Die Europäische Zentralbank (EZB) wird auf ihrer Sitzung am Donnerstag (9.6.) voraussichtlich das Ende ihrer Wertpapierkäufe im Juni bestätigen - und eine Zinserhöhung spätestens für ihre nächste Sitzung am 21. Juli ankündigen. Das zumindest erwarten die meisten Experten - und sehen die Notenbank damit vor einem historischen Wendepunkt. Denn damit würden die Währungshüter nach Jahren expansiver Geldpolitik die erste monetäre Straffung seit elf Jahren einläuten. Die Frage, die den Aktienmarkt und damit Anleger beschäftigt: Wie deutlich vollzieht die EZB die Zinswende? Und schafft sie das, ohne die sich abschwächende Konjunktur in den Volkswirtschaften der Euro-Zone abzuwürgen?
Nach gängiger These ist die härtere geldpolitische Gangart erforderlich, um die hohe Inflation im Euroraum in den Griff zu bekommen. So sind die Preisteuerungsraten in Deutschland und in der Eurozone im Mai mit 7,9 und 8,1 Prozent auf die höchsten Werte seit Jahrzehnten geklettert. "An den Märkten wird erwartet, dass sich EZB-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag über Zeitpunkt, Ausmaß und Tempo der Zinserhöhungen äußert", erläutert AGI-Experte Frank Dixmier. Wurde bislang eine Anhebung im Juli von einem viertel Prozentpunkt erwartet, beginnen Marktteilnehmer inzwischen auch eine Anhebung von einem halben Punkt für realistisch zu halten - beispielsweise die Deutsche Bank. Die meisten rechnen aber weiterhin mit einem viertel Punkt - wie auch Franklin-Templeton-Experte Andreas Billmeier: Er glaubt, dass die EZB am Donnerstag das Ende der Anleihenkäufe bestätigen wird und zwei Zinserhöhungen um 0,25 Punkte im Juli und September in Aussicht stellt.
Was die Aktienmärkte am meisten irritiert, ist die Unsicherheit. Die US-Notenbank Fed ist im Gegensatz zur EZB ein paar Schritte weiter - hat bereits mehrfach den Leitzins angehoben und wird diesen Kurs fortsetzen - mit klar kommunizierten Schritten um 0,5 Prozentpunkte. In den USA sind die Aktienkurse zuletzt auf breiter Front wieder angestiegen. Schon ist von einer "ordentlichen Erholungsrally" die Rede, wobei noch längst nicht klar ist, wie weit sie trägt. Gibt es vielleicht sogar eine Zinspause, die den Aktienmarkt weiter antreibt? Oder werden noch stärkere Zinserhöhungen zum Thema? Beispielsweise dann, wenn es zu einem russischen Gaslierferstopp käme, der womöglich auch zweistellige Inflationsraten zur Folge hätte.
Volkswirtin Ulrike Kastens von der Fondsgesellschaft DWS sieht unterdessen moderat steigende Notenbankzinsen schon weitgehend im Aktienmarkt eingepreist, wie sie gegenüber boerse-online.de erläuterte. Aktienanleger sollten beobachten, wann der Höhepunkt beim Inflationsdruck überschritten sei. "Sollte sich die Inflationslage wieder etwas entspannen, könnten etwa jene bilanzstarken Wachstumsunternehmen profitieren, die besonders gelitten haben. Bei steigendem Inflationsdruck dürften hingegen Substanzwerte und rohstoffabhängige Werte die erste Wahl darstellen", sagte Kastens.
ehr