Offen seien noch immer die Zollregelungen auf der irischen Insel, die Frage eines größeren Mitspracherechtes der nordirischen Behörden und gleiche Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen. Auch ein EU-Sondergipfel noch im Oktober ist bereits im Gespräch.
Sollte es jetzt keine Einigung geben, müssten die Brexit-Gespräche nach dem für Donnerstag und Freitag angesetzten regulären EU-Gipfel fortgeführt werden, sagte Barnier nach Angaben von EU-Diplomaten in Luxemburg den Außenministern der verbleibenden 27 EU-Staaten. Die jüngsten Vorschläge aus London seien Barnier zufolge nicht ausreichend. Auch der irische Außenminister Simon Coveney forderte, Großbritannien müsse bis zum Abend einen Gesetzentwurf vorlegen, über den dann die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Brüssel entscheiden sollten. "Ein Deal ist schwierig, aber möglich." Mehrere EU-Außenminister zeigten sich allerdings skeptischer.
Die finnische Europa-Ministerin Tytti Tuppurainen sagte, die EU müsse sich darauf vorbereiten, dass es keine Scheidungsvereinbarung, sondern eine erneute Verschiebung des Brexit-Termins geben werde. Die Zeit für einen geordneten Brexit, also mit einer Vereinbarung über die künftigen Beziehungen, wird knapp. Premierminister Boris Johnson will, dass Großbritannien am 31. Oktober die EU verlässt. Die Details einer Einigung sollen beim EU-Gipfel diese Woche vereinbart werden, bevor am Samstag das britische Parlament darüber abstimmen soll.
Barnier sagte vor seinen Beratungen, es sei höchste Zeit, dass die Regierung in London "ihre guten Absichten in einen Gesetzestext" gieße. "Eine Vereinbarung zu erreichen, ist immer noch möglich. Offensichtlich muss jedes Abkommen für alle funktionieren - für das ganze Vereinigte Königreich und für die gesamte Europäische Union."
"ZEIT ALLEIN IST KEINE LÖSUNG"
Der polnische Europa-Minister Konrad Szymanski erklärte vor Beginn der Beratungen in Luxemburg, es gebe Grund zu "vorsichtigem Optimismus". Auf beiden Seiten seien Bemühungen um eine Einigung erkennbar. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, äußerte sich zurückhaltender. Er sei nicht ganz sicher, ob eine Vereinbarung bevorstehe.
Frankreich ist bereit, eine erneute Verschiebung des Brexit-Termins zu diskutieren. Aber eine längere Frist werde die Probleme nicht beseitigen, sagte die Staatssekretärin für Europa-Angelegenheiten, Amelie de Montchalin. "Zeit allein ist keine Lösung." Nötig sei ein "signifikanter politischer Wandel" in Großbritannien, um eine Diskussion über eine Fristverlängerung aufzunehmen. Ein solcher Wandel könne die Aussicht auf eine Wahl oder ein Referendum sein, "etwas, das die politische Dynamik verändert".
Es gebe da "einigen Optimismus", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Anderenfalls werden wir sehr wahrscheinlich noch einen Gipfel später in diesem Monat brauchen." Die Bundesregierung ist dazu bereit. Falls es erforderlich wäre, würde man sicher ein Sondertreffen der EU-Staats- und Regierungschefs einberufen, sagte ein ranghoher Regierungsvertreter in Berlin.
"QUADRATUR DES KREISES"
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in Berlin, man werde bis zur letzten Minute verhandeln, um ein Ergebnis zu erzielen. Allerdings wirke eine Lösung für die irische Grenze wie eine "Quadratur des Kreises". Jetzt sei klar, dass Großbritannien auch aus der Zollunion mit der EU austreten wolle, das mache die Gespräche so kompliziert. Einerseits gebe es künftig eine Binnenmarktgrenze mitten auf der irischen Insel. Andererseits habe Großbritannien im Karfreitagsabkommen zugesagt, dass es keine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland geben dürfe.
Die künftige Ausgestaltung der Grenze zwischen Irland und Nordirland ist der größte Streitpunkt bei den Brexit-Gesprächen. Nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union verliefe eine EU-Außengrenze mitten durch die irische Insel. Viele sehen dadurch nicht nur immense Schwierigkeiten für Zollkontrollen und Handel, sondern auch für den mühsam errungenen Frieden in Nordirland und das Karfreitagsabkommen zwischen pro-britischen und pro-irischen Gruppen von 1998.
rtr