€uro am Sonntag: Herr Schüssler, Sie verwalten mit dem DWS Top Dividende ein 20 Milliarden Euro schweres Portfolio. Beeinflusst die Größe des Fonds Ihre Entscheidungen und den Anlageprozess?

Thomas Schüßler: Aber sicher. Das ist schon ein Unterschied, ob Sie 100 Millionen, eine Milliarde oder 20 Milliarden Euro managen. Von 100 Millionen auf eine Milliarde - da merken Sie noch nicht allzu viel. Von einer Milliarde auf 20 Milliarden, das spüren Sie erheblich.

Inwiefern?

Es ist nicht möglich, mal so eben mit einem Prozent des Fondsvolumens eine Aktie zu kaufen. Das wären 200 Millionen Euro. Das geht nur bei wenigen amerikanischen Titeln. In Europa funktioniert das nicht. Für Umschichtungen brauchen Sie immer eine gewisse Zeit. Das ist wie ein Supertanker. Sie müssen immer relativ weit vorausdenken. Sie bewegen sich langsamer, dafür aber bewusster. Denn Sie wissen genau: Wenn Sie eine Aktie kaufen, dann bleiben Sie erst mal investiert. Sie können sie nicht kurzfristig ohne Weiteres abstoßen.

Das hat nicht immer Vorteile, oder?

Mal eben eine Opportunität für drei Monate zu kaufen, das geht mit einem Fonds dieser Größenordnung nicht. Man überlegt sich dann schon: Wenn ich jetzt etwas kaufe, muss ich es auch die nächsten Jahre halten, im Zweifel auch in einer Rezession.

Was ist denn der konkrete Anlagehorizont?

Wir haben im Durchschnitt eine Haltedauer von fünf Jahren plus. Es gibt auch Aktien im Fonds, die habe ich seit zehn Jahren nicht mehr angefasst. Das sind nicht unbedingt die hoch gewichteten Titel, eher die aus den unteren Rängen des Portfolios.

Gibt es Unternehmen, die Sie gar nicht kaufen können?

Natürlich. Für ein neues Investment setzen wir in der Regel eine Marktkapitalisierung von zehn Milliarden Euro voraus. Da gehen wir nur selten drunter. Wir haben allerdings Positionen, bei denen die Firmen kleiner sind. Aber die sind überwiegend aus den Zeiten, als der Fonds auch noch kleiner war.

Welche Eigenschaften sollte ein Fondsmanager mitbringen, der ein solches Flaggschiff lenkt?

Wenn man so groß werden und - was ungleich schwieriger ist - groß bleiben will, muss man bereit sein, auch mal richtig miese Zeiten in Kauf zu nehmen. Der DWS Top Dividende ist ja ein Themenfonds. Und es ist vollkommen klar, dass so ein Thema auch mal schlechte Zeiten erlebt. Da müssen Sie aber durch und dürfen nicht denken, weil Dividendenaktien mal schlecht laufen, schichte ich in Wachstumsunternehmen um. Spätestens, wenn es an den Börsen nämlich wieder einen Favoritenwechsel gibt, ist der Fonds nicht mehr groß. Denn dann haben Sie in den Augen der Investoren das Thema verfehlt.

Also sind Ausdauer und eine gewisse Leidensfähigkeit gefragt?

Ja, Sie müssen bereit sein, eine Strategie, die langfristig erfolgreich ist, durchzuhalten.

Hat es Ihr Kollege Klaus Kaldemorgen, der in seinem Mischfonds flexibler und opportunistischer agieren kann, da einfacher?

Das würde ich nicht sagen. Denn auch er muss erst mal den Mut haben, diese Positionierungen einzugehen und sie durchzuhalten. Da hilft es natürlich, wenn man Klaus Kaldemorgen ist und nicht Manfred Müller. Denn bei Manfred Müller kommt irgendwann einer und fragt: Was machen Sie denn da, Herr Müller? Das kann meinem Kollegen Kaldemorgen natürlich auch passieren, es dauert aber vermutlich länger.

Sie managen den DWS Top Dividende seit 2005. Wie verlief die Anfangszeit?

Die ersten Jahre waren relativ ruhig. Die Anleger interessierten sich mehr für Schwellenländer-, BRIC- und Rohstofffonds. Das Thema Dividende lief ganz ordentlich, war aber nichts, was bei Anlegern überaus stark gefragt war. Bis dann das Jahr 2008 kam.

Die Finanzkrise.

Da ist es ordentlich runtergegangen an den Märkten. Auch der Fonds litt darunter, aber bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie der breite Markt, weil ich zu der Zeit sehr wenig Finanzwerte im Portfolio hatte. Nach der Krise war das Portfolio sehr gut aufgestellt. Und nach Krisen wollen viele Investoren das haben, was sich einigermaßen gehalten hat. Nicht unbedingt das, was die größten Renditen bringen würde, sondern eher solide Werte. Damit fingen die großen Zuflüsse an.

Wie ging’s weiter?

2011 kam es zur Eurokrise, in der sich der Fonds erneut bewährte. Das bescherte ihm hohe Zuflüsse. Genauso wie 2016, als nach einer kleinen Krise wieder viel Anlagekapital in den Fonds floss. Von 2008 bis 2017 hat das Portfolio einen zweistelligen Milliardenbetrag angezogen. Danach begann die schwierige Zeit.

Inwiefern?

Nach dem Jahr 2017 liefen nur noch Wachstumstitel. Insbesondere 2020 war ein schlimmes Jahr für den Fonds: Der Markt war im Plus und das Portfolio im Minus. Es war den Investoren schwer zu erklären, dass der Fonds die Erholung aus dem Corona-Crash aufgrund seiner defensiven Anlagestrategie nicht mitmachen kann. Die vergangenen beiden Jahre waren die schwierigsten in der Geschichte des DWS Top Dividende, keine Frage.

Was waren die Gründe?

Wenn Sie den Weltaktienindex MSCI World in eine Value- und eine Wachstumshälfte teilen, stellen Sie Folgendes fest: Seit 2008 hat der Wachstumsteil in jedem Jahr, mit einer Ausnahme, besser rentiert als der Value-Teil. So einen langen Wachstumszyklus gab es noch nie. Und im Jahr 2020 war die Überrendite des Wachstums- gegenüber dem Value-Teil doppelt so groß wie 1999. Damals gab es den Neuen Markt, und es war das Jahr der Tech-Blase. Das Problem: Der Wachstumsteil des MSCI World hat eine Dividendenrendite von unter einem Prozent im Schnitt und der Value-Teil von drei. Raten Sie mal, wo der Fonds investiert ist?

2020 war sozusagen der Worst Case?

Ja, denn im Normalfall wäre aus der Pandemie eine Rezession resultiert. Aber dann kamen große Hilfsprogramme, und die Zentralbanken haben so viel Geld gedruckt, wie vorher in zehn Jahren nicht. Das war eine Supernova an Liquidität. Und diese Supernova hat am Aktienmarkt dazu geführt, dass von Rezession direkt auf Megaspekulation umgeschaltet wurde. Das hat es noch nie gegeben, und das war natürlich Gift für den Fonds. Bei so einer Party gucke ich nur noch zu.

Vergangenes Jahr war nicht mehr ganz so extrem, oder?

Ja, aber wirklich besser wurde es auch nicht. Und der Druck war nach wie vor hoch.

Sind Sie in dieser Zeit selbst ins Zweifeln gekommen, oder war Ihnen klar, dass sich die Zeiten wieder ändern?

Dass sich die Zeiten wieder ändern, war mir schon klar. Wenn Sie sich die MSCI-Indizes Wachstum gegen Value angeschaut haben, wussten Sie ganz genau, dass dieses Pendel irgendwann zurückschwingt. Aber Sie hätten nie gedacht, dass es so weit in eine Richtung geht. Mich erinnert die Situation an das Jahr 2000. Damals gingen auch reihenweise Value- und Dividendenmanager aus dem Markt. Auch heute finden Sie praktisch keine Value-Fonds mehr auf dem Markt. Erst seit Jahresanfang wird das Thema wieder entdeckt.

Wie hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Umfeld für Dividendenfonds verändert?

Das hat sich stark verändert. Als der DWS Top Dividende aufgelegt wurde, gab es in Deutschland vielleicht eine Handvoll weltweit anlegender Dividendenfonds. Das Thema hat hierzulande bis nach der Finanzkrise kaum eine Rolle gespielt. Das kam erst, als man gemerkt hat, die Zinsen kommen nicht mehr weg von der Null, so in den Jahren 2011 bis 2013.

Die Dividende als neuer Zins …

Genau. Die Idee regelmäßiger Ausschüttungen ist auch nicht verkehrt. Und wenn man einen Dividendenfonds lange genug hält, ist das eine gute Strategie. Mit Anleihen konnte unser Portfolio immer mithalten. Allerdings war es - rückblickend betrachtet - nicht die Strategie, die die höchsten Renditen gebracht hat. Das waren in dieser Zeit wie gesagt Wachstumsaktien.

Viele Dividendenfonds haben sich ja an dieses Umfeld angepasst.

Das stimmt. Am Anfang waren die Fonds alle recht ähnlich zum DWS Top Dividende und zielten auf überdurchschnittlich hohe Dividendenrenditen ab. Im Zuge schwächerer Wertentwicklung schichteten mehr und mehr in Richtung Wachstum um. Ein Portfolio mit zwei oder einem Prozent Dividende führte aber dazu, dass die gesamte Kategorie in der durchschnittlichen Dividendenrendite sukzessive nach unten ging. In den vergangenen zwei, drei Jahren ist dieser Trend zu einer Art Herdenbewegung ausgeartet. Viele haben in Richtung Niedrigdividende oder keine Dividende umgeschichtet - Hauptsache Wachstum. Damit war der DWS Top Dividende mit wenigen anderen plötzlich allein auf weiter Flur.

Ein Außenseiter …

In der Tat. Und dass der Fonds 2020 nicht nur relativ zum Markt nicht so gut war, sondern auch relativ zu seiner Vergleichsgruppe, tat doppelt weh.

Als alle Dividendenfondsmanager was anderes gemacht haben, sind Sie da eigentlich auch mal ins Nachdenken gekommen?

Natürlich.

Und was hat Sie bewogen, Ihrer Strategie doch treu zu bleiben?

Erstens, weil ich es den Kunden versprochen habe. Und zweitens war mir klar, wenn ich jetzt das Anlagekonzept grundsätzlich verändere und der Markt dreht, dann ist der Fonds tot. Denn ich mache dann was, was der Kunde nicht versteht. Wie ich schon sagte: Entweder Sie halten das durch, oder der Fonds ist irgendwann nicht mehr groß.

Wie ist das Anlegerinteresse aktuell?

Dieses Jahr verzeichnet der Fonds wieder Zuflüsse. Denn der Markt hat sichtbar gedreht, und der Fonds macht jetzt das, was er soll: Er reduziert das Risiko, ist gut diversifiziert und erspart Anlegern die minus 30 Prozent in Wachstumstiteln. Das wird durchaus honoriert.

Wie ist der Fonds aktuell aufgestellt?

Als in den vergangenen zwei Jahren alle Tech-Werte gekauft haben, haben wir Rohstoffe gekauft, Versorger und Pharmaaktien. Wir haben schlicht dorthin investiert, wo Dividenden sind und wo es sehr billig war. Wir hatten jetzt zwei Jahre lang einen Markt, der die klassischen Bewertungskennzahlen komplett ignoriert und immer jene Aktien gekauft hat, die möglichst teuer waren.

Sie haben das Gegenteil gemacht.

Ja, wir haben Aktien mit niedrigem KGV aus dem Rohstoffbereich als Inflationsschutz gekauft. Die machen aktuell ein Viertel des Fonds aus. Die Hälfte sind Aktien von wenig konjunkturabhängigen Unternehmen: Konsum, Telekommunikation, Pharma. Denn ich denke, dass so hohe Inflationsraten wie aktuell zwangsläufig in eine Rezession münden. Das ist fast nicht abzuwenden.

Würden Sie Ihr Portfolio als Value-Fonds bezeichnen?

Ja. Früher war es das nicht, denn Dividendenaktien waren nicht unbedingt günstig. Aber in den vergangenen zwei, drei Jahren hat es sich zu einem Value-Fonds entwickelt.

Wie beurteilen Sie die Aussichten für den Fonds in den kommenden Jahren?

Wir haben in den vergangenen Jahren Renditen am Aktienmarkt gesehen, die viel zu hoch waren, vor allem in den USA. Die Weltwirtschaft ist in dieser Zeit ja nicht besonders stark gewachsen. Ich erwarte, dass nun eine gewisse Gegenbewegung eintritt bei der Gewinnentwicklung der Firmen. Gehen Sie nicht davon aus, dass Sie am Aktienmarkt über die nächsten drei Jahre zweistellige Renditen erzielen.

Das heißt?

In Phasen niedriger Renditen ist eine Dividendenstrategie per se stark. Denn die Ausschüttungen sind ziemlich sicher, im Unterschied zu den Kursgewinnen. Eine Strategie, die auf höhere Dividendenrenditen setzt und weniger auf Kursgewinne, ist in einem solchen Umfeld klar im Vorteil. Und das wohl über die nächsten paar Jahre.

Vita:

Physiker und Anlagestratege

Thomas Schüssler, geboren 1966 in Mannheim, ist promovierter Physiker und diplomierter Wirtschaftswissenschaftler. 1991 startete er seine berufliche Karriere bei der Deutschen Bank, wo er unter anderem als Vorstandsassistent von Josef Ackermann tätig war. 2001 wechselte er zur DWS ins Fondsmanagement. Seit 2005 zieht Schüssler die Fäden beim DWS Top Dividende. In seiner Freizeit geht der Fondsmanager gern wandern oder auf Skitour.

INVESTOR-INFO

DWS Top Dividende

Konsequent konservativ

2003 legte die DWS einen der ersten globalen Dividendenfonds in Deutschland auf. Mit rund 20 Milliarden Euro Anlagekapital ist er heute einer der größten aktiv gemanagten Fonds in Europa. An seiner konservativen Ausrichtung hat sich nichts geändert. Fondsmanager Schüssler versammelt im Portfolio Aktien, die eine Dividendenrendite über Marktdurchschnitt erwarten lassen. In der Regel stammen sie aus Sektoren wie Versorger, Basiskonsumgüter, Grundstoffe oder Gesundheit.