Es wäre die erste seit 2011. Seit Jahren ist die EZB nach der globalen Finanzkrise, der Staatsschuldenkrise um Griechenland und der Coronavirus-Pandemie im Notfallmodus gewesen - mit noch immer historisch niedrigen Zinsen und Anleihenkäufen, die einst gedacht waren, um für mehr Inflation zu sorgen.

Die EZB strebt eigentlich eine Teuerungsrate von zwei Prozent als idealen Wert für die Wirtschaft an. Jahrelang war die Inflation aus EZB-Sicht viel zu niedrig. Mittlerweile hat sich das Bild aber radikal geändert, zuletzt wurden die hohen Energiepreise durch den Krieg in der Ukraine zusätzlich angeheizt. Auch Lebensmittel und viele Rohstoffe sowie Vorprodukte für die Industrie sind deutlich teurer geworden. Im Mai lag die Inflation im Euro-Raum bei 8,1 Prozent - ein Rekord.

Kritiker werfen der EZB vor, viel zu langsam zu agieren. In den USA und Großbritannien wurden die Zinsen bereits deutlich angehoben. Im Euro-Raum liegen die Leitzinsen dagegen noch bei 0,0 Prozent. Außerdem verharrt der sogenannte Einlagensatz weiterhin bei minus 0,5 Prozent. Geschäftsbanken müssen also Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der EZB parken. Hier könnte die EZB zuerst ansetzen. Lagarde hatte kürzlich angekündigt, Negativ-Zinsen sollten bis Ende September Geschichte sein.

"Es ist eine klare Zinsansage der EZB erforderlich", sagte Andreas Martin aus dem Vorstand des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Der Leitzins müsse am Jahresende bei 0,75 Prozent liegen. KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib sagte, es gebe das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale, also einer sich weiter verstärkenden Inflation. "Reagiert die EZB zu spät, wird es noch schwieriger, die Inflation wieder auf ihr Zwei-Prozent-Ziel zu drücken."

Um 13.45 Uhr wird die EZB ihren Zinsbeschluss veröffentlichen - wahrscheinlich mit dem Ende des Anleihen-Kaufprogramms APP und einem Hinweis zum Zeitplan für die Zinswende. Ab 14.30 Uhr wird Lagarde die Beschlüsse dann vor der Presse erläutern und womöglich für mehr Klarheit sorgen. Die EZB will zudem am Nachmittag ihre neuen Konjunkturprognosen veröffentlichen. Sie dürften ein schwächeres Wachstum und eine noch höhere Inflation anzeigen - und könnten Einfluss auf das Tempo der Zinserhöhungen bis zum Jahresende haben.

rtr