Nun bedeuten die kritischen Töne der durch die Pegida-Bewegung ohnehin nervösen Sachsen noch keine echte Revolte gegen Merkel - die Stimmung auf den CDU-Parteiveranstaltungen in Wuppertal und Stade vor wenigen Tagen war eine ganz andere, auch wenn es dort vereinzelte kritische Kommentare gab. Und in Schkeuditz gab es auch Unterstützung. Aber die Warnsignale gerade für die Volksparteien häufen sich, nicht nur wegen des mittlerweile von mehr als hundert lokalen CDU-Mitgliedern unterzeichneten "Brandbriefs" an Merkel.
Am Mittwoch trat der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper aus der SPD aus, weil er sich seine kritischen öffentlichen Positionen zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge nicht verbieten lassen will. Die Kluft zwischen den in Berlin gesehenen Notwendigkeiten in der Flüchtlingspolitik und dem Druck der Kommunalpolitiker ist offenkundig groß - und wird vor allem im Osten größer.
PARTEICHEFS REAGIEREN UNTERSCHIEDLICH
Bisher unterschieden sich die Strategien der Parteichefs. Merkel argumentierte auch in Schkeuditz, dass ihre Politik letztlich alternativlos sei. "Ich kann Ihnen nicht versprechen, Deutschland mit einem Zaun zu umstellen, an dem am Ende keine Flüchtlinge mehr durchkommen." Sie wiederholte ihr Credo, dass nur eine Absprache in der EU und den Nachbarländern wie der Türkei den Zustrom wirklich eindämmen könne - neben nationalen Maßnahmen wie schnellere Abschiebungen. Dass dies den teilweise überforderten Lokalpolitikern keine schnelle Linderung verschafft, räumt Merkel offen ein - glaubt aber, dies erst einmal nicht ändern zu können.
CSU-Chef Seehofer wiederum nimmt den Gegenpart ein und gibt den Druck von unten nach oben, also Richtung Berlin weiter. "Wenn die Politik der Zuwanderung keine Grenzen setzt, wird die Bevölkerung der Politik Grenzen setzen", sagte er nach einem Treffen mit Kommunalpolitikern. Am Donnerstag setzte er nach: "Niemand anders ist für Zuwanderungs- und Aufenthaltsrecht zuständig als der Bund", sagte er im bayerischen Landtag und warnte: "Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern."
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), räumt ein, dass die Union gespalten ist und beide Pole der Debatte besetzt. Gleichzeitig wirft er SPD-Chef Sigmar Gabriel Orientierungslosigkeit vor. Gabriel argumentiert wie Merkel, weil er den begrenzten Spielraum der Regierung sieht - nimmt aber stärker die kritischen Stimmen von SPD-Ministerpräsidenten und -Kommunalpolitikern auf.
Und er hat wie Seehofer nichts dagegen, wenn die Kritik vor allem mit der "Flüchtlings-Kanzlerin" Merkel nach Hause geht. "Aber alle drei haben mit ihren unterschiedlichen Ansätzen dennoch das Problem, mit jedem weiteren Flüchtling unter stärkeren Druck ihrer Basis zu geraten", sagte ein CDU-Strategie.
Auf Seite 2: Machtpolitisches Vakuum
MACHTPOLITISCH IM VAKUUM
Noch ist die Lage weit davon entfernt, wirklich gefährlich zu werden, lautet zumindest in CDU und SPD die Einschätzung. Zum einen zeigt der einstimmige Beschluss der Unions-Bundestagsfraktion zum Asylpaket, dass Merkel mangelnde Zustimmung der eigenen Reihen zu Gesetzpaketen nicht fürchten muss. Die Kritiker vom rechten Rand der Partei wollen vielmehr weitere Maßnahmen, die aber mit dem Koalitionspartner SPD oder den Grünen im Bundesrat derzeit nicht durchsetzbar sind. Was würde also eine Revolte bringen, fragte der thüringische CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring. Auf dem CDU-Bundesparteitag im Dezember stehen zudem keine Wahlen an, bei denen die Vorsitzende abgestraft werden könnte.
Zum anderen sind die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erst im März 2016. Bis dahin gelte es, Nerven zu bewahren, heißt es. Das ist aber nicht einfach, wie der Streit in der SPD Sachsen-Anhalts zeigt. Denn Magdeburgs Oberbürgermeister Trümper trat aus der Partei aus, weil sich die SPD-Spitzenkandidatin Katrin Budde beschwert hatte, dass Trümper Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) für dessen kritische Worte zum Flüchtlingszustrom lobte. Der Unmut braucht also zumindest Ventile für die lokalen Funktionsträger - etwa auf Regionalkonferenzen, auf denen die eigene Führung attackiert werden kann.
SPD IN ROT-GRÜNEN LANDESREGIERUNGEN UNTER DRUCK
Was passiert, wenn die Politik die Flüchtlingskrise nicht in den Griff bekommt, ist aber unklar: Das könnte auch das Problem der CSU werden, die nun mit ihrer harten Linie Erfolg vorweisen müsse, wird in der CDU-Spitze gewarnt. Immerhin liegt die rechtspopulistische AfD in Umfragen ausgerechnet in Bayern schon bei rund neun Prozent.
Auf sinkende Flüchtlingszahlen in den kommenden Wochen muss auch die SPD setzen, wenn die Kluft zwischen lokaler und Bundes-Ebene nicht zu groß werden soll. Denn die Sozialdemokraten stehen nicht nur innerhalb der eigenen Partei, sondern auch in den rot-grünen Landesregierungen unter Druck: In anderen Parteien macht sich die Basis auch bemerkbar - nur in eine andere Richtung.
Die Bremer Basis der Grünen etwa untersagte der Landesführung in der rot-grünen Regierung der Hansestadt, am Freitag im Bundesrat für das Asylpaket zu stimmen. Ihr gehen die Eingriffe in das Asylrecht zu weit. Deshalb mahnte Unions-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder bereits, die SPD müsse sich entscheiden, ob sie bei dem Thema Regierung oder Opposition sein wolle.