"Davy’s on the Road Again" ist ein Hit von Manfred Mann’s Earth Band aus meiner Jugendzeit. Doch er passt nicht zum Ausgang der britischen Unterhauswahlen. Denn David Cameron - Davy ist die Koseform des englischen Vornamens David - is not on the road again. David darf weiter in Nr. 10 Downing Street als Premierminister wohnen. Wie ein Hirte hat er mit einem europakritischen, populistischen Wahlkampf die Wahlschäfchen, die in Scharen zur europakritischen Partei UKIP wegzulaufen drohten, wieder ins Gehege der Tories zurückgeführt.
Und was heißt das jetzt für Großbritannien und Europa? Klar ist, dass David sein Wahlversprechen einlösen muss, bis Ende 2017 eine Volksabstimmung über den Verbleib oder den Ausstieg Großbritanniens - der sogenannte Brexit - aus der Europäischen Union abzuhalten. Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus. Bis zum Referendum, also zwei lange Jahre, droht jetzt (wirtschafts-)politische Verunsicherung.
Denn hier geht es nicht darum, Mitglied oder Nicht-Mitglied in einem Kegelverein zu sein, sondern um die Mitgliedschaft im kaufkräftigsten Binnenmarkt der Welt: Auch wenn die Briten es nicht wahrhaben wollen, aber sie profitieren gewaltig von Europa. Und daher werden sich bis zum Referendum alle fehlerfrei bis drei zählenden Investoren mit neuen Investitionen in Merry Old England zurückhalten. Und je nach Umfrage zum Brexit werden sicherlich auch britische Aktien und Anleihen sowie das Pfund unter Druck kommen.
Auf Seite 2: Der Brexit wäre (wirtschafts-)politischer Selbstmord
Der Brexit wäre (wirtschafts-)politischer Selbstmord
Sollten sich die Briten tatsächlich die "splendid isolation" ähnlich wie in der Zeit des British Empire abseits der EU wünschen, geriet Großbritannien in Isolationshaft. Wirtschaftlich würde der britische Löwe stark an Potenz einbüßen. Dann hätte er etwas mit meinem kastrierten Kater gemeinsam. Denn das Land verlöre sein wichtigstes Standbein: Die Finanzindustrie. Die verbleibenden Trümpfe Royaler Kitsch und Keksindustrie könnten diese Lücke niemals schließen. Ohne den Finanzplatz London wäre das British Empire auch wirtschaftlich "gone".
Absurderweise ist London sogar ein Euro-Profiteur. Denn obwohl die großen Briten diese Währung ablehnen wie Veganer saftige Steaks, wird er vor allem dort gehandelt. Bei einem Brexit würden andere Finanzplätze wie Frankfurt immer mehr für die finanzpolitische Musik in Europa verantwortlich sein. London wäre für Banken, Versicherungen und die Immobilienwirtschaft nicht mehr ein Paradies wie die englischen Fish & Chips-Buden für Fast Food-Anhänger. Nein, dort würde es höllisch, weil die Finanzindustrie London "Good Bye" sagen und nach Irland und Schottland auswandern würde. Schottland deswegen, weil die Schotten traditionell deutlich Europa-freundlicher als die Engländer sind.
In diesem Szenario könnte es auch zügig zu einer neuen Abstimmung der "Scottish Bravehearts" über die Abspaltung von Großbritannien kommen, die dann ein anderes Ergebnis als 2014 zu Tage fördern würde. Der Brexit könnte also direkt zum "Sexit" der Schotten führen. Aus Great Britain würde Little Britain. Gut, dass dies Churchill und Thatcher nicht mehr mitbekommen müssten.
Immerhin, selbst Normalsterbliche könnten sich dann Häuser in London leisten. Aber wollte man dort bei Wirtschaftsmisere und hoher Arbeitslosigkeit überhaupt wohnen wollen?
Dass die Briten beim Gedanken an Europa nicht unbedingt in Entzücken geraten, ist uns allen spätestens seit Margaret Thatcher klar. Aber dass man dieser pathologischen Ablehnung zuliebe auch jede wirtschaftliche Vernunft über Bord wirft, wäre für die ansonsten kühl-rationalen Briten neu.
Auf Seite 3: Ohne Großbritannien wird die EU zum sozialistischen Gesundbeterstaat
Ohne Großbritannien wird die EU zum sozialistischen Gesundbeterstaat
Sollten die Briten leise Servus sagen, drohte ein gefährlicher Domino-Effekt in der EU und der Eurozone. Ein Brexit und ein anschließender Sexit wären Wasser auf die Mühlen von Madame Le Pen. Auf dieser Befreiungswoge reitend, könnte sie wie eine Jeanne d‘Arc für Arme im Zusammenhang mit den französischen Präsidentenwahlen 2017 auch einen "Frexit" der Franzosen aus der Eurozone betreiben. Dagegen wäre der Grexit ein Kindergeburtstag.
Und dann? Wie wollen wir dann gegenüber den USA, China, Russland oder generell gegen die Schwellenländer anstinken, wenn der Chorgeist der EU dem einer zerstrittenen Ehe entspricht, deren gemeinsame Aktivität nur noch im Zertrümmern des Porzellans besteht? Wie wollen wir verhindern, in punkto Freihandelsabkommen mit den USA oder später mit China überfahren zu werden? Die europäische Stimme droht in allen geo-, wirtschafts-, finanz- und industriepolitischen Belangen auf ein Stimmchen reduziert zu werden, das dann tatsächlich der geographischen Größe Europas entspricht. Gestern noch ein stolzer europäischer Stier und heute ein eingeschüchterter Ochse.
Insbesondere uns Deutschen täte der Brexit richtig weh. Uns würde ein Verbündeter in punkto stabiler Staatshaushalte, Wettbewerbsfähigkeit, Bürokratieabbau, Reformbereitschaft und nicht zuletzt wirtschaftlicher Freiheit von der Fahne gehen. Das ist für mich die Definition von Marktwirtschaft. Die "Gutmenschen" in einigen Euro-Ländern, die Anhänger einer Schuldenpolitik sind, hätten - obwohl historisch immer wieder gescheitert - endlich freie Bahn, ihr staatswirtschaftliches Schlaraffenland mit Finanzierung des Schuldendeckels durch die Notenbank aufzubauen.
Die Eurozone würde von der Stabilitäts- zur Schuldengläubigkeit konvertieren und sich damit langsam aber sicher das eigene Wirtschaftsgrab schaufeln. Der Verlust Großbritanniens, das immer für eine liberale Wirtschaftsordnung eingetreten ist, könnte das gesellschaftspolitische Gleichgewicht in Europa zwischen Markt und Staat dramatisch in Richtung quasi-sozialistischer Gesundbetung kippen lassen. Schon heute hinkt die Marktwirtschaft in der EU nicht nur, sie fährt bereits im Rollstuhl!
Auf Seite 4: Aber es muss ja nicht zum Brexit kommen!
Aber es muss ja nicht zum Brexit kommen!
Natürlich ist in der EU vieles so krumm und schief, dass dagegen der schiefe Turm von Pisa ein Musterbeispiel an senkrechter Geradlinigkeit ist. Aber liebe Briten, bei der Weiterentwicklung der EU und der Eurozone zu eben mehr Markt und weniger Staat könnt Ihr sehr gerne mithelfen. Dazu müsst Ihr allerdings dabei bleiben. Und dann müsstet Ihr auch einige Integrations-Kröten schlucken. Der Britenrabatt und so manche andere für Euch gebratene Extrawurst muss überdacht werden. Aber zum einen werden diese kleinen Nachteile von den großen wirtschaftlichen Vorteilen für Euch aufgewogen.
Wer will schon in von Wirtschaftsmisere geprägter Isolationshaft auf der Insel leben? Und zum anderen: Wenn Euer neuer alter Premierminister die Fehlentwicklungen in der EU gerade biegen kann, so dass auch Ihr marktwirtschaftlich angehauchten Briten keine Schnappatmung mehr bekommt, dann wird es zwar dennoch zum Referendum kommen, aber das werdet Ihr dann ja wohl - weil Ihr eben keine Selbstmörder seid - europäisch beantworten.
Liebe Briten, auch wenn Ihr nicht die feinste Küche und sehr viel schlechtes Wetter habt, Europa braucht Euch. Aber Ihr braucht uns auch. Lasst uns zumindest eine gute Zweckehe, eine marktwirtschaftliche Vernunftehe eingehen. Von Liebe spricht ja niemand.
Entscheidet Euch zwischen sturem Nationalstolz und wirtschaftlicher Vernunft richtig: Macht keinen Brexit, sondern einen marktwirtschaftlichen Wiedereintritt, einen Reentry in die EU. Ihr würdet Euch und uns und unseren Aktionären einen Riesen-Gefallen tun.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.