Hans Georg Näder ist einer der ungewöhnlichsten und erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands. Und er ist ein Mann mit vielen Facetten. Er hat den Prothesenhersteller Otto Bock, ansässig in Duderstadt bei Göttingen, zum Weltmarktführer in der Medizintechnik gemacht. Er ist mit einem geschätzten Vermögen von zwei Milliarden Euro einer der reichsten Deutschen, ein passionierter Segler und Kunstsammler, Fan von Angela Merkel, ein Weltbürger mit einem Faible für die schönen Dinge des Lebens. Und es gibt den anderen Hans Georg Näder - den, der mit fünf Millionen Euro Hauptsponsor der Paralympics ist. Seine Stiftung kümmert sich um syrische Flüchtlinge in der Türkei, hilft schwer verletzten Kindern aus Kriegs- und Katastrophengebieten, spendet den Kriegsversehrten Prothesen und Rollstühle, hilft Kindern in den Favelas von Rio und in Haiti. Zu seinem 25-jährigen Jubiläum als Firmenlenker lud er 300 Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien ein. Mit seinen karitativen Engagements will der Mäzen etwas zurückgeben: "Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt und weiß sehr wohl, dass dies nicht selbstverständlich ist." Und er weiß, "dass wir hierzulande in einem Garten der Glückseligkeit leben". Näder, der Mann mit dem grauen Wuschelkopf, hasst Krawatten und liebt Schals und besitzt keinen eigenen Laptop. In Berlin hat er 2010 im Prenzlauer Berg das 24 000 Quadratmeter große Gelände der früheren Bötzow-Brauerei gekauft. Der über 130 Jahre alte denkmalgeschützte Klinkerbau wird nach Plänen des britischen Stararchitekten Sir David Chipperfield restauriert. Hier entsteht ein moderner Wohn- und Kulturkomplex. Die Forschungs-, Entwicklungs- und Marketingabteilung von Otto Bock soll hier untergebracht werden.
Seine Firmengruppe ist inzwischen in 58 Ländern vertreten und beschäftigt rund 7300 Mitarbeiter. "Ich habe die Geschicke von Otto Bock über drei Jahrzehnte hinweg bestimmt", sagte Näder dem "Manager Magazin". "Nun ist es Zeit für einen Generationenwechsel im Management." 2017 verkaufte er 20 Prozent der Otto Bock Healthcare für knapp 640 Millionen Euro an den schwedischen Finanzinvestor EQT. Das Geld floss zum größten Teil ins Unternehmen. "Der Rest ging an mich und meine beiden Töchter, also die Gesellschafter der Otto Bock Holding." Mit einem Börsengang des Familienunternehmens rechnet er erst 2022. Näder ist zwar ein bekennender Fan der Bundeskanzlerin, die auch an der Feier zum hundertjährigen Firmenbestehen teilnahm, 2015 trat er jedoch aus der CDU aus und wechselte zur FDP.
Gegründet wurde das Unternehmen 1919 von Näders Großvater, dem Orthopädiemechaniker Otto Bock, im thüringischen Seefeld. Der Erste Weltkrieg hatte Millionen von Versehrten hinterlassen, der Bedarf an Prothesen war mit individuellen Anfertigungen nicht mehr zu decken. Otto Bock entwickelte deshalb die Serienfertigung von standardisierten Prothesenteilen.
Neustart nach dem Krieg
Näders Vater Max, der als Orthopädiemeister für Otto Bock arbeitete, hatte 1943 zwischen zwei Fronteinsätzen die Tochter des Chefs geheiratet. Nach Kriegsende lief die Prothesenherstellung wieder an. Die sowjetische Militärregierung enteignete jedoch 1948 den Firmengründer - eine Aktentasche war alles, was Otto Bock im November beim Passieren der Zonengrenze mit sich trug.
Bock und sein Schwiegersohn Max fingen neu an - in Duderstadt, wo sie eine neue Produktion aufbauten. Es fehlte an allem. An Geld, Fachkräften und Material. Pappelholz, das bevorzugte Material zum Bau von Prothesen, war kaum zu beschaffen, deshalb setzte Bock erstmals den stabileren und leichteren Polyurethankunststoff in der Produktion ein.
1961 kam Hans Georg Näder zur Welt. Er wuchs in einem christlich geprägten Elternhaus auf. Seine Eltern waren weltoffen. Näder war kein brillanter Schüler. Er schrieb sich in Nürnberg an der Universität im Fach Betriebswirtschaft ein, brach allerdings das Studium ab, als sein Vater Max gesundheitliche Probleme hatte. Mit 28 Jahren übernahm er am 75. Geburtstag seines Vaters die Firma.
Die ersten Jahre waren anstrengend. "Ich kam in ein Management, in dem fast alle über Jahrzehnte mit meinem Vater gut gefahren sind - und zufrieden waren über das Erreichte", so Näder, "und dann kam ich, der nichts wusste, nichts gemacht hatte." Er schickte ein paar Ältere in den Ruhestand, baute eine eigene Truppe auf. Er habe "über Marketing nachgedacht, nicht über kleine Schrauben, in kürzeren Zyklen gedacht, nicht in Dekaden".
In den Dotcom-Jahren der Milleniumswende, auf dem Gipfel des Börsenhypes, wollte Näder das Unternehmen an die Börse bringen. "Das machst du erst, wenn ich in den ewigen Jagdgründen bin", sagte ihm der Vater. Acht Stunden lang redeten sich Vater und Sohn die Köpfe heiß. Dann gab der Junior nach.
Fünf bis acht Prozent des Umsatzes investiert das Unternehmen in Forschung und Entwicklung. Erfindungen waren es denn auch, die Otto Bock an die Weltspitze und zu einem Milliardenumsatz geführt haben. Behinderung aus der Tabuzone geholt zu haben, das sei sein großes Verdienst, schrieb die Presse. "Viele Jahre gab es den Trend, Behinderung zu verstecken. Heute nicht mehr", sagt er. "Daran habe ich vermutlich einen großen Anteil."
Viele der Produkte des Mittelständlers Otto Bock wären in einem großen Konzern niemals entwickelt worden, glaubt Näder. "Wir sind immer ein Start-up geblieben", sagte er dem "Spiegel". Rund 40 Firmen hat er gegründet oder gekauft. Er ging oft ins Risiko, musste Niederlagen einstecken, aber er entwickelte ein Bauchgefühl, das als das Erfolgsgeheimnis vieler Mittelständler gilt. "Ich bin wie ein Angler, der an der Alster sitzt, weit weg von den anderen Anglern. Und alle fragen sich: Warum sitzt der da? Weil er das Gefühl hat, dass da die Fische sind."