Es ist eine 180-Grad-Wende - und eine Ohrfeige für den Vorgänger: Kaum war die Zeremonie zu seinem Amtsantritt vorbei, initiierte US-Präsident Joe Biden per Dekret den Wiederbeitritt der USA zum Pariser Klimaschutzabkommen. Unter Ex-Präsident Donald Trump hatte die größte Volkswirtschaft der Welt den Verbund der Länder, die die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzen wollen, verlassen.

Eine neue Offenheit des transatlantischen Partners jenseits nationaler Themen kündigt sich an, die auch deutsche Wirtschaftsführer begrüßen. "Durch den Regierungswechsel in den USA bieten sich in den kommenden Jahren große Chancen für uns, die wir nutzen wollen", sagt etwa Siemens-Chef Joe Kaeser, der Anfang Februar aus dem Amt scheidet und als Aufsichtsratschef der Energietochter Siemens Energy aktiv bleibt, gegenüber dieser Zeitung.

Bidens Dekret signalisiert ein klares Ja zur Begrenzung des Ausstoßes an Treibhausgasen. Geht es nach dem US-Präsidenten, so stellen die USA bis 2035 ihre Stromerzeugung komplett auf nichtfossile Quellen, also nukleare und erneuerbare Energien, um. "Bei der Stromerzeugung hat Biden anspruchsvolle Ziele. Noch sind das allerdings reine Absichtserklärungen, die erst später konkreter werden dürften", sagt Professor Reimund Schwarze, Klimaökonom von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Viele führende Nationen haben diesen Weg eingeschlagen. Südkorea und Japan etwa wollen bis 2050 klimaneutral sein, China will die CO2-Neutralität bis 2060 erreichen. Auch Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin der Europäischen Union, hat mit dem Green Deal ein ehrgeiziges grünes Projekt gestartet. Als den "europäischen Mann-auf-dem-Mond-Moment" pries von der Leyen das Vorhaben nur wenige Tage nach ihrem Amtsantritt.

Aufstieg der grünen Null

Dem Masterplan zufolge sollen die CO2-Emissionen der EU bis 2050 auf null sinken und - relevanter jetzt schon für Wirtschaft und Unternehmen - bereits bis 2030 soll eine Reduktion um 55 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden. Insgesamt zehn Billionen Euro an Investitionen sind der US-Investmentbank Goldman Sachs zufolge bis Mitte des Jahrhunderts dafür vonnöten, allein sechs Billionen Euro aus der privaten Wirtschaft. "Das ist der ambitionierteste Dekarbonisierungsplan weltweit", so Goldman Sachs.

Es ist ein Mammutprojekt, das jedoch nicht allen Akteuren gefällt. Der Plan bringe "enorme Herausforderungen mit ungewissem Ausgang", bekritelte etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie von der Leyens Initiative. Dabei liegen auch die Chancen für Unternehmen auf der Hand: Energiesparmaßnahmen werden ebenso befördert wie der Ausbau der Elektromobilität. Der größte Hebel liegt Experten zufolge jedoch im Ausbau erneuerbarer Energien. Rund 60 Prozent der Investitionsausgaben im Rahmen dieses "historischen Dekarbonisierungsplans" entfielen auf die Bereiche Wind- und Solarkraft, so Goldman Sachs.

Wie ehrgeizig die Pläne sind, zeigt das Beispiel der Offshore-Windkraft: Im laufenden Jahr werden laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) weltweit Windkraftanlagen mit gut sieben Gigawatt Erzeugungskapazität vor den Küsten errichtet. Die EU allein will laut ihrer Offshore-Strategie bis 2050 rund 300 Gigawatt an Kapazität im Meer installieren - das entspricht etwa 300 großen Kohlekraftwerken. "Dies bedeutet, dass die Offshore-Leistung bis 2050 fast um das 30-Fache gesteigert werden muss", so die EU-Kommission im November.

Anlagenbauer mit Offshore-Know-how dürfen also mit kräftigem Rückenwind rechnen. Bei Technologie und Marktanteilen zählt Siemens Gamesa hier zur Weltspitze. Die inzwischen börsennotierte Konzerntochter Siemens Energy (SE) hält gut zwei Drittel der Anteile. Gamesa ist führend im Offshore- Bereich und stellt derzeit auch die größte und leistungsfähigste Turbine mit 222 Meter Rotordurchmesser her. Mit Wettbewerbern wie dem US-Konzern GE oder der dänischen Vestas liefern sich die Spanier seit Jahren ein hartes Rennen.

Auch an Land schreitet der Siegeszug der Windturbinen voran. Bereits 2020 stiegen die Neuinstallationen weltweit um elf Prozent, über 70 Gigawatt an Windkapazität könnten laut IEA im laufenden Jahr dazukommen. In China beschleunigt das Auslaufen von Subventionen den Zuwachs kurzfristig auf 50 Prozent, wobei westliche Ausrüster hier eine untergeordnete Rolle spielen. In den USA könnten Unternehmen wie die norddeutsche Nordex indes weitere Großaufträge einsammeln, das Wachstum soll hier rund 30 Prozent betragen. Für nachhaltige Fantasie sorgt die Biden-Administration: "Die Aussichten sind großartig", sagt Ökonom Schwarze, "es gibt Platz und günstige klimatische Bedingungen."

Die globalen Anstrengungen zur Errichtung einer CO2-armen Energiewirtschaft beflügeln auch die Solarbranche. Bis 2035 könnte sich die weltweit installierte Solarkapazität nach Schätzungen des Fraunhofer Instituts auf über 5.000 Gigawatt verzehnfachen. Ein Treiber des Wachstums: Die Sonnenkraft hat inzwischen wirtschaftlich teilweise mit der Kohle gleichgezogen. Die Kosten der Solarstromerzeugung seien allein in den vergangenen zehn Jahren um 70 Prozent gesunken, schätzt Goldman Sachs. Der Markt wächst, in Indien und der EU rechnet die IEA 2021 mit einem starken Anstieg vor allem bei groß dimensionierten Photovoltaik-Anlagen.

Allerdings bleiben hier die Preise für Ausrüstungen wohl unter Druck. Solarzellen sind ein Massenprodukt, das Geschäft spielt sich, einst aufgebaut durch deutsche Subventionen, inzwischen vor allem in China ab. Unter den Top 5 der weltweiten Hersteller sind gleich vier Chinesen. Zu den lukrativen Nischen zählt Elektronik im Umfeld der Zellen, etwa Wechselrichter zur Einspeisung des erzeugten Gleichstroms ins Netz. Die israelische Solaredge sowie der US-Konzern Enphase Energy sind börsennotierte Profiteure.

Drehscheiben der Umweltökonomie

Einsparungen bei der Beschaffung kommen Betreibern von Solar- wie Windparks entgegen. Zu den Nachfragern zählen hier auch Versorger, die sich auf grüne Energiequellen konzentrieren. In Europa haben Spaniens Iberdrola und Dänemarks Ørsted jahre- lange grüne Erfahrung. Der Green Deal allerdings beschleunigt die Aktivitäten: Bis Mitte des Jahrzehnts wollen die Spanier ihre Investitionen in erneuerbare Energien auf gut 34 Milliarden Euro ausbauen, die Dänen geben 27 Milliarden Euro mehr für grüne Technik aus. Diese Ausgaben werden das Gewinnwachstum antreiben, prophezeien die Analysten von Goldman Sachs.

Auch Urgesteine der Karbonwirtschaft wollen wegen des energiepolitischen Windwechsels möglichst schnell grün werden. Bei der Essener RWE etwa, derzeit sogar noch im Braunkohle-Tagebau aktiv, sollen bis Ende 2022 mindestens fünf Milliarden Euro in alternative Energien fließen. Und Frankreichs Energiekonzern Total mit angestammtem Geschäft in der Öl- und Gasförderung erwarb soeben für 2,5 Milliarden Dollar Anteile an Indiens Solarkonzern Adani Green Energy. Kein Zweifel: Grün liegt im Trend.

 


INVESTOR-INFO

Windturbinen

Starker Rückenwind

Siemens Energy (SE) ist über die Tochter Gamesa weltweit führend in der Offshore-Windkraft positioniert, daneben bietet SE etwa auch Energieübertragungssysteme. Dänemarks Vestas ist ebenfalls offshore erfolgreich. Nordex gewann zuletzt viele Aufträge für US-Onshore-Parks. Vestas und Nordex sind reine Windkraftinvestments, SE breiter aufgestellt und noch eine Turnaround-Story.

Solarausrüster

Heiße Geschäfte

Der US-Konzern Enphase Energy liefert Elektronik rund um Solarenergie wie intelligente Hausenergiesysteme oder Wechselrichter. Die israelische Solaredge ist hier ebenfalls aktiv und bietet zudem Ladesäulen (Wallboxen) für die Elektromobilität. Solaredge ist mit 1,5 Milliarden Dollar Umsatz etwa doppelt so groß, Enphase wächst schneller und hat höhere Margen, ist aber deutlich teurer.

Versorger

Farbe der Hoffnung

Grün liegt bei Spaniens Versorger Iberdrola, der früh auf Windkraft setzte, schon lange im Trend. Dänemarks Ørsted war bis 2014 ein stark kohlelastiger Erzeuger, baute dann den Bereich erneuerbare Energien konsequent aus. RWE erwarb 2020 das Entwicklerportfolio von Nordex, errichtet damit jetzt erste Windparks etwa in Frankreich. Während Iberdrola und RWE noch vergleichsweise günstig sind, ist Ørsted hoch bewertet. Iberdrola hat vor Steuern die höchste Dividendenrendite.