlagen. Gibt es ältere, nicht notariell hinterlegte Testamente, werden diese vernichtet. Mitunter entstehen neue Testamente auch unter Mitwirkung von Notaren. Ganz dreiste Betrüger fälschen sogar Testamente.
Zu Lebzeiten des Erblassers
• Engen Kontakt halten
• Kontrollinstanzen vereinbaren
• Wichtige Unterlagen wie Arztberichte oder Pflegegutachten sammeln
• Zeugen suchen und die Aussagen dokumentieren
• Bei Verdacht, dass Betreuungs- oder Vorsorgevollmachten missbraucht werden: Kontrollbetreuung bei Gericht beantragen
Nach dem Tod
• Testierunfähigkeit reklamieren: Sobald der Erbschleicher einen Erbschein beim zuständigen Amtsgericht beantragt, können Sie Testierunfähigkeit des Verstorbenen reklamieren (mögliche Beweise: Krankenakten, Betreuungsakten, Pflegegutachten, Zeugen).
• Anfechtung des Testaments aus anderen Gründen: Es gibt weitere Gründe, die ein Testament unwirksam machen. Geht es um Erbschleicherei, kommen hier Täuschung und Drohung infrage. Ein Testament (oder auch eine einzelne Verfügung) kann etwa angefochten werden, wenn das Erbe an Voraussetzungen gebunden war, beispielsweise lebenslange Pflege, diese aber nicht erbracht wurden. Ein weiterer Grund kann eine Verletzung von Heimgesetzen sein. In diesen ist geregelt, dass zum Beispiel Pfleger oder Pflegeeinrichtungen nicht erben dürfen.