Zu den glamourösen Sektoren, über die in der Finanzpresse ständig berichtet wird, zählt die chemische Industrie schon länger nicht mehr. Allenfalls Unfälle und Megafusionen brachten sie zuletzt in die Schlagzeilen. Doch verstecken muss sich die Branche nicht.

Beispielsweise hat der europäische Chemie-Subindex seit März 2009 den marktbreiten Stoxx Europe 600 klar abgehängt. Von Mitte 2014 bis Mitte 2016 herrschte allerdings Kursstagnation, doch inzwischen geht es wieder spürbar aufwärts. Charttechnisch eine günstige Ausgangslage.

Beachtung gebührt dem Sektor, aber nicht nur deswegen, sondern speziell in Deutschland auch wegen seiner Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft. Geht es doch um die drittgrößte inländische Industriebranche, die zudem als Exporteur und Produzent weltweit die Plätze drei und vier belegt. Außerdem handelt es sich nach wie vor grundsätzlich um ein Wachstumssegment. Selbst in einer reifen Chemienation wie Deutschland rechnet der Branchenverband VCI im Schnitt bis 2030 mit einem Produktionsplus, das mit 1,8 Prozent pro Jahr stärker ausfallen soll als das Wachstum der deutschen Gesamtwirtschaft (1,3 Prozent).

Noch besser sind die Aussichten wegen der größeren volkswirtschaftlichen Dynamik in Asien. Und auch in den USA sind die Perspektiven hervorragend. Dazu tragen niedrige Energie- und Rohstoffpreise ebenso bei wie die Aussicht auf Steuersenkungen oder Regulierungsabbau. Der US-Chemieverband hält für 2017 ein Branchenwachstum von 3,5 Prozent für möglich. Ermutigend dabei: Auf Branchenkonferenzen zeigten sich viele Unternehmen jüngst zumindest verhalten optimistisch.

Die Ergebnisperspektiven auf Basis der Analystenschätzungen präsentieren sich ebenfalls mehr als passabel. So sagt die Deutsche Bank in einer Studie den im Stoxx Europe 600 Chemicals enthaltenen Unternehmen für die Jahre 2017 bis 2019 Gewinnsteigerungen von 8,1, 9,3 und 7,1 Prozent voraus. Die Bewertung bewegt sich auf KGV-Basis für das übernächste Jahr mit geschätzten rund 15, aber über dem Marktdurchschnitt von rund 13. Im Zehnjahresrückblick ist das ein relativ hoher Bewertungsaufschlag. Bei der Suche nach Kaufkandidaten sollten Anleger deshalb etwas genauer hinschauen.

Denn aussichtsreiche Titel lassen sich nach wie vor finden. Das sehen Brancheninsider offenbar ähnlich. Zumindest spricht dafür die Fusionswelle, die 2017 anhalten dürfte. Diese Prognose gilt insbesondere für Megatransaktionen. Nachdem es ein Jahrzehnt lang keine Übernahme mit einem Volumen von mehr als 20 Milliarden Dollar gab, stecken nach Angaben der Unternehmensberatung A.T. Kearney jetzt gleich vier Deals in der Pipeline, deren Wert sich zwischen 40 und 70 Milliarden Dollar bewegt.

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Fünf Kaufkandidaten



Unfreiwillig wurde AkzoNobel zum Mitspieler im Fusionspoker. Denn der US-Konkurrent PPG Industries hat einen feindlichen Übernahmeversuch gestartet. Der mittlerweile zweite Anlauf beinhaltet ein Gebot von knapp 89 Euro je Aktie (die aktuell bei rund 78 Euro notiert). Die Verantwortlichen des niederländischen Farben- und Spezialchemieherstellers halten aber wenig von einem Zusammenschluss. Sie streben eine Aufspaltung an. Für Anleger ist das komfortabel, weil es sowohl intern als auch extern Aktivitäten gibt, die zu einer Wertsteigerung führen sollten.



Nicht mit am Ball beim milliardenschweren M & A-Reigen ist BASF. Der weltgrößte Chemieproduzent hat derzeit eher kleinere oder mittlere Transaktionen im Visier und will ansonsten organisch wachsen. Nach einem Rückgang bei Umsatz und operativem Ergebnis im Vorjahr sind 2017 wieder Steigerungen geplant. Geografisch und auch auf der Produktseite ist der DAX-Vertreter gut aufgestellt - und es besteht die Chance, dass sich die bisherige Jahresprognose als zu konservativ erweist. Der Kurs marschiert bereits stramm Richtung Rekordhoch.

Ebenfalls wieder auf Rekordjagd ist nach einer zwischenzeitlichen Auszeit die Aktie der ehemaligen Bayer-Tochter Celanese. Um die Kursrichtung gen Norden beizubehalten, muss der Anbieter von Materialien für die Chemie-, Farb- und Lackindustrie nicht viel mehr tun, als die derzeitigen Analystenschätzungen zu erfüllen. Denn wenn es gelingt, das Ergebnis je Aktie bis 2020 auf 9,30 US-Dollar zu verbessern, hätte der Titel mit einem einstelligen KGV wieder Luft nach oben. Ähnlich einfach gestrickt ist die Anlagestory bei Eastman Chemical. Der Analystenkonsens traut dem 1920 gegründeten Spezialchemie-Hersteller zu, den Gewinn bis 2020 auf 9,05 Dollar zu steigern. Geht die Rechnung auf, würde auch das auf ein einstelliges KGV hinauslaufen.

Die Fantasie beim letzten Mitfavoriten Albemarle rührt aus dessen Hauptprodukt Lithiumchemikalien. Denn dieser Bereich profitiert vom steigenden Batterieeinsatz, etwa in Elektrofahrzeugen. Das US-Unternehmen hat jüngst erst die Nachfrageprognose für Lithiumcarbonat von 15 000 bis 20 000 Tonnen auf 35 000 Tonnen im Jahr 2021 angehoben. Zudem lautet das Ziel, die Hälfte des Wachstums des Lithiummarkts im nächsten Jahrzehnt für sich zu erobern. Gelingt dies, gestaltet sich das derzeit optisch noch etwas hohe KGV von über 20 auf Sicht von drei bis fünf Jahren deutlich günstiger.



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