Wer sich an solch ein Ziel klammere, sorge nur dafür, dass "dem Abschwung hinterhergespart" werde. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier reagierte kühl: Die Debatte komme "zur falschen Zeit." Aus der Wirtschaft erhielten die Forscher jedoch Beifall: "Das Festhalten an der Schwarzen Null im kommenden Jahr darf kein Dogma sein", forderte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Ähnlich hatte sich in der Vergangenheit auch der Internationale Währungsfonds geäußert und mehr Investitionen angemahnt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jüngst nach der Einigung in der großen Koalition auf ein milliardenschweres Klimapaket betont: "Wir stehen zur Schwarzen Null." Laut Finanzminister Olaf Scholz wird das Paket bis einschließlich 2023 ein Volumen von mehr als 54 Milliarden Euro haben, das jedoch an vielen Stellen durch Mehreinnahmen gedeckt sei.
Die führenden Institute DIW, Ifo, IWH, RWI und IfW kritisieren das Klimaschutzpaket als nicht ehrgeizig genug. Die geplante stärkere Bepreisung des Kohlendioxid-Ausstoßes sei zwar ein geeignetes Instrument, um Emissionsziele mit minimalem Aufwand zu erreichen. Allerdings seien die Preiskorridore für die Jahre 2021 bis 2025 "wenig ambitioniert". Die Gutachter empfehlen einen höheren Einstiegspreis bei der CO2-Bepreisung für den Verkehrs- und Gebäudebereich. Damit würden nach Ansicht der Institute auch "viele der kleinteiligen Bestimmungen" im Klimapaket entbehrlich. Ökonom Oliver Holtemöller vom IW Halle betonte, Klimaschutz sei "nicht zum Nulltarif" zu haben: "Wenn wir etwas wirksam dafür tun wollen, geht das mit Konsumverzicht einher."
ABSAGE AN ABWRACKPRÄMIEN
Als Rezept gegen den sich abzeichnenden Konjunkturabschwung taugen den Forschern zufolge Konjunkturprogramme nicht. Auch Abwrackprämien seien keine sinnvolle Wirtschaftspolitik. Im Rahmen des Klimapakets waren unter anderem Zuschüsse zum Kauf von E-Autos oder modernen Heizungen beschlossen worden. So soll der Austausch von Ölheizungen mit bis zu 40 Prozent der Kosten gefördert werden. Den Forscher sind allzu viele Subventionen ein Dorn im Auge: Es gelte, den Haushalt mit Blick auf Prioritäten hin zu durchforsten: "Dazu gehören Subventionen in Höhe von 17 Milliarden Euro", sagte Ökonom Stefan Kooths vom Kieler IfW.
Derzeit bestehe kein Anlass für "konjunkturpolitischen Aktionismus", heißt es im Gutachten. Vielmehr liege der wirksamste finanzpolitische Stabilisierungsbeitrag darin, die öffentlichen Haushalte "mit der Konjunktur atmen zu lassen". Hierzu bietet die Schuldenbremse explizit Spielraum. Auch Altmaier sieht keinen Grund für Alarmismus. "Wir haben aktuell keine Konjunkturkrise." Eine solche Krise drohe auch nicht - trotz gedämpfter Aussichten durch die internationalen Handelskonflikte und die ungeklärte Brexit-Frage.
"WIRTSCHAFT SCHRAMMT AN REZESSION VORBEI"
Die Experten blicken allerdings skeptischer als im Frühjahr auf die Konjunktur, die dieses Jahr nur noch um magere 0,5 Prozent wachsen dürfte. Reuters hatte von den Prognose-Zahlen bereits vorab von Insidern erfahren. Laut dem Essener Forscher Torsten Schmidt vom Essener Institut RWI wird Deutschland jedoch an einer Rezession vorbeischrammen: "Wir sind nicht drin und geraten nach unserer Prognose auch nicht hinein."
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2020 um 1,1 Prozent zulegen. Es gebe jedoch Alarmzeichen: "Die Industrie befindet sich in der Rezession, ihre Produktion ist seit gut eineinhalb Jahren rückläufig", heißt es im Gutachten. Diese Flaute strahle allmählich auch auf unternehmensnahe Dienstleister aus. Auch wenn die Forscher keine Rezession für die Gesamtwirtschaft vorhersagen, ist die Prognose laut dem Münchner Ifo-Forscher Timo Wollmershäuser doch mit erheblichen Risiken behaftet. Die Vorhersage stehe auf "wackligen Füßen", falls sich etwa die Annahmen nicht bestätigen sollten, dass eine Eskalation des Zollstreits unterbleibe und ein harter Brexit vermieden werde.
rtr