€uro fondsxpress: Herr von Wallwitz, der italienische
Ministerpräsident sagt: Sollten wir Gefangene
von Regeln und Bürokratie bleiben, bedeutet dies
das Ende für Europa. Hat Matteo Renzi recht?
von Wallwitz: Regeln können und müssen sich
über die Zeit ändern. Vor allem dann, wenn man
erkennt, dass das System, für das ja die Regeln gelten
sollen, nicht funktioniert. Die Eurozone in ihrer
derzeitigen Verfassung ist eine Fehlkonstruktion.
Solange sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine
echte Fiskal- oder auf eine echte Transferunion
einigen, bleibt sie anfällig für Krisen.
In welche Richtung wird sich die Eurozone Ihrer Meinung
nach langfristig entwickeln?
Eine immer engere Verzahnung der EU kommt bei
den Bürgern derzeit nicht an. Aber auch gegen eine
Transferunion gibt es erhebliche Widerstände.
Langfristig wird es auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten
hinauslaufen. Eine Staatengruppe
wird ihre Steuer- und Sozialsysteme immer
mehr angleichen und sich einer strengen Haushaltsdisziplin
verpflichtet fühlen. In der anderen
Gruppe werden die Länder vertreten sein, die diese
Integrationstiefe nicht erreichen wollen oder
können. So wie die Eurozone derzeit konstruiert
ist, zählt Griechenland innerhalb der Eurozone zu
den Verlierern. Außerhalb der Eurozone hätte das
Land wohl eine bessere wirtschaftliche Zukunft.
Wie kann Griechenland in der Eurozone bleiben?
Eine Lösung kann letztlich nur so aussehen, dass die Gläubiger ihre
Forderungen auf sehr lange Zeiträume strecken und dass die Griechen
die Kürzungen beschließen, die sie auch außerhalb der Eurozone
machen müssten. Unmöglich ist so ein Kompromiss nicht. Fraglich
bliebe aber immer, ob er auch umgesetzt wird.
Syriza-Politiker haben die von den Institutionen geforderten Reformen
als Demütigung bezeichnet. Fehlt es den Gläubigern an Sensibilität?
Ja, Griechenlands Regierungen wurden in den vergangenen fünf Jahren
oft oberlehrerhaft behandelt, das Verständnis für die Not der Bevölkerung
fehlte. Aber auch die Bürger der wohlhabenden EU-Staaten
versetzen sich zu wenig in die Lebenswirklichkeit der griechischen
Bevölkerung. In Griechenland gibt es kein soziales Sicherungsnetz
wie in Deutschland. Und es wird auch nicht begriffen, dass die
Menschen in Griechenland nicht mehr für Fehlentscheidungen von
Politikern und Gläubigern geradestehen wollen. Die Griechen sind
nicht an allem schuld. Ein Grund für die Krise ist, dass man 2011 die
Banken im Interesse der allgemeinen Stabilität gerettet hat und sie
ihre Verluste nicht selbst hat tragen lassen. Stattdessen hat man sich
entschieden, die griechische Bevölkerung für die schlechten Kreditentscheidungen
der Banken allein aufkommen zu lassen.
Diese Entscheidung war ein klarer Verstoß gegen geltende Regeln?
Ja, wer eine schlechte Kreditentscheidung trifft, muss auch die Konsequenzen
tragen. Konsequenz hat man aber nicht von den französischen
oder deutschen Banken gefordert, pocht jedoch im Fall von
Griechenland auf die strikte Einhaltung von Regeln. Die Bevölkerung
empfindet Steuererhöhungen, die dann an die Gläubiger fließen, zu
Recht als existenzbedrohend. Jeder Euro, der Griechenland verlässt, fehlt. Das Geld müsste in die wirtschaftliche Entwicklung investiert werden, ein Schuldenschnitt
ist daher zwingend.
Gibt es einen langfristigen Plan der Regierung in
Athen, wie das Land wieder auf die Beine kommt?
Einen solchen vermag ich nicht zu erkennen. Ministerpräsident
Alexis Tsipras und seine Syriza-
Partei sind ideologisch sehr nahe an Wirtschaftsvorstellungen
von Linksparteien in Lateinamerika.
Sozialistische Wirtschaftsmodelle haben sich
in der Realität jedoch nicht bewährt. Trotz des Ölreichtums
verschlechtert sich die Lage etwa in Venezuela
zusehends. Das Geld aus den Exporterlösen
versickert in dunklen Kanälen, die Armut wurde
nicht abgebaut. Insofern ist die Reserve der Geberländer
verständlich.
Wie leidensfähig ist die Bevölkerung, wann kippt die
Zustimmung zu Syriza?
Die Leidensfähigkeit ist höher als in Deutschland.
Die Griechen können sich einschränken und besitzen
eine größere Fähigkeit zur Improvisation.
Viele sind auch der Auffassung, dass sich für sie
persönlich nicht viel ändert, wenn die Marktwirtschaft
abgeschafft und statt dessen eine sozialistische
Wirtschaftspolitik betreiben würde.
Am 20. Juli müsste Athen 3,5 Milliarden Euro an die
EZB überweisen. Ist die Regierung dazu in der Lage?
Nein, sie will es auch nicht. Auch weil die Weigerung, eine fällige Rate
an den IWF zu überweisen, die griechische Regierung in ihrer konfrontativen
Haltung bestärkt hat. Trotz zuvor angekündigter Konsequenzen
ist bisher nicht viel passiert. Auch am nächsten Tag ging
die Sonne auf. Irgendwann wird sich das rächen.
Die EZB müsste dann aber ihre Nothilfekredite kappen. Kommt es dann
in Griechenland zum Bankenkollaps?
Nicht zwingend. Vorstellbar ist auch, dass die Institute von ausländischen,
vielleicht auch russischen Banken, übernommen werden.
Nicht mehr über ein heimisches Bankensystem mehr zu verfügen,
muss kein Nachteil für Griechenland sein.
Angenommen, der Grexit wird vermieden. Gewinnen dann in anderen
südeuropäischen Ländern Parteien des linken Spektrums an Zulauf?
Wahrscheinlich, das aber wäre nicht im Sinne der Geldgeber. Das ist
ja auch ein Grund, warum ein Schuldenschnitt bislang tabu ist.
Kommt es doch dazu, würden dann die Renditen südeuropäischer Staatsanleihen
deutlich anziehen?
Das ist gut vorstellbar. Bislang aber stufen die Märkte die Ansteckungsgefahren
für die Peripherieländer deutlich geringer ein als
noch vor ein paar Jahren.
Wie reagieren Sie als Fondsmanager auf die aktuellen Entwicklungen?
Wir warten ab, sind tendenziell aber nicht aggressiv aufgestellt. Im
Phaidros Funds Conservative etwa beträgt die Aktienquote derzeit
21 Prozent. Der Anteil der Staatsanleihen ist vernachlässigbar, auf
Unternehmensanleihen entfallen 61 Prozent. Anlagen im Euroraum
haben wir schon länger reduziert.