Mit knapp acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist der deutsche Leistungsbilanzüberschuss der höchste weltweit. Seit der Finanzkrise 2008 sorgt das Ausmaß dieses deutschen Überschusses weltweit für Verärgerung und bleibt beim Internationalen Währungsfonds und anderen globalen Institutionen weiterhin ständiges Thema.
Dennoch legte der Wissenschaftliche Beirat von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Anfang des Jahres einen Bericht vor, dessen Befund durchaus verwundert: Deutschland, so heißt es in dem Bericht, steht kein Instrument zur Verfügung, um sein massives externes Ungleichgewicht zu reduzieren.
Diese Feststellung erfolgt nach wiederholten Beschwerden über den deutschen Überschuss durch die Regierung von US-Präsident Donald Trump, die mit der Einführung von Importzöllen und anderen protektionistischen Maßnahmen drohte. Bereits unter Präsident Barack Obama wurde die deutsche Bundesregierung immer wieder aufgefordert, diesen Überschuss abzubauen. In jüngerer Vergangenheit haben die G 20 "globale Ungleichgewichte" zu einem ihrer zentralen Themen gemacht.
Mit dem Hinweis, wonach Deutschland nichts gegen seinen Leistungsbilanzüberschuss unternehmen könne, bietet der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie keinen klugen Rat. Der Leistungsbilanzüberschuss ergibt sich aus der Differenz zwischen Exporten und Importen. Um den massiven Überschuss zu senken, kann Deutschland entweder seine Exporte reduzieren oder seine Importe steigern (oder beides gleichzeitig). Beide Möglichkeiten liegen im Zuständigkeitsbereich der Regierung.
So kann eine Ausdehnung der Importe beispielsweise durch höhere öffentliche Investitionen relativ leicht erreicht werden. Erstaunlicherweise zieht die Studie des Wissenschaftlichen Beirats diese einfache und offensichtliche Maßnahme gar nicht in Betracht, obwohl bekannt ist, dass Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss das Ergebnis zu hoher Ersparnisse und zu geringer Investitionen ist. Die deutsche Bundesregierung erreicht nicht nur jedes Jahr ein ausgeglichenes Haushaltsbudget - Stichwort schwarze Null -, auch deutsche Firmen investieren viel weniger als ihre französischen und italienischen Pendants, wie Guntram B. Wolff vom Thinktank Bruegel in dem (von mir herausgegebenen Beitrag) "Explaining Germany’s Exceptional Recovery" zeigt.
Investitionen führen typischerweise zu höheren Importen. Für den Bau neuer Straßen beispielsweise werden in der Regel zusätzliche Baumaschinen benötigt. Das wiederum erfordert zusätzliche intermediäre Vorleistungen, die importiert werden müssen. Von jedem zusätzlichen Euro, den der Staat für öffentliche Investitionen aufwendet, werden 30 bis 40 Cent für den Import von Vorleistungen ausgegeben. Deshalb würde eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen automatisch den Leistungsbilanzüberschuss reduzieren.
Das ist durchaus praktisch angesichts der Tatsache, dass öffentliche Investitionen sowohl beliebt als auch dringend angezeigt sind. Die deutsche Konjunktur trübt sich ein und befindet sich am Rand einer Rezession, was vor allem auf die relative Abschwächung in China, einem der führenden Importeure deutscher Industriegüter, zurückzuführen ist. Seit der Finanzkrise haben sich deutsche Exporte nach China fast verdreifacht. Mit diesem Tempo kann in Zukunft allerdings nicht mehr gerechnet werden.
Unter den makroökonomischen Bedingungen von heute würde ein vorsorgender Staat durch vermehrte Investitionen Schritte zur Abmilderung des bevorstehenden Konjunkturabschwungs unternehmen. Neueste wissenschaftliche Studien zur Fiskalpolitik bei Nullzinsen kommen zu dem Schluss, dass eine Ausweitung öffentlicher Investitionen seit Ausbruch der Finanzkrise deutlich wirksamer geworden ist. Wenn die kurzfristigen Nominalzinsen bei oder nahe null liegen, bleibt der Verdrängungseffekt von privaten Investitionen aus und der Multiplikatoreffekt der öffentlichen Ausgaben ist stärker.
Auf der anderen Seite könnte Deutschland auch versuchen, seine Exporte durch Währungsaufwertung zu reduzieren. Deutschland hat zwar keine Kontrolle über den Wechselkurs des Euro, könnte jedoch über eine fiskalische Aufwertung, aufgrund derer sich Exporte verteuern und Importe billiger werden, die Wirkung einer Währungsaufwertung erzielen. Das wäre durch Änderungen in der Steuerpolitik zu erreichen.
Im Falle Deutschlands wäre eine fiskalische Aufwertung derzeit absolut gerechtfertigt, da man Mitte der 2000er Jahre mit einem Mix an Steuern eine fiskalische Abwertung durchführte. Fabio Ghironi von der University of Washington und Benjamin Weigert von der Bundesbank zeigen in "Explaining Germany’s Exceptional Recovery", dass Deutschland im Jahr 2008 die Einkommensteuersätze von 57 auf 47,5 Prozent und die Unternehmensteuern von 56,8 auf 29,4 Prozent gesenkt hat, während die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht wurde. Durch diesen Mix an Maßnahmen wurden die deutschen Exporte deutlich billiger und die Importe teurer, was zum Leistungsbilanzüberschuss beitrug. Nichts hindert Deutschland daran, diese Politik umzukehren.
Vor die Wahl zwischen einer Ausdehnung der öffentlichen Investitionen oder einer fiskalischen Aufwertung gestellt, ist die erste Option vorzuziehen. Denn in Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur ist eine fiskalische Aufwertung, die dämpfend auf die Konjunktur wirkt, zu riskant. Nichts zu tun kann sich Deutschland ebenso wenig leisten. Angesichts der zunehmenden Bedrohungen des Multilateralismus hat des Land die Pflicht, seinen Teil zur Korrektur globaler Ungleichgewichte zu leisten. Der Wissenschaftliche Beirat sollte das wissen.
zur Person:
Dalia Marin,
Leiterin Seminar
Internationale
Wirtschaftsbeziehungen LMU
Die Österreicherin studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien und wurde 1984 promoviert. 1992 habilitierte sie sich, ebenfalls in Wien. Dalia Marin leitet heute das Seminar für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Ludwig-
Maximilians-Universität München (LMU) und ist Research Fellow am Londoner Centre
for Economic
Policy Research.