Mit einer Serie von Bürger-Veranstaltungen in diesem Jahr will die EZB den direkten Kontakt zu den Menschen auf der Straße suchen und von ihnen erfahren, was sie über die Inflation und die Geldplitik der Notenbank denken, wie sechs mit den Plänen vertraute Insider der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Von Kirchenvertretern bis hin zu Studenten sollen die unterschiedlichsten gesellschaflichen Gruppen einbezogen werden.

Als Vorbild dient den Euro-Wächtern die US-Notenbank Fed, die bereits seit geraumer Zeit auf sogenannten "Fed Listens"-Versammlungen (übersetzt: Die Fed hört zu) das Ohr am Puls der Amerikaner hat und dort wichtige Erkenntisse etwa zum Arbeitsmarkt oder zur Lohnentwicklung erhält. Der Startschuss soll den Insidern zufolge am 26. März mit einer Veranstaltung in Brüssel fallen. Jede der 19 nationalen Euro-Notenbanken soll bis zum Sommer mindestens ein derartiges Ereignis organisieren. Die EZB lehnte eine Stellungnahme zu den Informationen ab. Die Veranstaltungsreihe ist Teil der laufenden großangelegten Strategieüberprüfung der EZB, in deren Zentrum ihr Inflationsziel von unter, aber nahe zwei Prozent steht - die wichtigste Richtgröße für die Sicherung der Geldwertstabilität.

Den Insidern zufolge ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass die EZB über bereits erzielte Ergebnisse ihres Strategiechecks erst dann kommuniziert, wenn die Bürger-Konsultationen abgeschlossen sind. "Es würde ziemlich schlecht aussehen, wenn wir im Juni substanzielle Kommunikation über die Überprüfung veröffentlichen, denn das würde bedeuten, dass wir das Feedback nicht ernst nehmen," sagte eine der mit den Plänen vertrauten Personen. Einige Notenbanker, wie etwa der slowakische Notenbank-Chef Peter Kazimir hatten sich für eine schnelle Einigung über eine Neufassung des Inflationsziels ausgesprochen und zwar bis Ende Juni. Am 29. Juni startet das jährliche Notenbankforum der EZB im portugiesischen Sintra, das weltweit stets stark beachtet wird.

rtr

Zu den öffentlichen Veranstaltungen sollen unter anderem Unternehmer, Wissenschaftler, Pensionäre, Studenten und auch Priester eingeladen werden. Die EZB will nicht nur ihre Ansichten zur Inflation sondern ihre Meinung zu einer ganzen Bandbreite von Themen erfahren - vom Klimaschutz bis hin zu digitalen Währungen. Die Veranstaltungen sind ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Notenbank unter ihrer neuen Präsidentin in der Außendarstellung wandeln will. Ihr Vorgänger Mario Draghi hatte sich noch im Oktober eher reserviert zu der Idee geäußert, dass die EZB statt wie bisher vor allem mit der Finanzwelt auch direkt mit der breiten Bevölkerung kommuniziert. "Man muss da vorsichtig sein, denn sobald man die Zielgruppe ändert, ändert man auch seine Sprache und man betritt prompt einen anderen Bereich: den Bereich der Politik," warnte er.

EXPERIMENT IN NEUER KOMMUNIKATION Das Umdenken unter Lagarde könnte auch damit zusammenhängen, dass die EZB schon seit längerem damit konfrontiert ist, dass laut Umfragen die Wahrnehmung der Inflation in der Bevölkerung zum Teil stark von der offiziell gemessenen Teuerungsrate abweicht. Die ehemalige französische Finanzministerin hatte zuletzt eingeräumt, dass hierin ein Problem liegt. Die Haushalte schätzen die Inflation häufig deutlich höher ein. Für manche Währungshüter hängt dies damit zusammen, dass im aktuellen Verbraucherpreisindex des europäischen Statistikamts Eurostat die Kosten für das Wohnen nicht angemessen berücksichtigt werden. Die Bürger-Veranstaltungen geben der EZB die Möglichkeit, mehr zu dieser Wahrnehmungskluft zu erfahren. Die Insider rechnen allerdings nicht damit, dass die dabei gewonnenen Informationen dazu führen, dass die EZB bei der Überarbeitung ihres Inflationsziels eine ganz neue Richtung einschlägt. Ein wichtiger Punkt der Veranstaltungen sei aber, die Aktivtäten der Notenbank in einer einfacheren Sprache zu erklären. Es gehe auch darum, die Sichtweisen der EZB unter das Volk zu bringen, sagte einer der Insider. "Es ist ein Experiment mit einem neuen Kommunikationsansatz."