Die Währungshüter haben verschiedene Maßnahmen ergriffen, damit die Inflationserwartungen nicht ihre Verankerung verlieren. So wurde erst im Juni die Forward Guidance bis Mitte 2020 verlängert. Außerdem hatte die EZB neue TLTROs auf den Weg gebracht. All diese Maßnahmen scheinen jedoch kaum Wirkung entfaltet zu haben, denn die Inflationserwartungen sind weiter gesunken. Diese Entwicklung könnte in einer letzten Konsequenz darauf hindeuten, dass die Marktteilnehmer befürchten, die EZB habe die Kontrolle über die Inflation verloren.
Vor diesem Hintergrund haben die Währungshüter zu einem weiteren Schachzug gegriffen, um die Sorgen des Marktes zu zerstreuen und die Inflationserwartungen zu erhöhen. Bislang hatte die EZB ein asymmetrisches Inflationsziel, denn die Preisniveauentwicklung sollte unter, aber nahe 2% liegen. Diese Formulierung implizierte, dass die EZB bei Inflationsraten oberhalb von 2% handeln würde. Die seit Jahren geltende geldpolitische Steuerungsgröße der Notenbank wurde nun "über den Haufen geworfen".
Die Währungshüter betonen aktuell in ihrem Statement, dass sie ein symmetrisches Inflationsziel verfolgen, also auch Niveaus über 2% zulassen. Dies ist eine deutlich weitreichendere und bedingungslosere Zusage von niedrigen Zinsen als bislang in Aussicht gestellt wurde. Letzten Endes impliziert dieses neue Inflationsziel, dass aufgrund der niedrigen Teuerungsraten der Vergangenheit die Notenbank rein arithmetisch zukünftig höhere Inflationsraten dulden wird, ohne direkt auf die geldpolitische Bremse zu treten.
Die Botschaft an die Märkte ist klar, die geldpolitische Ausrichtung der EZB wird wohl sehr lange expansiv bleiben. Die EZB nimmt den Unternehmen, Haushalten und Investoren die Sorge, dass die Lockerung der Geldpolitik schon bei den ersten Anzeichen einer Verbesserung der Fundamentaldaten zurückgenommen wird und die mögliche Erholung im Keim erstickt wird. Gleichzeitig kann die Veränderung dieser strategischen Zielgröße aber auch als Eingeständnis interpretiert werden, dass der EZB eine punktgenaue Steuerung der Inflationsrate derzeit nicht gelingt.
Stefan Bielmeier ist Chefvolkswirt der DZ-Bank.