Erst vorige Woche hat die EZB einen wichtigen Schritt Richtung Normalisierung ihrer Geldpolitik getan und den Stopp der umstrittenen Anleihenkäufe für das Jahresende angekündigt. Angesichts des heraufziehenden Handelskriegs kommen offenbar erste Zweifel auf, ob sich die Notenbank zu früh vorgewagt hat: "Der Protektionismus wird größere Auswirkungen haben als jetzt erwartet", warnt ein weiterer Insider. Das schrittweise Zurückfahren der EZB-Konjunkturhilfen sei in Gefahr: "Ich denke, das ist an den Märkten noch nicht so richtig angekommen. Eines Tages gibt es ein böses Erwachen."

EZB-Präsident Mario Draghi kündigte in Sintra ein behutsames Vorgehen bei einer künftigen Zinsanhebung an. Am Geldmarkt würden diese Erwartungen weitgehend widergespiegelt. Derzeit wird dort mit einer ersten Anhebung des Einlagensatzes im September 2019 gerechnet. Dieser liegt aktuell bei minus 0,4 Prozent. Banken müssen also Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der Notenbank über Nacht Geld hinterlegen. Daran soll nach dem Willen der Währungshüter noch lange Zeit nicht gerüttelt werden. Sie signalisierten mit dem jüngsten Zinsbeschluss, dass der geldpolitische Schlüsselsatz "mindestens über den Sommer 2019" auf dem aktuellen Niveau bleiben soll - auch wenn Frankreichs Zentralbankchef Francois Villeroy de Galhau jüngst überraschend ein früheres Zeitfenster nannte.

Erst vorige Woche hat die EZB auch ihre aktualisierte Wachstumsprognose vorgelegt, in der sie für das laufende Jahr ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 2,1 Prozent, für 2019 von 1,9 Prozent und für 2020 von 1,7 Prozent erwartet. Doch laut Draghi wurden dabei die Folgen von noch nicht erhobenen Zollschranken nicht mit berücksichtigt.

HANDELSKONFLIKT VERSCHÄRFT SICH



Der Handelskonflikt der USA mit China hat sich zuletzt aber deutlich verschärft. US-Präsident Donald Trump kündigte am Montag an, neue Zölle auf chinesische Waren im Volumen von 200 Milliarden Dollar zu verhängen, sollte die Regierung in Peking Vergeltungszölle für frühere US-Importauflagen umsetzen. Und Vergeltungszölle der EU im Handelsstreit mit den USA greifen ab Freitag. Ab dann gelten die Strafabgaben im Wert von 2,8 Milliarden Euro auf US-Produkte. Die Zahlungen werden auf eine Reihe von Produkten wie Jeans, Erdnussbutter oder Motorräder fällig. Sie sind die Antwort der EU auf die Anfang des Monats verhängten US-Zölle auf Stahl und Aluminium aus Europa.

Die EZB-Prognose könnten sich vor diesem Hintergrund als zu optimistisch erweisen, warnt einer der von Reuters kontaktierten Gewährsleute in Sintra. Bei den für die weitere Konjunkturentwicklung wichtigen Frühindikatoren hätten sich zuletzt "negative Überraschungen" gehäuft. "Das Risiko eines Handelskriegs kann man nicht beziffern. Und wenn Notenbanker etwas nicht quantifizieren können, neigen sie dazu, sich darüber auszuschweigen", so ein anderer Insider.