Die "Säuberung aller staatlichen Institutionen von diesem Geschwür" werde weitergehen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag. Am zweiten Istanbuler Flughafen kam es am Abend zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Putschisten. Als sich die Aufständischen ihrer Verhaftung widersetzten, feuerten die Sicherheitskräfte Warnschüsse ab. Auch an einem Luftwaffenstützpunkt in Konya gerieten Putschisten und Sicherheitskräfte aneinander.
Erdogan macht den in den USA lebenden Kleriker Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. "Dieser Aufstand ist für uns eine Gabe Gottes, denn er liefert uns den Grund, unsere Armee zu säubern", sagte Erdogan und brachte die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Gespräch. Die Regierung werde bald mit der Opposition über das Thema sprechen. Politiker aus aller Welt appellierten an den islamisch-konservativen Präsidenten, die Rechtstaatlichkeit zu garantieren. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, wichtig sei, dass bei der nun notwendigen juristischen Aufarbeitung alle rechtsstaatlichen Grundsätze beachtet würden. Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte, der Putsch sei kein "Blanko-Scheck" für Erdogan.
Am Freitagabend hatten Teile des Militärs versucht, die Macht an sich zu reißen. Im stundenlangen Chaos starben laut Regierung mindestens 290 Menschen, mindestens 190 von ihnen Zivilisten und Polizisten. Die übrigen Toten werden den Putschisten zugerechnet. Mehr als 1400 Menschen wurden verletzt.
"LEBEN IN TÜRKEI WIEDER NORMAL"
Ministerpräsident Binali Yildirim rief seine Landsleute zur Ruhe auf. "Das Leben in der Türkei ist zur Normalität zurückgekehrt", sagte er in einer im Fernsehen übertragenen Rede. Die Zentralbank, die Börse und das Bankensystem funktionierten. Die Notenbank sandte Beruhigungssignale Richtung Kapitalmarkt: Sie werde alles Nötige tun, um die Finanzstabilität zu gewährleisten. Geschäftsbanken erhielten zum Nulltarif unbegrenzten Zugang zu Liquidität.
Justizminister Bekir Bozdag zufolge wurden bislang insgesamt 6000 Menschen verhaftet. "Das juristische Verfahren geht weiter", sagte er NTV. Es sei noch mit Festnahmen zu rechnen. Unter den Festgenommenen sind rund 2700 Richter und Staatsanwälte. Auch ein Richter am obersten Gerichtshof wurde in Gewahrsam genommen. Zu den inhaftierten Soldaten gehört laut Regierungskreisen der Kommandeur der Luftwaffenbasis Incirlik, General Bekir Ercan Van, die von den USA im Kampf gegen die extremistische IS-Miliz genutzt wird. Auch 250 Bundeswehrsoldaten sind dort stationiert.
"HÄNGT SIE AUF!"
Tausende Türken folgten Erdogans Aufruf und demonstrierten auch in der Nacht zu Sonntag auf Straßen und Plätzen in Ankara ihre Unterstützung für die Regierung. Anhänger des Präsidenten versammelten sich in Istanbul auf dem Taksim - jenem zentralen Platz, der seit den Massenkundgebungen 2013 das Symbol der Protestbewegung gegen Erdogan und seine konservative Partei AKP ist. Kritiker werfen Erdogan seit langem eine immer autoritärer werdende Führung vor.
Erdogan sprach von einer "Parallelstruktur", die hinter dem Putsch stehe - damit bezeichnet er häufig die Anhänger seines Erzfeindes Gülen. Er hält dem Kleriker vor, mit Hilfe von Gefolgsleuten in Justiz und Militär die Regierung stürzen zu wollen. Erdogan forderte von den USA die Auslieferung Gülens. Dieser bestritt jede Beteiligung an dem Putschversuch. US-Außenminister John Kerry sagte, die Türkei müsse für eine Auslieferung Gülens Beweise vorlegen. Gülen erklärte, er werde sich einem Auslieferungsbefehl beugen.
Scharfe Töne aus der Türkei Richtung USA sorgten für Spannungen zwischen den beiden Nato-Partnern. Yildirim sagte, jedes Land, das Gülen unterstütze, werde als im Kriegszustand mit der Türkei betrachtet. Kerry warnte vor einer Beschädigung der Beziehungen. Öffentliche Andeutungen oder Behauptungen über jedwede Beteiligung der USA am Putschversuch seien völlig falsch. US-Präsident Barack Obama rief die Türkei zur Zurückhaltung und Befolgung der Gesetze im Kampf gegen die Umstürzler auf. Ähnlich äußerte sich Kanzlerin Angela Merkel.