Auch nach 16 Jahren im politischen Ruhestand verteidigt der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (1998-2005) die Agenda 2010, die ihn das Amt gekostet hat. Von Felix Petruschke und Markus Hinterberger.
Gleichzeitig mahnt er, dass die Verantwortlichen der Gegenwart und Zukunft nicht die Hände in den Schoß legen sollen: "Die Reformen sind nicht in Stein gemeißelt und können, ja müssen immer weiterentwickelt werden", sagte Schröder im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin €uro (Ausgabe September 2021).
Mit Blick auf die Agenda 2010 als unfreiwilliges Geschenk an seine Nachfolgerin sagt Schröder: "Frau Merkel hat das auch schlau angestellt". Das sei aber nur deshalb möglich geworden, weil Teile der SPD "diese Reformdividende nicht wollte".
Weniger versöhnlich mit der aktuellen Regierung zeigt sich Schröder beim Thema Rente: Er kritisiert vor allem die Einführung der Rente mit 63 und die sogenannte Mütterrente. "Die haben damit ganz schön was verfrühstückt, ohne dass es den Betroffenen viel gebracht hätte. Es wäre besser gewesen, dieses Geld in die Stabilität des ganzen Rentensystems zu stecken." Die Folge davon sei, dass "die nächste Regierung, spätestens die übernächste, dieses Problem angehen muss. Und dann wird man in den 2030er Jahren auch über eine weitere Anhebung der Lebensarbeitszeit reden müssen."
Gleichzeitig lobt Schröder die Krisenpolitik der Großen Koalition: "Richtig war, die Folgen der Corona-Krise, genauso wie in der Finanzkrise, mit großzügigen staatlichen Mitteln abzufedern." Und weiter: "Das gilt auch für die Hilfen für unsere europäischen Nachbarn, deren Volkswirtschaften nicht zuletzt häufig unsere Produkte abnehmen. Wenn es denen schlecht geht, haben auch wir zu leiden."
Mit Blick auf die Wahlen zeigt sich Schröder für seine Partei zuversichtlich: "Ich bin sicher, dass mehr Menschen die SPD wählen werden, als viele Meinungsforscher jetzt glauben. Bei einem Rennen zwischen Grün und Schwarz kann die SPD mit einem rationalen Programm und einem kompetenten Kanzlerkandidaten, und das ist Olaf Scholz ohne jeden Zweifel, Wähler gewinnen." In einem zentralem Wahlkampfpunkt stimmt Schröder mit seiner Partei aber nicht überein - bei der Wiedereinführung der Vermögensteuer: "Wenn wir jetzt sagen: Die Krise überstehen wir nur mit höheren Steuern, halte ich das für falsch." Schröder gibt auch Einblick in seinen Weg Geld anzulegen. So besitzt der begeisterte Sparkassenkunde genau zwei einzelne Aktien. Obwohl es ihn gejuckt hätte, mehr zu investieren, habe er davon letztlich die Finger von Aktien gelassen: "Ich hätte auch einfach keine Zeit und keine Lust, mich jeden Tag damit zu beschäftigen."