Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen brachte es im Deutschlandfunk auf den Punkt: Die EU stehe derzeit vor der Gefahr, "zum ersten Mal seit Jahrzehnten vielleicht nicht größer, sondern kleiner zu werden", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel und EZB-Präsident Mario Draghi auf eine viel engere Zusammenarbeit zumindest in der Eurozone dringen, muss sich der Klub der 28 Staaten mit einem ganz anderen Thema beschäftigen: einem tatsächlich oder angeblich drohenden Ausscheiden Griechenlands ("Grexit") und - sehr viel konkreter - einem Austritt Großbritanniens ("Brexit").
Dabei hat die EU für den 12. Februar einen informellen Gipfel der Staats- und Regierungschefs geplant, bei dem es um die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion gehen soll. Beide "Exit"-Debatten sind aus Sicht der deutschen Europapolitik deshalb eigentlich überflüssig und sogar schädlich. Sie lenkten nur davon ab, was in der EU wirklich nötig sei, heißt es in Regierungskreisen in Berlin. Also versucht man, die möglichen Schäden zu begrenzen. Dahinter steckt auch die Überzeugung in Berlin, dass das oberste Ziel sein müsse, die 28 EU- und mittlerweile 19 Euro-Staaten zusammenzuhalten.
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GENERVTHEIT ÜBER GROSSBRITANNIEN...
Im Falle Großbritanniens hat Merkel deshalb mehrfach beteuert, wie wichtig eine Mitgliedschaft des Landes in der EU sei. Der zweite Besuch in London innerhalb weniger Monate am Mittwoch soll auch ein Signal sein, wie eng beide Regierungen in zentralen Fragen wie Freihandel, internationale Sicherheit oder den G7-Agenden zusammenarbeiteten.
Allerdings hat Merkel dem konservativen britischen Premierminister David Cameron auch klar gemacht, dass sie deshalb seine Forderung nach einer eingeschränkten Freizügigkeit in der EU auf keinen Fall unterstützen wird. Deutlicher wird ihr Parteifreund Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag: "Wir wollen Großbritannien in der EU halten - aber nicht um jeden Preis", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete zu Reuters.
Wie groß die Genervtheit über die britische Dauer-Abspaltungsdebatte in Berlin mittlerweile ist, zeigt ein anderer Punkt: Früher hatte die CDU noch geworben, dass die britischen Konservativen wieder der Europäischen Volkspartei (EVP) beitreten, dem Zusammenschluss der europäischen Christdemokraten. Jetzt sagt Krichbaum nur: "Bevor die Tories wieder Teil der EVP werden können, müssten sie sich sicher erheblich ändern. Der Kurs muss erst wieder europafreundlicher werden."
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...SORGEN UM GRIECHENLAND
Im Fall Griechenlands ist die Lage komplizierter - und unangenehmer für Merkel. Zum einen ist Griechenland nicht nur Mitglied der EU, sondern auch des Euro-Raums. Die "Grexit"-Debatte leidet deshalb schon unter der Unschärfe, was damit eigentlich gemeint ist - ein Austritt aus der gemeinsamen Währung oder gleich der aus der EU? Zum anderen haben deutsche Medienberichte dazu beigetragen, dass die Bundesregierung nicht als treibende Kraft für den Zusammenhalt der EU wahrgenommen wird wie im Falle Großbritanniens, sondern als Spalter. "Wir haben überhaupt keine Debatte über ein mögliches Ausscheiden Griechenlands begonnen", beteuert Regierungssprecher Steffen Seibert und weist die Schuld Medien wie dem "Spiegel" zu.
Aber CDU-Politiker wie Michael Fuchs hatten zuvor offen betont: Sollte eine künftige griechische Regierung ihre Verpflichtungen zu Reformen und der Bedingung der Schulden nicht erfüllen, müsse das Land eben die Euro-Zone verlassen. Fuchs ist zwar nicht identisch mit der Regierung. Aber trotz aller Dementis droht CDU-Chefin Merkel, wie schon zu Hochzeiten der Euro-Krise wieder das öffentliche Image verpasst zu bekommen, sie wolle Griechenland aus der gemeinsamen Währung treiben. Denn die Debatte hat sich europaweit längst verselbstständigt. "Das Kanzleramt muss die souveräne Entscheidung Griechenlands respektieren statt die Eurozone in Brand zu stecken", kritisierte am Mittwoch etwa der EU-Abgeordnete Fabio De Masi (Linke).
Die Agenda des informellen Treffens der 28 EU-Staats- und Regierungschefs am 12. Februar könnte der Ausgang der griechischen Wahlen auf jeden Fall beeinflussen: Möglicherweise wird es dann in Brüssel nicht um eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit gehen, sondern erst einmal darum, wie man den Klub überhaupt zusammenhalten kann.
Reuters