Dabei ist die allgemeine Erwartung, dass die Stimmung in der EU beim Thema Brexit langsam angespannter werden muss: Denn in Brüssel war wieder keine Einigung über den Austrittsvertrag mit Großbritannien erzielt worden, das am 31. März 2019 die EU verlassen wird. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unterrichtete die 27 EU-Regierungschefs beim Abendessen deshalb darüber, was denn die Folgen eines No-Deals wären - also der Austritt des Königreiches ohne eine vertragliche Vereinbarung.
Die Situation ist zumindest für die EU-27 dreifach paradox: Niemand will den britischen Austritt - trotzdem muss er mit London verhandelt werden. Alle betonen wie Merkel und Macron, dass man unbedingt eine einvernehmliche Lösung mit Großbritannien und ein möglichst enges Verhältnis zu London auch nach dem Brexit möchte - und trotzdem muss man sich wegen des wachsenden Zeitdrucks auch auf den worst-case vorbereiten. Viele Regierungen wollen aber gar nicht über einen No-Deal sprechen, um die Verhandlungen mit London nicht noch mit Horrorszenarien zu belasten. Eine Debatte aber wird gebraucht, um sich innenpolitisch für eine Phase rechtlicher Unsicherheit rüsten zu können.
Dabei sind die Strategien in den einzelnen EU-Ländern sehr unterschiedlich. In Deutschland sind schon Gesetzespakete in Vorbereitung, um die negativen Auswirkungen in vielen Bereichen zumindest abfedern zu können. Am 10. Oktober etwa beschloss das Bundeskabinett mit dem sogenannten Umwandlungsgesetz eine Regelung, um nach einem Brexit einen möglichst reibungslosen Übergang von Firmen von einer Rechtsformen in eine andere zu garantieren - auch im Fall eines harten Brexits. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte schon im August Banken geraten, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin stellte Notfallmaßnahmen in Aussicht, um Chaos in der Branche zu verhindern.
Ähnliches gilt in Frankreich und den Niederlanden, wie Ministerpräsident Mark Rutte am Mittwoch betonte. Seine Regierung ist längst dabei, hunderte von neuen Zöllnern einzustellen - für den Fall, dass künftig ab dem 1. April ohne irgendeine Vereinbarung alle Importe von der Insel überprüft werden müssen.
"ICH WILL OPTIMISTISCH SEIN"
Auch die EU-Kommission steckt längst in den Vorbereitungen für den schlimmsten Fall - obwohl auch sie unbedingt eine Verhandlungslösung will. Im Juli hat sie unter dem Stichwort "prepardness" - also "vorbereitet sein" - eine Anleitung veröffentlicht, auf was die Mitgliedstaaten alles achten müssen. Sechs Gesetzesvorschläge wurden bisher angenommen und 75 Sektor-spezifische Hinweise veröffentlicht. Das reicht vom Luftverkehr über Futtermittel bis zu Ein- und Ausfuhrlizenzen - und macht die Bandbreite der Auswirkungen eines harten Brexit deutlich.
Denn vom einen zum anderen Tag droht ohne Übergangsregelungen in einem Austrittsvertrag Rechtsunsicherheit in so ziemlich allen Lebensbereichen, die mit Großbritannien zu tun haben. Sensibel ist dies beispielsweise für den Luftverkehr, wo verhindert werden soll, dass ohne Austrittsvertrag plötzlich keine Flugzeuge mehr zwischen der Insel und dem Kontinent fliegen können. Immerhin hat die britische Regierung zugesagt, dass die Aufenthaltsrechte der EU-Bürger auf der Insel nicht plötzlich enden - und die EU will dies auch den Briten in den EU-Staaten garantieren.
Bis Ende Dezember will die Kommission die restlichen Gesetzesvorschläge auf den Tisch legen, damit notfalls alle rechtzeitig zum britischen Austritt am 30. März in Kraft treten können. Es geht also um die Absicherung für einen Fall, den niemand will. Die Kommission wird deshalb nicht müde zu betonen, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen "Vorbereitung" und "Notfallvorsorge" gebe.
"Man muss sich auf den Fall vorbereiten, dass alles sehr harmonisch geht, aber man muss sich leider auch auf den Fall vorbereiten, dass es nicht so harmonisch geht, und dann sind viele, viele praktische Dinge zu bedenken", sagte auch Kanzlerin vergangene Woche. Aber vor allem seit dem Scheitern einer Einigung über den Austrittsvertrag am Wochenende verändert sich die Debatte in der EU-27 spürbar - denn die Zeit wird selbst bei gutem Willen knapp für eine Einigung und die nötige Ratifizierung durch das britische und europäische Parlament.
Es sei zudem unsicher, ob Premierministerin Theresa May überhaupt die innenpolitische Zustimmung für eine Einigung mit der EU bekomme, warnte Luxemburgs Regierungschef Bettel am Donnerstag. Seine Bemerkung "Wir sind nicht unter Druck" klingt deshalb ein wenig wie Zweckoptimismus. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tatjani, drückte die Lage anders aus: "Ich will optimistisch sein."
rtr